Hockenheim. Die Bluttat in der Obdachlosenunterkunft im Auchtergrund am Abend des 26. September vergangenen Jahres hat die Menschen in Hockenheim aufgeschreckt, nicht zuletzt durch einen Großeinsatz der Polizei. Ein 29-jähriger Bewohner soll damals zwei Männer angegriffen und einen 49-Jährigen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt haben. Am Landgericht Mannheim hat jetzt der Prozess begonnen. Die Strafkammer unter Vorsitz von Richter Gerd Rackwitz verhandelt gegen den in Untersuchungshaft sitzenden Tunesier wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchtem Totschlag.
Erster Staatsanwalt Frank Stork verlas die Anklage, wonach der 29-Jährige zunächst mit einem 46-jährigen Mitbewohner in eine verbale Auseinandersetzung geraten sein soll, in deren Verlauf er unter dem Einfluss von Cannabis diesem mehrfach ins Gesicht geschlagen haben soll. Als Schlagwerkzeug soll er ein Messer benutzt haben. Bei dem Streit soll es um eine ebenfalls in der Unterkunft lebende Frau gegangen sein.
Herz und Lunge des Opfers wurden durch die Messerattacke verletzt
Ein 49-Jähriger, der nicht Bewohner der Unterkunft war, habe schließlich die körperliche Auseinandersetzung schlichten wollen. Dabei habe ihm der 29-Jährige mit bedingtem Tötungsvorsatz unter anderem einen Stich in den Bauchbereich versetzt, wodurch das Herz und die Lunge verletzt worden seien. Der Mann sei in der Toilette zusammengebrochen und habe vor Ort zweimal reanimiert werden müssen. Sein Leben habe nur durch eine umgehende Notoperation gerettet werden können.
Der 29-Jährige, der sich in Tunesien mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen hatte und Ende 2014 von Italien über die Schweiz nach Deutschland gekommen war, schilderte seinen Werdegang nach der Ankunft in der Bundesrepublik. Zunächst habe er in einer Asylunterkunft in Wiesloch gewohnt. Drogen und Alkohol hätten aber zu Problemen geführt. Er habe keine Aufenthaltsgenehmigung erlangen können.
Er sei im Asylantenheim öfters von Mitbewohnern bedroht worden. Wegen Diebstählen und Körperverletzungsdelikten habe er schließlich eine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe absitzen müssen. Danach habe er einen Reisepass beantragt, der ihm aber verweigert worden sei, weil er sich als Algerier ausgegeben habe.
Ein Dolmetscher übersetzt die Aussage des Angeklagten in die arabische Sprache
Der 29-Jährige, dessen Aussage von einem Dolmetscher für die arabische Sprache übersetzt wurde, schilderte eine andere Sichtweise des Sachverhalts als die Anklage. Er habe mit dem 46-jährigen Mitbewohner zwar öfters Streit gehabt, bestätigte er. Der Türke und zwei syrische Männer hätten ihn immer wieder nach der Frau gefragt: „Die planten was gegen mich.“ An manchen Tagen habe man aber auch zusammen Alkohol getrunken und Cannabis konsumiert. Am Tattag sei es in der Küche der Unterkunft dann wieder zu einem Streit gekommen. Plötzlich habe der 46-Jährige ihn attackiert. Er habe sich nur gewehrt, auch noch, als der Kumpel des 46-Jährigen hinzugekommen sei: „Das nennt man in Deutschland Selbstverteidigung.“
Er habe mit dem Messer auf den 49-Jährigen eingeschlagen, ihn aber nicht töten wollen, sagte er aus. Die Anklage sei eine einzige Lüge, bestritt er die Zeugenaussagen zum Tathergang.
Das Schwurgericht muss nun herausfinden, was an jenem Abend genau passiert ist. Eine 32-jährige Polizeibeamtin des Reviers Hockenheim berichtete von dem Einsatz im Auchtergrund. Man habe den Beschuldigten und den 46-Jährigen gemeinsam vor der Unterkunft angetroffen. Den schwer verletzten 49-Jährigen habe man erst später nach einem Hinweis blutüberströmt in der Toilette aufgefunden.
Der Angeklagte wollte die Tatwaffe und möglicherweise Drogen verschwinden lassen
Die Situation sei ohnehin zunächst unübersichtlich gewesen. Der Angeklagte sei mittels einer Leiter durch das Fenster in sein Zimmer zurückgeklettert, um das mutmaßliche Tatwerkzeug und eventuelle Drogen verschwinden zu lassen. Das Messer, in zwei Teile zerbrochen, wurde Stunden später von der Polizei im Feldbereich bei der Unterkunft gefunden. Am Tatort sei es „sehr turbulent“ zugegangen, gab eine 34-jährige Kriminalbeamtin zu Protokoll. Als die Spurensicherung und die Kriminaltechnik ihre Arbeit begonnen hätten, habe der Notarzt noch nicht sagen können, „ob das Opfer es schaffen wird“.
Der 49-Jährige, der zurzeit immer noch in einer Klinik untergebracht ist und bei seiner Aussage in psychosozialer Prozessbegleitung war, kann sich an den eigentlichen Messerangriff nicht mehr erinnern. Er habe immer noch Angstzustände und Albträume. Während der Therapie seien aber immer mehr Einzelheiten der Bluttat aufgekommen. Den Angeklagten habe er vorher nicht gekannt.
Der 46-jährige Mitbewohner, der aus der Haft wegen Körperverletzung vorgeführt wurde, schilderte dem Gericht den Ablauf der verbalen Streitigkeiten vor der Attacke. Strafverteidiger Steffen Kling wollte, wie auch das Messeropfer, den 46-Jährigen durch das Gericht belehrt wissen. „Es ging mittags schon los, er hat mich angeschrien, plötzlich habe ich einen Faustschlag ins Gesicht bekommen, dabei hat er mir das Nasenbein gebrochen“, schilderte der 46-Jährige, der auch Schnittverletzungen am Kopf davongetragen hatte, die Attacke auf dem Flur der Unterkunft.
Opfer wäre fast auf der Toilette mit einem Herzstillstand gestorben
Als sein Freund habe schlichten wollen, sei der Angeklagte auf ihn losgegangen. Er habe gar nicht mitbekommen, dass sein Kumpel so schwer verletzt worden sei: „Ich dachte, er hat die Unterkunft schon verlassen. Dabei lag er mit Herzstillstand in der Toilette.“
Der Angeklagte habe bei dem Kampf einen Gegenstand in der Hand gehabt, ein Messer habe er aber nicht erkennen können. „Er hat mich nur provoziert. Er konnte mich nicht leiden und hat mich ständig beleidigt, dabei wollte ich gar nichts von der Frau“, sagte der 46-jährige Türke über das Verhalten des Tunesiers in der Obdachlosenunterkunft.
Die Strafkammer nahm noch Lichtbilder vom Tatort und von der Kleidung des Opfers in Augenschein. Die Verhandlung wird am Dienstag, 27. Juni, um 9 Uhr am Landgericht fortgesetzt. Dann hört die Kammer unter anderem einen Kriminaltechniker und einen Sachverständigen der Rechtsmedizin.
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