Hockenheim. Eine Welt voller Glitzer, Regenbogenfarben und Harmonie – für manch einen das Paradies auf Erden, Für andere ein Graus. Zu Letzteren zählt ein kleines Einhorn, das sich so gar nicht an die Einhornherde im Herzwald anpassen möchte und auf alle Versuche, es glücklich zu machen und zu einhornhaftem Verhalten zu überreden, mit einem „Nein“ antwortet. Erzählt wird die Geschichte von dem unbeugsamen Fantasiewesen namens „Neinhorn“ im gleichnamigen Buch von Marc-Uwe Kling. Sie zählt seit ihrer Veröffentlichung zu den beliebtesten Bilderbüchern und wird inzwischen von „Das Neinhorn und die Schlangeweile“ fortgeführt.
Bei sommerlichen Temperaturen und mit stattlicher Besucherzahl direkt bei der ersten Vorstellung konnte das „Neinhorn“ im Theaterzelt auf dem Platz an der Hockenheimer Feuerwehr am ersten Wochenende der Pfingsferien in fünf Aufführungen besucht werden. Saunaluft gab es beim Theater Zauberwald gratis dazu – aber hochgebundene Zeltwände sorgten für etwas Durchlüftung und mit Beginn der Aufführung gerieten Wärme und Motorengeräusche aus Richtung des Hockenheimrings sowieso in den Hintergrund.
Vier Figuren mit eigenem Charakter prägen die Geschichte vom "Neinhorn"
Mit dem Neinhorn, dem Wasbären, dem Nahund und der Königsdochter begegnete das Publikum nach und nach vier Figuren mit ganz eigenem Charakter. Das „Neinhorn“ sagt gerne „Nein“ und selten „Ja“ und bevorzugt Schlammbad und angedatschte Äpfel gegenüber Zuckerwattewolken und Gliglaglücklichsein. Es macht sich auf den Weg ins „Nirgends“. Auf dem Weg dorthin begegnet es dem „Wasbären“, der sich neben besonderer Reinlichkeit durch schlechtes Hören auszeichnet – mal kann er nicht, mal will er nicht.
Gemeinsam treffen sie auf den Nahund, der das Sonnenbaden liebt, sich aber sonst eher durch Gleichgültigkeit auszeichnet. Nachdem dann noch die Königsdochter aus ihrem Turm befreit ist, ist das Quartett komplett und vier Freunde haben sich zwar nicht gesucht, aber definitiv gefunden. Während das Bilderbuch durch Wortspielereien, Endlosdiskussionen („Nein.“ „Doch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Was?“) und die Bilder von Astrid Henn überzeugt, zeigte sich das 45-minütige Kindertheaterstück als Mischung aus dem bekannten Wortlaut des Buches, kleinen Abwandlungen des Originals und dem klassischen Einbeziehen der Kinder, wie es aus dem Puppentheater bekannt ist.
So riefen die voll besetzten Kinderreihen vorne als auch die im restlichen Publikum verteilten Kinder weiter hinten kräftig mit, wenn sie gefragt wurden, ob sie mit nach „Nirgends“ kommen würden, oder wenn es galt, dem „Neinhorn“ einen Apfel zu zeigen – aus dem doch tatsächlich ein Wurm herausschaute. Und so wurde im Laufe des Stückes aus dem von der Welt der Einhörner genervten Wesen ein zwar noch immer am liebsten „Nein“ sagendes Neinhorn, das sich aber in Gesellschaft seiner ebenfalls nicht angepassten Freunde richtig wohlfühlte. Wie hieß es so schön: „Denn sogar bockig sein, macht zusammen mehr Spaß“.
Für das eine oder andere Kind war neben den plüschigen und liebevoll hergestellten Hauptdarstellern wohl der zwölfjährige Louis der heimliche Star. Denn als am Ende des Stückes die Puppenspieler vor den Vorhang traten, waren mit Inhaberin Gina Sperlich und ihrem Partner Alfred Krämer nicht nur die beiden Personen zu sehen, die sonst die Puppen zum Leben erwecken, sondern auch deren Sohn, der den Wunsch geäußert hatte, das Mitspielen auch einmal auszuprobieren und so in diesem Jahr erstmals die Erzählerrolle vom Papa übernahm. Der stand auch voll und ganz hinter seinem mutigen Sohn: „Es kann ja nichts passieren, ich kann immer einspringen. Nötig sein dürfte das eher nicht, denn Louis Sperlich meisterte seine Aufgabe mühelos. Dabei ist die gar nicht so einfach, denn nicht immer stimmen gesprochene und gespielte Rollen überein, wechseln die Figuren doch immer mal wieder zwischen den Puppenspielern.
Der Beruf des Puppenspielers lässt sich zwar erlernen, doch auch Mama Gina Sperlich ist hineingeboren. Alfred Krämer dagegen ist das Leben als fahrender Künstler zwar gewohnt, entstammt allerdings einer Zirkusfamilie. Bei einer Hochzeit lernte der heutige Puppenspieler seine Partnerin kennen und wechselte schließlich über ins neue und mit seinen Rahmenbedingungen ähnliche Metier. Mit Louis’ Interesse an der Puppenspielerei ist vielleicht schon der Fortbestand des Familienunternehmens gesichert, das nach eigenen Angaben in siebter Generation existiert und immer wieder Kinderbuchklassiker auf die Bühne bringt.
Ob Heidelberg, Rastatt oder Freiburg, das Theater Zauberwald macht an vielen Stationen Halt
Die Familie ist dafür im wahrsten Sinne des Wortes 365 Tage auf Achse, wie Alfred Krämer verrät, lebt sie doch im Wohnwagen und wechselt meist im Ein- oder Zweiwochentakt ihren Standort. Von Heidelberg ging es nach Hockenheim, bevor Achern, Rastatt und Freiburg angesteuert werden. Mit Onlineunterricht und Prüfungen über die Schule für beruflich reisende Kinder als Stammschule wird Louis Sperlich kontinuierlich versorgt. Das Klassenzimmer vor Ort wechselt er teilweise wöchentlich und war in Hockenheim an der Theodor-Heuss-Realschule zu Gast.
Unterwegs ist die Puppenspielerfamilie samt den eigenen Kindern üblicherweise mit Gina Sperlichs Eltern und ihrer 84 Jahre alten Oma. In Hockenheim hatte sich zudem Familienbesuch zu den eigenen Wohnwägen hinzugesellt.
Und so wie dieser Lebensstil heute alles andere als gewöhnlich ist, sind es auch die Charaktere rund um das aufgeführte Stück „Neinhorn“. Denn mit ihrem Zusammenraufen vermitteln sie eine wichtige Botschaft: Es muss nicht immer alles glänzen und vor Harmonie strotzen, Freundschaft erlaubt auch, dass jemand mal anderer Meinung oder schlecht gelaunt ist. Und gerade für Kinder, die ihre Autonomie durch eigene oder von der Erwachsenenwelt gesetzte Grenzen nicht immer so ausleben können, wie sie es gerne möchten, für die das „Nein“ und Widerstand gegen ebendiese Grenzen auf der Tagesordnung stehen, ist das doch eigentlich das Wichtigste: Zu wissen, mit allen Ecken und Kanten rundherum geliebt zu werden.
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