Hockenheim. Er hatte gute Chancen, zum Symboltier für das Hochwasserschutz- und Ökologieprojekt (HÖP) zu werden. Kaum waren die Arbeiten an der Renaturierung des Kraichbachs abgeschlossen - auf rund 800 Meter erhielt der Wasserlauf sein natürliches Gepräge zurück - kaum hatte sich der Baulärm gelegt, da war es vor Ort anzutreffen und wurde im Lauf des vergangenen Jahres zum Lieblingsobjekt der Hobbyfotografen: der Eisvogel.
Mit seinem blauen Federkleid fällt der Kleinfischjäger, der mäßig schnell fließende oder stehende klare Gewässer liebt, auf und so wurde sein Tun und Treiben am Kraichbach aufmerksam verfolgt, er selbst zum Modell zahlreicher Naturaufnahmen. Doch der Eisvogel war nur die Speerspitze, der Lebensraum HÖP wurde von zahlreichen, zum Teil seltenen Tierarten und Pflanzen erobert. Genannt seien nur die Gebirgsstelze oder der Steinbeißer, der am Grund des Bachlaufs lebt.
Ja, es nahm einen erfreulichen Auftakt, das Leben am Bach. Nach über zweieinhalb Jahren Bauzeit war das 17-Millionen-Euro-Projekt Anfang 2020 offiziell eröffnet worden und auf dem besten Weg, zum Vorzeigeobjekt für ein Stück zurückgewonnene Natur inmitten urbaner Strukturen zu werden. Nun, im Frühjahr 2021 scheint der Traum ausgeträumt, hat sich nicht nur der Eisvogel rar gemacht, auch Kormoran oder Reiher schauen nur noch sporadisch vorbei - satt werden können sie am HÖP-Gelände ohnehin nicht mehr. Nur vereinzelt sieht man noch Stockenten oder Teichhühner lustlos nach Futter suchen. Die einzigen, die sich am Bach wohlfühlen sind Ratten, die allenthalben ihre Nester aufschlagen.
Natur mit Füßen getreten
Für das HÖP-Redaktionsteam steht der Schuldige an der Misere fest: Es ist der Mensch. Zwar hätten die Bürger das HÖP-Gelände schnell in Beschlag genommen, doch hätten sie dabei den Begriff „Ökologieprojekt“ nicht verinnerlicht, sondern den Bereich unter der Rubrik Freizeitgelände abgespeichert. „Die Natur wird mit Füßen getreten“, zeigt sich Dr. Sybille Heidenreich entsetzt. Zusammen mit ihrem Mann Uwe Heidenreich, Michael Schöllkopf und Eileen Riedel bildet sie das Redaktionsteam, entstanden aus der Gruppe Hockenheim für Klimaschutz, die wiederum ein fester Bestandteil der Lokalen Agenda ist.
In einer Videokonferenz mit unserer Zeitung macht das Quartett aus seiner Enttäuschung über den Zustand des HÖP-Geländes keinen Hehl und fordert harte Maßnahmen zu dessen Schutz. Adressat der Vorwürfe sind dabei Stadtverwaltung und Regierungspräsidium gleichermaßen, die bis jetzt keine Schritte zum Schutz des Projekts unternommen hätten.
Vordergründig sind es die üblichen Begleiterscheinungen, mit denen sich das HÖP herumschlagen muss - Müll und Vandalismus. Während Riedel die zu kleinen Mülleimer beklagt, sieht Schöllkopf wie überall, ob im Wald oder sonst wo in der Natur, die Nutzer in der Verantwortung - sie sollten gefälligst ihren Dreck wieder mitnehmen.
Für Dr. Sybille Heidenreich geht die Zerstörung des HÖP-Geländes noch viel weiter, von Ökologie könne nicht mehr die Rede sein: „Ich sehe keine Tiere mehr“, fasst sie die Eindrücke ihre Spaziergänge entlang des Kraichbachs zusammen. Stattdessen sehe sie Hunde am Wasser, Kinder die mit Steinen werfen, Stege, die zur Schlamminsel gebaut werden, Fahrradfahrer, die über Wiese und durch den Bach pflügen, Mütter, die ihre Sprösslinge auf die Enten hetzen oder Sonnenanbeter, die es sich mit ihren Decken am Kiesufer gemütlich machen, derweil Kinder und Hunde im Wasser planschen - Natur kann sich hier keine entfalten. „Wir haben keinen Fischlaich mehr im Wasser“, schildert sie die dramatischen Auswirkungen des Freizeitverhaltens der Menschen, die auf Tiere und Pflanzen keinerlei Rücksicht nehmen.
„Wir zerstören das HÖP so schnell wie die Regenwälder“, empört sich Heidenreich, die auf ein großes Missverständnis hinweist: Artenvielfalt und Biodiversität seien keine frommen Wünsche, sondern gesetzlich verankerte, schützenswerte Güter, die mit großen Projekten von Bund und Ländern gefördert, nur von der Kommune nicht wahrgenommen würden.
Stadt ist in der Verantwortung
Und es solle ihr keiner kommen und sein Verhalten mit Nichtwissen erklären wollen, verweist sie auf die überall aufgestellten Schilder, die über das HÖP-Gelände aufklärten, das eben keine Freizeitanlage, sondern ein Naturschutzprojekt sei. Angesichts der Wichtigkeit des Projekts müsste die vermeintliche Freiheit des Einzelnen dessen Verantwortung gegenüber der Natur weichen, müsse dieser mit Respekt begegnet werden.
Letztlich, so Heidenreich, gehe es auch darum, die bestehenden Gesetze endlich umzusetzen. Mit anderen Worten, das Fehlverhalten der Menschen solle nicht länger toleriert, sondern mit Sanktionen geahndet werden. Ihrem Mann Uwe Heidenreich ist schon vor dem Maifeiertag bange, wenn der renaturierte Kraichbach wieder zum Badestrand werden sollte.
Was Heidenreich auch aus einem anderen Grund nicht nachvollziehen kann, den er mit beliebig vielen Bildern dokumentiert: Die Schaumbildung auf dem Wasser ist ebenso extrem wie das Algenwachstum. Was mit seine Ursache in den vielen Klärwerken hat, die den Oberlauf des Baches säumen. Er selbst würde niemand empfehlen in das Wasser zu gehen und wenn mittlerweile selbst von Gemeinderäten die Einrichtung einer Badestelle gefordert werde, so kann er nur den Kopf schütteln.
Eileen Riedel kann dem nur zustimmen. Wie sie berichtet, hat ihr Bruder, der Biologie studiert, eine Wasserprobe mit an die Uni genommen und dort analysiert. „Ekelig“ und „das allergrößte Dreckwasser“ bringen das Untersuchungsergebnis gut auf den Punkt, stellte sie fest und berichtet von einer Mutter, die sie gewarnt habe, dass ihr Kind in Fäkalien bade, was diese schulterzuckend zur Kenntnis genommen habe.
Riedel kommt zum gleichen Ergebnis wie ihre Mitstreiter: kein Fisch, kein Eisvogel, kein Graureiher und kaum noch Enten mehr, dafür überall Ratten. Und Kinder mit Eimer und Schaufel, die im Hochwasserdamm buddeln: „Wir machen das HÖP schneller kaputt, als es errichtet wurde.“ Am meisten stört sie, dass die Menschen der Meinung seien, es sei ihr gutes Recht, sich so zu verhalten und somit kein Schuldbewusstsein hätten.
Michael Schöllkopf sieht die Entwicklung, die sich schon im vergangenen Jahr abgezeichnet habe, durch die Corona-Pandemie verstärkt: „Die Leute wollen raus, haben die Schnauze voll und halten sich nicht mehr an Regeln.“ Spricht man sie auf Fehlverhalten an, würden sie immer aggressiver reagieren, zeigt sich Schöllkopf resigniert - „ich laufe da schon lang nicht mehr lang, es nervt nur noch“.
„Die Verantwortung des Einzelnen für die Natur ist den Menschen nicht mehr klar“, fasst Uwe Heidenreich zusammen und fordert ein massives Vorgehen von Stadt und Regierungspräsidium. Das Ordnungsamt soll im HÖP-Gelände Streife laufen und auch die Sozialarbeiter sollten vor Ort nach dem Rechten sehen. Eileen Riedel kann sich zum Schutz der Tiere, der gewährleistet sein müsse, auch eine Einfriedung vorstellen.
Fakt ist, so das Quartett: Das HÖP-Areal ist kein Freizeitgelände, es dient der Artenvielfalt und der Biodiversität. Güter, die sich notfalls gerichtlich einklagen lassen, die jedoch besser von der Akzeptanz der Bevölkerung getragen werden sollten. Einfach, indem sich alle an die Regeln halten, die Schilder beachten, auf den Wegen bleiben und ihren Müll mitnehmen. Mehr braucht es eigentlich gar nicht, damit sich vielleicht irgendwann auch der Eisvogel wieder blicken lässt.
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