Hockenheim. Mit dem Osterfest verbinden die meisten Menschen positive Erinnerungen: Es ist die Zeit der Familientreffen, gemeinsamer Mahlzeiten, Spaziergänge und Geschenke. Bei betagteren Hockenheimern schwingen aber auch andere Erfahrungen mit dem Fest mit. Wer Ostern 1945 in der Stadt erlebt hat, denkt womöglich auch an die Bedrohung zurück, mit der die Stadt damals genau an dem christlichen Hochfest konfrontiert war. Der Zweite Weltkrieg war kurz vor seinem Ende vor den Toren der Stadt angekommen, ihr drohte die Zerstörung.
Ein Hockenheimer, der diese Tage als 15-Jähriger intensiv miterlebt hat, ist Altstadtrat Bernhard Fuchs. Er hat seine Erinnerungen an die schicksalhafte Situation schon mehrfach geschildert, unter anderem im April 2018 bei einer CDU-Veranstaltung über die Übergabe Hockenheims an die US-Army. Anlässlich der 80. Wiederkehr der Einnahme der Stadt ohne Kampfhandlungen berichtet er hier von seinen Erlebnissen.
Angst und Sorge herrschten vor, was geschehen würde
„Die Situation in Hockenheim kurz vor Ostern 1945 war besorgniserregend: Angst und Sorge herrschten vor: Was geschieht, wenn der Feind in Hockenheim einrückt? In Hockenheim waren Wochen zuvor große Panzersperren gebaut, große Löcher am Ende der Straßen ausgehoben und starke Baumstämme hineingestellt worden, zum Beispiel am Ende der Unteren und der Oberen Hauptstraße. Andere Einwohner berichteten noch von anderen Panzersperren im Ort.
Die deutschen Soldaten hatten sich am nördlichen und westlichen Stadtrand von Hockenheim eingegraben. An der Schwetzinger Straße, zirka 300 Meter von der Karlstraße entfernt, wo heute eine Tankstelle steht, und bei der Siedlung waren Panzerabwehrkanonen in Stellung gegangen. Amerikaner und Franzosen waren in die Pfalz vorgedrungen, Karfreitag 1945 wurde die Rheinbrücke bei Speyer von deutschen Soldaten gesprengt. Am östlichen Rheinufer wurden von Hitlerjungen und Volkssturm Schützen- und MG-Gefechtsstände errichtet.
Nun begannen die Amerikaner, Hockenheim mit Dauerfeuer zu beschießen. Ihr Ziel war die wichtige Kreuzung von Heidelberger-, Karlsruher, Unterer und Oberer Hauptstraße, als Fortunakreuzung bekannt. Die Bewohner dieses Bereiches waren alle in Luftschutzkeller oder sichere Schutzräume gegangen. 250 Meter im Umkreis der Fortunakreuzung herrschte Totenstille, die nur ab und zu unterbrochen wurde von amerikanischen Artillerieeinschlägen.
Nachdem Bürgermeister Neuschäfer und die NSDAP-Spitze geflogen waren, fanden sich einige bekannte und verantwortungsbewusste Bürger der Stadt zusammen, um das Heft des Handelns in die Hände zu nehmen, darunter der Lehrer Ludwig Grein, der Elektriker Martin Klenk, der für das gesamte Stromnetz in Hockenheim verantwortlich war und Emil Völker aus der Adlerstraße.
Zuerst entfernen sie alle Nazibilder und -embleme im Rathaus, dann verhandelten sie mit den deutschen Ortskommandanten, damit zum Beispiel nicht alle Brücken gesprengt würden. So konnte die Straßenbrücke über den Kraichbach weiterhin benutzt werden. Dagegen wurden die Überführungsbrücken (Straße und Eisenbahn) gesprengt, was sich später als großer Nachteil für Hockenheim erwies.
Mit dem Kaplan auf den Kirchturm gestiegen
Beim Vorrücken aus Richtung Talhaus verloren die Amerikaner mehrere Panzer. Nach diesem gescheiterten Angriff gaben die deutschen Soldaten ihre Stellungen auf und verließen Hockenheim in Richtung Südosten.
Nun wurden die Hockenheimer Bürger aktiv und besorgten sich weiße Tücher, die zu Fahnen genäht wurden. Ich war zu dieser Zeit im Keller des katholischen Pfarrhauses, als Ludwig Grein, Martin Klenk, Emil Völker und weitere Bürger bei Stadtpfarrer Englert erschienen und ihn überredeten, die weiße Fahne auf dem katholischen Kirchturm anzubringen. Englert beauftragte dann Kaplan Schmider, dies zu tun. Ich stand daneben und sagte, ich würde auch mitgehen.
Wir stiegen die Treppen des 65 Meter hohen Kirchturms hinauf und befestigten die weiße Fahne am großen Turmfenster. Wir blickten in Richtung Talhaus und Speyer, aber die ganze Gegend war in künstlichen Nebel gehüllt und über allem lag eine gespenstische Ruhe.
Am Morgen des Ostersonntags fuhren die ersten amerikanischen Soldaten ein
Ludwig Grein, Martin Klenk, Emil Völker und weitere Bürger gingen mit den weißen Fahnen den amerikanischen Soldaten entgegen und übergaben ihnen die Stadt Hockenheim. Am Morgen des Ostersonntags fuhren die ersten amerikanischen Soldaten mit Jeeps und gepanzerten Fahrzeugen in Hockenheim ein.
Einige Soldaten und Offiziere betraten die katholische Kirche Sankt Georg, in der Pfarrer Englert gerade mit einem kleinen Kreis von Kirchenbesuchern die Ostermesse feierte. Sie legten ihre Waffen nieder und knieten in den Kirchenbänken. Nach der Messe fragten sie, ob sich Waffen in der Kirche befanden, was Pfarrer Englert verneinte. Er zeigte dem amerikanischen Offizier einen Blindgänger, der in der Kirche eingeschlagen war. Dieser sorgte dafür, dass die Granate entschärft wurde- sie ist noch heute am Josefsaltar zu sehen. Von diesem Ostererlebnis hat der damalige Messdiener Bruno Benz immer wieder erzählt. Die Amerikaner fuhren in östlicher Richtung weiter.
Geistlicher Einsatz bewahrt Ludwig Grein vor Anklage
Einige Tage später kamen französische Soldaten der Fremdenlegion nach Hockenheim. Deren verantwortlicher Offizier befahl die Durchsuchung von Häusern nach Waffen. In der Oberen Hauptstraße zwischen katholischer Kirche und Rathaus wurden welche gefunden, soweit ich weiß Panzerfäuste. Die französischen Offiziere zeigten ihren Fund Ludwig Grein, der daraufhin verhaftet und nach Speyer ins Militärgefängnis gebracht wurde, wo er verurteilt und erschossen werden sollte.
Pfarrer Englert war über diese Nachricht erschrocken und die Menschen um Ludwig Grein bestürmten ihn, er möge sich für Grein einsetzen. Englert gelang es, einen katholischen amerikanischen Armeegeistlichen für sich zu gewinnen und beide machten sich auf den Weg nach Speyer zur französischen Kommandantur. Nach hartem Ringen gelang es den beiden, Grein freizubekommen.“
Ludwig Grein wurde 1945 als kommissarischer Bürgermeister eingesetzt, war Mitbegründer der CDU Hockenheim, später Partei- und Fraktionsvorsitzender. Er starb 1966 im Alter von 73 Jahren. 2017 beschloss der Gemeinderat, die Straße zur neuen Kraichbachbrücke am Messplatz nach ihm zu benennen.
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