Hockenheim. Die deutsche Rapszene befindet sich in ständiger Veränderung. Während die frühen 2000er von Frauenfeindlichkeit, Kriminalität und dem harten Leben auf der Straße geprägt waren, hat sich mit der Coronapandemie eine neue Hip-Hop-Generation gebildet. Politisch korrekt, eloquent und voller Liebe für die Fans: So inszenieren sich junge Männer und Frauen in ihren 20ern, die momentan die Musikbranche der Bundesrepublik auf den Kopf stellen. Ganz vorne mit dabei ist Ski Aggu, ein Berliner, der sich nur schwer in eine Schublade stecken lässt. Im September möchte er beim Glücksgefühle Festival auf dem Hockenheimring das machen, was er am besten kann: einen „Safespace“ für jeden schaffen.
Ski Aggu, der mit bürgerlichem Namen August Jean Diederich heißt, wurde 1997 geboren und wuchs in Berlin-Wilmersdorf auf. Ganz unbekannt ist seine Familie auch schon vor dem großen Durchbruch des Künstlers nicht – immerhin ist sein Großvater der Politikwissenschaftler und Sozialdemokrat Nils Diederich. Was die zwei Familiengenerationen trennt, ist zumindest die optische Seriosität: So war sein Großvater meist im Anzug unterwegs, Aggu hingegen ist für die bunte Skibrille bekannt, die seine Augen verdeckt, und provoziert gerne mit seinem szeneuntypischen Kleidungsstil. Was er beim Glücksgefühle Festival tragen wird, kann kaum vorhergesagt werden, nur dass das Oberteil so kurz sein wird, dass die Fans seinen Bauchnabel sehen können, scheint recht sicher.
Ski Aggu arbeitete mit Otto Walkes zusammen
Musikalisch geht der Rapper, der 2018 mit 21 Jahren damit anfing, seine Songs auf der Plattform „Soundcloud“ hochzuladen, einen ganz eigenen Weg. Schon die grundsätzliche Musikrichtung lässt sich dabei nicht so einfach definieren. Zwar rappt Aggu zweifelsohne, die Beats erinnern aber eher an Techno aus den 1990ern und können bis hin zu Hardcore reichen oder auch mal ein wenig Metal in die Songs einbinden. Ähnlich unvorhersehbar sind auch seine Features und sonstigen Kooperationen. Seine bis dahin erfolgreichste Veröffentlichung ist ein Sampler des humoristischen Lieds „Friesenjung“ vom Komiker-Urgestein Otto Waalkes, der auch im Musikvideo zum Song mitspielte. Eine Neuschöpfung, die sich in einer fiktiven Musikskala irgendwo zwischen Schlager, Techno und Hip-Hop zuhause fühlt.
Daneben hat Aggu Songs mit altbekannten Rap-Ikonen wie Raf Camora („Liebe Grüße“) zusammengearbeitet, produziert Balladen mit Gesangstalenten wie Zartmann („Wie du manchmal fehlst“) und begeistert die Jugend mit leichter und entspannender Sommermusik, für die er sich gerne auch mal mit der bekannten Gruppe 01099 zusammentut („Anders“). Ein Mix, der ihn auch in seiner Solomusik erfolgreich macht: Party existiert neben Herzschmerz, Humor und natürlich auch ein bisschen Selbstbeweihräucherung, die in der Szene nicht fehlen darf.
Glücksgefühle Festival auf dem Hockenheimring: Wortspiele zu Drogen
Maßgeblich am großen Erfolg des Rappers beteiligt sind seine Texte, die oft simpel wirken, bei näherer Betrachtung allerdings vor Wortspielen, Metaphern und Neologismen triefen. Beispielsweise ist „Party Sahne“ zu nennen, ein Lied, das mit dem gleichklingenden Wort „Partisane“ spielt. Seinen Drogenkonsum, der in seiner Musik einen bedeutsamen Platz einnimmt, beschreibt er, indem er sich mit einer Sonnenbrille vergleicht, die ja auch „auf Nase“ sei. Er habe keine Flagge in der Hand, aber eine Fahne, und wenn er eine Frau für sich gewinnen wolle, sei das wie beim Münzwurf: Aggu müsse nur zweimal schnipsen und bekomme einmal Kopf.
Wer nun aber glaubt, die Musik des Rappers sei sexistisch, der hat höchstens in Teilen recht. Zwar spielt der Berliner in seinen Lyrics selbstironisch mit den klassischen Klischees der Szene, allerdings deutlich seltener und weniger explizit, als vom Genre gewohnt. Immer wieder tritt er mit Ikkimel auf, einer Künstlerin, die den sogenannten „Fotzenrap“ vertritt, der die Selbstbestimmung der Frau in den Vordergrund rücken soll. Gemeinsam mit der deutschlandweit bekannten Rapperin Shirin David präsentierte er den Song „Atzen und Barbies“ an Silvester am Brandenburger Tor – für viele Fans ein Meilenstein auf dem Weg zur gleichen Akzeptanz von Frauen in der Szene.
Die Branche dankt dem Künstler sein Erschaffenes mit Rekorden: Das Lied „Friesenjung“ hat über 200 Millionen Spotify-Streams, bei der diesjährigen Preisverleihung staubte Aggu gleich zwei „1Live Kronen“ ab und konnte bei einer USA-Tour, die er im Frühjahr bestritt, ausschließlich ausverkaufte Shows abhalten. Und die Message, die er verbreiten will, ist trotz aller Widersprüche in seiner Kunst klar: „Wir sind alle offen, Bruder, das ist der Berlinway“, wie er in „Kein DJ“ erklärt.
Ski Aggu vertritt auf dem Glücksgefühle Festival in Hockenheim eine neue Generation des Deutschraps – eine Generation, die sich nur schwer einordnen lässt. Die sich einerseits über das „leichte Leben“ mit Drogen, Sex und Party definiert; eine Generation, die Rap andererseits liebevoller, weltoffener und vor allem achtsamer gestalten möchte. Aggu lässt sich eben nicht in eine Schublade stecken – wer es wirklich verstehen möchte, der muss es hören.
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