Hockenheim. Betrachtet man die Entwicklung des deutschen Hip-Hops in den vergangenen 30 Jahren, könnte man grob zwei Generationen an Vorreitern zu den aktuellen Rapstars benennen: Anfang der 1990er Jahre bis zum Jahrtausendwechsel brachten Künstlern wie Torch aus Heidelberg oder das Rödelheim-Hartreim-Projekt aus Frankfurt das bis dahin hauptsächlich in den USA beliebte Musikgenre nach Deutschland. Dies ebnete den Weg für die kommerzielle Wahrnehmung und Salonfähigkeit des sogenannten Gangster-Raps, der zu Beginn der 2000er Jahre vor allem in Berlin Einzug hielt.
Ein Pionier aus dieser Zeit ist bis heute einer der Superstars des deutschen Hip-Hops und wird im September bereits zum zweiten Mal zum Glücksgefühle Festival der Organisatoren Lukas Podolski und Markus Krampe auf den Hockenheimring kommen: Paul Hartmut Würdig. Auch wenn sich der Name zunächst wie der eines Schlagersängers anhören könnte, so ist doch das Synonym des Berliners wohl in ganz Deutschland bekannt: Sido.
Sido und Apache 207: Zwei Generationen des Deutschraps beim Glücksgefühle Festival
Gemeinsam mit weiteren Größen des Genres wie Kool Savas oder Bushido ist der heute 44-Jährige entscheidend für die erfolgreiche Entwicklung des deutschen Raps verantwortlich und damit auch einer der musikalischen Wegbereiter für heutige Stars wie Kontra K oder Apache 207. Letzteren wird er bei den Glücksgefühlen im September treffen, denn der Ludwigshafener tritt als Headliner am Freitag auf der Euphoria-Stage auf.
Doch Sidos Weg zum deutschlandweit bekannten Rapper war durchaus steinig und von Skandalen begleitet. Bis zu seinem neunten Lebensjahr wuchs Sido im Bezirk Prenzlauer Berg in Ost-Berlin auf, bevor er mit seiner Mutter in die Bundesrepublik übersiedelte und dort zeitweise in einer Asylunterkunft im Berliner Stadtteil Wedding lebte.
Schnell kam Würdig zum Deutschrap und verarbeitete damit seine Erlebnisse als junger Mensch in den Problembezirken Berlins. Schließlich war es das legendäre Plattenlabel „Royal Bunker“ - bekannt für seinen Vertrieb von provokantem Battle-Rap - das Sido bei einer Open-Mic-Session in einer Berliner Kellerkneipe entdeckte und ihn gemeinsam mit seinem Jugendfreund und Wegbegleiter B-Tight unter Vertrag nahm.
Glücksgefühle Festival in Hockenheim: Mit Sido kommt eine deutsche Hip-Hop-Legende
Was seitdem passierte, kann gut und gerne als deutsche Rap-Geschichte betrachtet werden: Als Kopf der Crew „Die Sekte“ lag Sido schnell in direkter Konkurrenz mit der ähnlich beliebten Formation „M.O.R.“ von Kool Savas - beide standen damals bei „Royal Bunker“ unter Vertrag. Damit nahm der Gangsterrap in der Bundeshauptstadt richtig Fahrt auf und Berlin wurde - gemeinsam mit dem stilistisch konträren Sound aus Hamburg, mit Künstlern wie den Absoluten Beginnern oder Dynamite Deluxe - schnell zum Epizentrum des deutschen Hip-Hops.
Nach der Trennung von „Royal Bunker“ entstand das Label „Aggro Berlin“ und Sido feiert seinen ersten großen kommerziellen Erfolg. Mit silberner Totenkopfmaske, Baggy-Kleidung und ohne Rücksicht auf Etikette in seinen Texten führte Würdig das breite Publikum bei seinem ersten großen Charterfolg in „seinen Block“.
Der Song beschreibt die - vorgeblich - ghettoartige soziale Realität in einem Plattenbau der Berliner Trabantenstadt Märkisches Viertel und traf den damaligen Zeitgeist perfekt. Aufgrund von teilweise sexistischen und gesellschaftskritischen Texten gerieten Sido und seine Labelkollegen wie Bushido oder Fler außerdem schnell in den kritischen Fokus der öffentlichen Wahrnehmung.
Das Album „Maske“, aus dem der Hit „Mein Block“ ausgekoppelt wurde, erreichte schnell Goldstatus und Sido befand sich in kürzester Zeit auf dem Olymp des deutschen Raps. Der Maskenmann war gefragt wie nie zuvor und alles, was er oder seine Kollegen von „Aggro Berlin“ anfassten, schien zum Megaerfolg zu werden. Weitere Auskopplungen aus dem Album wie „Fuffies im Club“ oder „Mama ist stolz“ förderten die Bekanntheit des Rappers und des Labels. Einige dieser Stücke performte Sido bei seinem Auftritt als Headliner beim ersten Glücksgefühle Festival, Gleiches gilt für den satirischen Lovesong „Carmen“, der seit jeher zu den absoluten Fan-Favourites aus Würdigs Diskografie zählt.
2009 legt Sido die Maske endgültig ab und bleibt streitbar
Das Image des unnahbaren und knallharten Maskenmanns, das Würdig mit zahlreichen TV-Auftritten und Streitereien - sogenannten „Battles“ - mit anderen Rappern untermalte, legte Sido im Jahr 2009 ab nach zahlreichen Charterfolgen und Auszeichnungen für Plattenverkäufe. Der Zeitpunkt, an dem sich Sido von seiner Totenkopfmaske verabschiedete und das Label „Aggro Berlin“ beerdigt wurde, stellt einen Schlüsselmoment in seiner Karriere und seinem Privatleben dar.
Sonnenbrille, Vollbart und oftmals bunte Outfits standen bewusst im Kontrast zum bisherigen Auftreten des Berliners und ließen den Rapper weiter auf der Erfolgswelle reiten. Trotzdem blieb Würdig aufgrund einiger Skandale einer der umstrittensten Künstler der deutschen Musikszene. So schlug er beispielsweise als Jurymitglied der österreichischen TV-Sendung „Große Chancen“ einem ORF-Societyreporter unvermittelt ins Gesicht und wurde hochkant aus der Show geworfen.
Auch Sidos Privatleben rückte immer mehr in den Fokus: Seine Verlobung mit „Nu-Pagadi“-Sängerin Doreen Steinert löste er nach sieben Jahren auf und heiratete zwei Jahre später die Moderatorin Charlotte Engelhardt, mit der er bis zur Trennung 2020 zwei Söhne bekam - in ständiger Begleitung der Boulevardmedien. Das Paar war auch einige Mal im Fernsehen, wie beispielsweise in Christian Ulmens TV-Serie „Jerks“, zu sehen.
Ein Jahr vor Glücksgefühle-Premiere: Sido mit Klinikaufenthalt
Vor allem nach der Trennung von Engelhardt hatte Würdig mit einem Drogenabsturz zu kämpfen: Mithilfe seiner Ex-Frau und seines inzwischen zum guten Freund gewordenen Rapperkollegen Kool Savas begab sich Würdig im Jahr 2022 in stationäre psychische Behandlung. Im Nachgang erklärte er, dass er ohne diesen Klinikaufenthalt, der ihm klargemacht habe, dass er wieder öfter Paul sein möchte, wohl nicht überlebt hätte.
Doch während er musikalisch regelmäßig Erfolge feierte auch dank Kollaborationen mit Popstars wie Adel Tawil oder Mark Forster, sorgte er mindestens genauso oft für Skandale. So 2011 bei einer Gala in Wien, als er mit der Aussage „Ihr Österreicher habt uns da mal einen rübergeschickt, der uns Ordnung beigebracht hat“ grenzübergreifendes Kopfschütteln auslöste. Strafverfahren wegen Beleidigung, Bedrohung oder Körperverletzung säumen Sidos Weg ebenfalls.
Glücksgefühle Festival 2023: Sido begeistert mit einigen Hits aus der Maskenzeit
Doch Würdig blieb stets in der Gunst seiner Fans und füllte problemlos den Raum vor der Euphoria-Stage bei der Glücksgefühle-Premiere im Jahr 2023, nur kurze Zeit nach seinem Klinikaufenthalt. Vom ehemaligen Maskenmann war damals kaum noch etwas zu sehen, auch wenn er viele Songs aus dieser Zeit zum Besten gab.
Wenn der Berliner im September zum zweiten Mal die Bühne der Glücksgefühle am Samstag betreten wird, stimmt er aller Wahrscheinlichkeit nach auf den Headliner Black Eyed Peas ein. Dann wird der 44-jährige Paul erneut zeigen, weshalb er längst dem Image des Maskenmanns entwachsen ist, ohne diese Zeit seiner Karriere aus künstlerischer Sicht auszuklammern.
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