Hockenheim. „Frisch, Frech, Fröhlich, Frei!“ Unter diesen vier „F“ heizten die Akteure des Kikeriki-Theaters am Mittwochabend die Hockenheimer Stadthalle ein. Kaum ein Auge bei den zahlreichen Besuchern blieb trocken, denn mit dem Stück „Siegfrieds Nibelungenentzündung“ präsentierte die Darmstädter Theatergruppe eine teils skurrile, aber sehr erheiternde Version der allseits bekannten Sage rund um den Helden Siegfried.
Die Kikeriki-Version soll die Wahrheit ans Licht bringen, also zeigen, wie sich damals wahrhaftig alles abspielte, und aufdecken, was die Sage sonst verschweigt. In charmanter hessischer Mundart präsentierte die Theatergruppe, die in der Darmstädter Comedy Hall ansässig ist, ihr Stück dem Publikum. Was dabei Wahrheit oder Halbwahrheit ist, darf der Zuschauer selbst entscheiden. So auch in Hockenheim.
Ganz eigener Stil
Einig waren sich die meisten Besucher zumindest darin, dass der Wahrheitsgehalt der Anspielungen auf gesellschaftliche und politische Themen definitiv hoch einzustufen ist, durch die Ironie jedoch so belustigend dargestellt, dass viele Zuschauer nicht anders konnten, als herzhaft zu lachen.
Dieser Umstand ist dem ganz eigenen Stil des Kikeriki-Theaters zuzuschreiben, denn gerade damit hebt sich das komödiantische Puppen- und Menschentheater deutlich von der breiten Masse ab. Ebenso dadurch, dass die Theatergruppe ihre Stücke selbst verfasst, die einzigartigen Puppen selbst baut und auch sonst alles in Eigenregie entstehen lässt. Dazu ein teils ironisches, teils liebvolles hessisches Mundartspiel. So passierte es auch an diesem Abend, dass aus den Worten „wie Leder“ plötzlich ein missverständliches „Vileda“ wurde und Roland Hotz, einen der Hauptakteure, nahezu in den Wahnsinn trieb.
So aber war es dem Publikum ein Leichtes, denn Roland Hotz’ Anweisungen zu Beginn der Vorstellung lautete: „Es darf gerne laut gelacht werden. Reines Schmunzeln hört man so schlecht. Erst recht nicht, durch die Maske!“ Mag sein, dass manchem durch die Pandemie weniger nach Lachen zumute ist, doch erklärt Hotz sofort, warum Lachen so wichtig ist. Immerhin steigt damit der Sauerstoffgehalt im Blut und zugleich schadet es ja nicht, dem Alltäglichen zu trotzen. So auch das Motto, unter dem die Truppe als Haus-Ensemble oder als Gastspieltruppe den Frohsinn auf die Bühne bringt.
Nachdem Roland Hotz die Zuschauer in der „alten Oper von Hockenheim“ begrüßt hatte, konnte das Sagenspiel rund um den Helden Siegfried seinen Lauf nehmen. Nacheinander kamen die bekannten Charaktere der Heldensage ins Spiel – Siegfried selbst, der Drache, Krimhild und alle anderen. Es wurde gekämpft, geliebt, gefeiert – und am Ende auch gestorben. Denn hier erfuhren die Menschen die wahren Todesumstände Siegfrieds, der schlichtweg nicht genug bekommen konnte vom Zaubertrank, der ihm die Sinne vernebelte und ihm somit sein Heldentum zu Kopf steigen ließ. Damit war der Zwerg Alberich aus Heidelberg ans Ziel gelangt, denn er wollte Siegfried krepieren sehen. Das Lindenblättchen brauchte es also gar nicht, obwohl es als kleine Erinnerung dezent ins Bühnenbild eingearbeitet worden war.
Wer das Kikeriki-Theater kennt, weiß, dass hier die detailliert gefertigten, unkonventionellen Puppen die Hauptakteure sind. In diesem Stück kann man wahrhaft von einem mittelalterlichen Blechspektakel sprechen. Der schlagfertige Siegfried war ein Dosen-Kerlchen mit blonder Zottelfrisur und hipper Sonnenbrille. Auch die anderen Figuren zeigten viel Blech. Die vollbusige Brunhild zierte zusätzlich eine heiße Ledermontur. Mit dem schwulen Drachen pflegte Siegfried zwischendurch ein Techtemechtel und der heimtückische Zwerg Alberich fiel durch seine immense Hakennase auf.
Aktuelle Themen eingewebt
Diese Nase war es auch, mit der Siegfried ihn zwischendurch im Gespräch aufzog, als sie sich über die 67 Quadratmeter-Wohnung unterhielten, günstig vom Zwerg gemietet bei der Wohnungsbaugenossenschaft. „Da habt ihr Zwo es aber groß“, schwärmte Siegfried. „Für den Zwerg und seine Nase“, löste Siegfried schließlich auf.
Dies waren keinesfalls die einzigen Ausflüge in zeitgenössische Themengebiete. Mal ging es um günstige Gürtel von Amazon, Tätowierungen und Piercings – man stelle sich das an 70-Jährigen vor – oder auch um die heutige Bildschirmgesellschaft, die zunehmend verkommt und nicht lebensfähig ist.
Kein Blatt wurde vor den Mund genommen. Vielleicht nicht immer politisch und gesellschaftlich korrekt, andererseits handelte es sich schlichtweg um den berühmten vorgehaltenen Spiegel. Wie gut, dass die Zuschauer trotz Derbheit, gemischt mit einer Portion schwarzen Humor, herzhaft lachten. Es gab keine Möglichkeit zum Zappen, alles war real, doch auch keiner der Zuschauer schien das Bedürfnis zum Umschalten zu haben. Selbst Zuschauer aus Ludwigshafen bekamen die Chance, alles zu verstehen, denn Roland Hotz übersetzte zwischendurch simultan in „Gebärdensprache“.
Vielleicht vorteilhaft, dass nicht alle 4500 Verse der ursprünglichen Heldensage rezitiert wurden, damit das Publikum das nahende Weihnachtsfest zu Hause verbringen kann. Somit fand der kurzweilige Abend nach zwei Stunden unter tosendem Applaus ein Ende und die Zuschauer wurden mit Lachtränen in den Augen in die Nacht entlassen.
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