Konzert

„Rockanarchie“ macht im Pumpwerk Hockenheim Welthits zu neuen Kunstwerken

Thomas Blug und Rudi „Gulli“ Spiller sorgen im Hockenheimer Pumpwerk für gute Laune. Rockklassiker wie Stevie Wonders „Superstition“ dürfen dabei nicht fehlen.

Von 
Matthias H. Werner
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"Thomas Blug's Rockanarchie" begeistert das Publikum mit seiner Interpretation von Welthits. © Dorothea Lenhardt

Hockenheim. Eine Rocknacht der absoluten Oberklasse hat erneut Station im altehrwürdigen Kulturzentrum „Pumpwerk“ gemacht und ein Feuerwerk nicht nur der Musikgeschichte, sondern vor allem der künstlerischen Größe abgefackelt, das es in sich hatte: Die „Rockanarchie“ hat ihr restlos begeistertes Publikum ergriffen und auf eine Reise durch Zeit und Wahrnehmungsräume geschickt.

Thomas Blug und Rudi „Gulli“ Spiller sind nicht nur für das Spektakel verantwortlich, sondern dienen gleichzeitig als so etwas wie das unübertreffbare Qualitätssiegel für großartige Musik bei höchstmöglicher kreativer Freiheit: Das Saarländer-Doppel ist Garant für ehrliche, nicht live gespielte, sondern im Augenblick entstandene Musik, die aus den Welthits vergangener Tage ein Klangerlebnis fesselnder Gegenwart macht. Wenn sie sich dann unterschiedliche Drummer – diesmal Thomas „Tommy“ Fischer, den man vor allem von Miller Anderson kennt, der aber auch schon für Jule Neigel, Wolfgang Niedecken oder „Fools Garden“ in die Pötte schlug - mit aufs Podium setzen, ist nicht nur das Who-is-Who der Musikszene beieinander, sondern vor allem grandioser Sound garantiert.

Die „Rockanarchie“ gestaltet alte Hits im Hockenheimer Pumpwerk neu

Einheizer hätten die beiden Ausnahmemusiker eigentlich nicht gebraucht – und sich doch über den Support, mit dem „Gallery in Rock“ den Musikabend eröffnete, gefreut. Die vier Hardrocker um Gitarrist und Sänger Otto Fischer und den Mannheimer Gitarristen Gürdi Süren pflegen einen „dirty“ Sound, der mehr auf Groove setzt, als auf Differenziertheit: Fischers raue Stimme und die vielen eigentlich hörenswerten Gitarren-Einlagen gehen in einem knallharten Gesamtsound unter und mischen diesen zu einem mitreißenden Rockfanal. Was durch die insgesamt eher mittelmäßige Leistung der Abmischer am gesamten Abend noch verstärkt wurde.

Sekundiert von Drummer Uwe Schreiber und dem Neuzugang Franzesko Barocchia am Bass gab die „Gallery“ einen Streifzug irgendwo zwischen „You really got me“, mit dem die „Kings“ 1964 ihren ersten Welthit landeten, dem „Electric Light Orchestra“ und seinem größten Hit „Don’t bring me down“ und „Pink Floyd“. Gerade deren Hymne „Another Brick in the Wall“ in einer fast symphonisch anmutend ausgeschmückten Neuinterpretation, die erdig bleibt und in den ekstatischen Gitarren-Akzenten trotzdem funkelt. Als Fischer zu einem extrem intonierten „Steeler“ (Judas Priest) am Boden eine grandiose Gitarren-Performance hinlegte, war der Acker unbedingt bereitet für „Rockanarchie“: Alte Hits neu gemacht.

Thomas Blug und Rudi „Gulli“ Spiller begeistern mit ihrer virtuosen Spielweise

Blug und Spiller haben für ihre Auftritte kein Programm, „sondern spielen einfach so“, wie der charismatische Gitarrist, der 1997 vom Deutschen Rockmusikerverband zum besten deutschen Rock-Pop-Gitarristen gekürt und 2004 bei der Geburtstagsfeier zum Fünfzigsten der legendären Fender „Stratocaster“, die er auch an diesem Abend spielte, zu einem von sechs „Stratkings of Europe“ erhoben wurde, augenzwinkernd ankündigt – um dann „einfach so“ zu spielen. Mit einer Leichtigkeit, die verblüfft bei einer ungehemmten Fantasie und einer virtuosen Spielweise, die Münder offen stehen ließ.

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„Rockanarchie“ hat nicht nur kein Programm, sondern auch keine eigentlichen Titel: Als Power-Trio schnappen sie sich einen bekannten Welthit und interpretieren diesen völlig neu – mit Einschüben aus anderen Songs, Verschränkungen mit Filmmusiken und aus der Klassik. Die Spielfreude, die funkend von der Bühne stäubt, versetzt die doch weitgehend der Boomer-Generation angehörenden Zuhörer in Zeiten zurück, als auch die großen Stars noch nicht das Publikum bedienen, sondern ihre eigene Musik machen wollten.

So wurde schon aus dem Opener „Come together“ (Beatles) am Ende ein elfminütiger wuchtiger Mix aus Farben und Rhythmen, der es in sich hatte: Der Text tritt hinter Blugs Gitarre und ihre zahllosen Akzente und tonalen Intarsien, die – mal ganz trocken, mal mit höchstem Pedal-Einsatz klanglich entrückt – Dreh- und Angelpunkt der „Rockanarchie“ ist, zurück und schafft Raum für klangliche Erfahrungen, die mal fesseln, mal in unbekannte emotionale Sphären katapultieren.

Hits wie „Hey Joe“, „Stayin’ Alive“ oder „Superstition“ dürfen nicht fehlen

„Hey Joe“ ist ein Rock-Standard, dessen Urheberschaft umstritten ist. Am bekanntesten wurde der Song in der Version von Jimi Hendrix aus dem Jahr 1966. Die drei Musiker bauten das Stück neu auf – trotz der klaren Dominanz der Gitarre trug jeder von ihnen etwas Eigenes bei. Sie bereicherten die Version mit musikalischen Zitaten, etwa aus „Another Brick in the Wall“, dem Bee-Gees-Hit „Stayin’ Alive“ oder Stevie Wonders „Superstition“, das der US-Amerikaner 1972 alleine textete, komponierte und in mehreren Durchgängen auch einspielte. Zusätzlich tauchten kleine Anklänge an berühmte Filmmusiken auf – etwa an „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder das „James Bond“-Theme. So entstand ein rund 20-minütiges Fest aus Klängen und Beats. Daran schloss Thomas Blug nahtlos eine kunstvolle E-Gitarren-Version von Bachs „Toccata und Fuge in d-Moll“ an. Das Ergebnis: atemberaubend und unvergleichlich.

"Gallery in Rock" spielt als Support von Thomas Blug's Rockanarchie im Pumpwerk. © Dorothea Lenhardt

Mit ihrem charakterstarken Sound und vor allem einer auch technisch unglaublich diffizilen Klangakrobatik begeisterte die „Rockanarchie“ ihre Zuhörer ausnahmslos. Tommy Fischer gab eine reich ausstaffierte, mal anheizende, mal ganz gediegene Drums-Unterlage. „Gulli“ Spiller setzte darauf mit einem fantasievollen Bass und vor allem einer Stimme, die an die musikalischen Versatzstücke angepasst war, nicht um diese zu imitieren, sondern um den zeitlichen und atmosphärischen Bezug herzustellen, auf. So servierten sie Thomas Blug, der jeden frenetischen Applaus für ein Solo mit einem bescheidenen Winken quittierte, als Sahnehäubchen.

Der „Stratking of Europe“ sorgt mit seinem Konzert für gute Laune

„Papa was a Rolling Stone“ – eigentlich von der Motown-Gruppe „The Undisputed Truth“, später von den „Temptations“ und einer faszinierenden Aufnahme im Wembley-Stadion von George Michael zu Weltruhm geführt – ging dabei eine wie aus einem Guss wirkende Ehe mit „Funkytown“, den die US-amerikanische Studio-Formation „Lips, Inc.“ Ende der 1970er Jahre zum Disko-Klassiker machte, ein. So gelangten die Musiker wie naturgegeben zur Schlusskadenz von Billy Gibbons und Dusty Hill von „ZZ Top“: „Every girl crazy bout a sharp-dressed man“. Und das nicht in drei Stücken, sondern in einem einzigen, das mehr als 20 Minuten fesselnde Aufmerksamkeit mit gleichzeitig ausgelassen guter Laune vereinte.

Die „Rockanarchie“ ist keine Band, kein Jam-Ereignis, sondern ein eigenes, sehr ehrliches und solitäres Musikuniversum, in das man sich verlieren will. Charakterstark, eigenständig, jeder Auftritt einzigartig und nicht wiederholbar – so, wie Musik dereinst war, als MP3 noch unbekannt und Live en vogue war.

Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

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