Hockenheim. Die Stimmung war eher verhalten, das Wetter grau und nass. Nur wenige Bürger fanden sich an diesem Nachmittag zur Podiumsdiskussion des Projekts „The Städt“ auf dem Vorplatz der AOK ein. Dennoch standen auf dem Podium bereit: Oberbürgermeister Marcus Zeitler, Staatssekretärin Elke Zimmer vom Verkehrsministerium, Julian Gedemer vom Städtetag Baden-Württemberg sowie die Planungsexperten Philipp Hölderich (Planersocietät), Christian Hörmann (Cima) und Dr. Sonja Rube (USP Projekte, München). Sie blickten zurück und gleichzeitig auf die Zukunft der Karlsruher Straße. Echte Beteiligung der Bürger blieb aber aus. Erst als der Regen aufhörte, kamen vereinzelt Zuschauer hinzu.
Vor etwas mehr als einer Woche wurde ein Teil der Karlsruher Straße testweise in eine Fußgängerzone umgewandelt – mit mehr Sitzgelegenheiten und Pflanzen, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. Bei der Podiumsdiskussion wurde eine erste Zwischenbilanz gezogen. Staatssekretärin Elke Zimmer lobte die schnelle Umsetzung der Stadt Hockenheim: „In der kurzen Zeit wurde viel umgestaltet. Das hat mich beeindruckt.“
Oberbürgermeister Marcus Zeitler konterte grinsend: „Wir sind ja auch eine Rennstadt.“ Er machte auch deutlich: Die Idee für eine Veränderung der Karlsruher Straße sei nicht neu, das Thema sei in Hockenheim schon lange in der Diskussion. Das Projekt bietet daher eine gute Gelegenheit, etwas Neues auszuprobieren. „Probieren geht über Studieren. Der erste Flieger ist auch nicht direkt bis nach Mallorca geflogen“, so Zeitler.
Verkehr, Begegnung, Klimaschutz in Hockenheim
Warum ein Verkehrsministerium an einem Stadtentwicklungsprojekt beteiligt ist? Darauf antwortete Zimmer: „Weil jede Ortsmitte an einer Straße liegt.“ Es sei kein reines Verkehrsthema, sondern ein soziales. Ortskerne müssten wieder lebendige Treffpunkte werden. „Die Menschen wollen sich austauschen, sich begegnen, in ein Café gehen“, sagte sie. Zudem müsse der Zugang zur Ortsmitte klimafreundlich werden. Sie selbst war an dem Nachmittag mit dem Fahrrad und Zug aus Mannheim angereist.
Julian Gedemer vom Städtetag Baden-Württemberg griff das Thema Konsumverhalten auf. Der Onlinehandel wachse seit Jahren, aber: „Online einkaufen ist kein Erlebnis. Vor Ort einkaufen und Menschen treffen ist etwas anderes.“ Und diese Qualität sei entscheidend für das Überleben der Innenstädte. Auch die Gastronomie lebe davon.
Zwischen Positivbeispielen und Praxisferne
Die Diskussionsrunde drehte sich weiter mit vielen Beispielen aus anderen Städten, viel Theorie, wenig Konkretem. In Nagold wurde bei der Landesgartenschau der innerstädtische Flussverlauf geöffnet und durch neue Uferbereiche sowie Grünanlagen aufgewertet, mit spürbarem Effekt auf die Aufenthaltsqualität. In Isny im Allgäu wurde der Durchgangsverkehr aus der Altstadt verlagert, wodurch der öffentliche Raum neu belebt und attraktiver für Anwohner und Besucher gestaltet wurde. Beide Städte zeigten, wie gezielte Umgestaltungen Innenstädte lebenswerter machen können. Gute Ideen, aber weit weg von Hockenheims Realität.
Wie es nach dem zweiwöchigen Experiment in der Karlsruher Straße weitergeht, blieb offen. Am 16. Juli soll eine Abschlussrunde stattfinden und über eine mögliche Verstetigung beraten werden. Zimmer verwies auf Fördermöglichkeiten: bis zu 75 Prozent Zuschuss bei baulichen Maßnahmen. Zeitler reagierte direkt: „Dann nehmen wir doch gleich die 75 Prozent und nicht nur ,bis zu‘.“
Er stellte auch klar: Die Finanzlage der Stadt sei angespannt. Und: „Man kann es nicht allen recht machen.“ Das Gemeinwohl müsse über dem Einzelwohl stehen. Rube betonte ebenfalls, dass es nicht um maximale Einzelinteressen gehe, sondern um die beste Lösung für alle.
Ein Jahr Feierabendmarkt
Dass Hockenheim Begegnungsräume hat, zeigt der einjährige Feierabendmarkt an der Zehntscheune. Auf die Frage, ob es nicht auch Sinn ergeben würde, diesen künftig in die Karlsruher Straße auszuweiten, antwortete Zeitler verhalten. Man solle nichts ändern, was schon funktioniere. „Never change a running system“, fand er. Man müsse einfach in Diskussion bleiben mit den Bürgern, was man machen könne.
Christoph Henninger, persönlicher Referent des OB, betrat im Anschluss das Podium und zeigte sich zufrieden mit dem Projektverlauf. Er habe viele positive Gespräche geführt und sich sogar selbst auf ein Skateboard gestellt, um die Straße zu testen.
Hockenheimer Stimmen aus dem Alltag
Georgios Lois, Betreiber des Café Lato, war anfangs ein Befürworter der Fußgängerzone. Nun zeigte er sich zwiegespalten. Die Straße sei weniger belebt, Kunden blieben aus. „Früher hielten Leute spontan an, jetzt fahren sie gar nicht erst rein.“ Man müsse aufpassen, sich kein Eigentor zu schießen.
Auch der AOK-Chef äußerte sich grundsätzlich positiv, hatte aber keine konkreten Vorschläge zur Nutzung des neugeschaffenen Raums. Auf die Anregung, vielleicht einen Spielplatz zu schaffen, reagierte er vage. Freie Flächen gegenüber seien eher interessant.
Matthias Filbert, Leiter der Postfiliale, sprach sich klar gegen eine Ausweitung der Fußgängerzone bis zum Ende der Karlsruher Straße aus. Anlieferung und Abholung seien für ihn schon jetzt schwierig, weil es zu wenig Parkplätze gebe für Kunden, die schwere Pakete nicht so weit tragen könnten. Das eigentliche Problem sei das wild Parken. Kunden wichen notgedrungen in unerlaubte Zonen aus.
Auch eine ältere Dame aus dem Publikum ergriff das Wort. Sie kommt wöchentlich ins St. Elisabeth. Eine Bekannte bringe dort ihren 86-jährigen, demenzkranken Ehemann zur Tagespflege. Ohne Auto sei das kaum machbar. Die Parkplatzsituation sei für Menschen mit Einschränkungen bereits jetzt eine Hürde.
Zwischen Ruhe und Leere
Anwohner Jochen Kern beobachtete weniger Verkehr und weniger sogenannte Poser-Kolonnen. Das sei angenehm. Doch auch er stellte fest: Die Plätze wurden kaum genutzt. Es brauche mehr Ideen, mehr Kreativität.
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Eine Bürgerin formulierte es deutlich: „Die Straße macht mich traurig.“ Der Rückgang des Einzelhandels sei unübersehbar. Cafés allein reichten nicht, um Leben in die Straße zu bringen.
Der Vermieter des Cafés „Et cetera“, Christian Sauter, sah das Projekt positiver. Die Verkehrsberuhigung sorge für mehr Sicherheit.
Wie geht es weiter?
Die endgültige Entscheidung liegt beim Gemeinderat. Zunächst steht die Brückensanierung an. In dieser Zeit wird die Straße ohnehin für Autos gesperrt. Das könne man als Verlängerung des Projekts sehen, sagte Henninger, als Chance, sich weiter an die neue Situation zu gewöhnen.
Doch der Nachmittag zeigte: Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Eine halbe autofreie Straße löst die Probleme der Karlsruher Straße nicht. Und solange Diskussionen theoretisch bleiben, ist der Rückhalt in der Bevölkerung verhalten.
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