Stadthalle

Stadtkapelle Hockenheim: Atemberaubendes Jahreskonzert

Das Jahreskonzert der Stadtkapelle Hockenheim in der Stadthalle wird zu einem fulminanten zweistündigen Abend mit hochklassigem Musikgenusses, der die Besucher in neue klangliche Sphären entführt.

Von 
Matthias H. Werner
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Das Hauptorchester der Stadtkapelle unter der Leitung von Dominik M. Koch demonstriert beim Konzert in der ausverkauften Stadthalle sein herausragendes Können. © Dorothea Lenhardt

Hockenheim. Den Streifzug durch eine ganze Bildergalerie, ein Lexikon der Götter, das Destillat der James-Bond-Filme, ein herzergreifendes Jubiläum und einen Blick in den Kopf eines der größten Komponisten aller Zeiten – nicht weniger hatte sich der Orchesterverein Stadtkapelle am vergangenen Sonntag vorgenommen, als er in alter Tradition zu seinem Jahreskonzert rief. Und um es vorwegzunehmen: Mit ihrem Auftritt vor ausverkauftem Haus haben die beiden Orchester einmal mehr nicht nur für frenetischen Jubel gesorgt, sondern ein weiteres Glanzlicht der Musik gesetzt.

In Hockenheim ertönen olympische Klänge aus vergangenen Zeiten

Unter den Augen des Oberbürgermeisters Marcus Zeitler und vor allem unter den berufenen Ohren des Ehrenvorsitzenden Bernhard Fuchs hat zunächst das Jugendorchester den Abend eröffnet – mit der flotten, vielschichtigen „Landmusik“, „Shackelford Banks“, des amerikanischen Komponisten Jay Bocook, der auch schon die Musik zu den Olympischen Spielen in L.A. und Atlanta beigetragen hat.

Die rund 40 Instrumentalisten haben zunächst ein wenig gebraucht, um in Tritt zu kommen, dann aber mit einer Blasorchester-Fassung Michael Sweeneys eine ganz ausgezeichnete Interpretation des bekannten Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ des russischen Komponisten Modest Petrowitsch Mussorgski abgeliefert: Herrlich ausgespielte weite Böden in der „Promenade“, verdichtete Motivik in der Baba-Jaga-Hütte und viel Schlagwerk in einer majestätischen Heldentor-Passage.

Wie der gesamte Auftritt der Jugend, die in diesem Jahr nur etwas mehr als eine viertel Stunde die Bühne bekommen hat, leider viel zu kurz, um die hervorragenden Ergebnisse der umfangreichen Jugendarbeit, die zwar vor allem Dirigent Alexander Six verkörpert, die aber auf vielen Schultern ruht und von vielen Initiativen geprägt ist, in der ihr eigentlich zustehenden Tiefe zu präsentieren.

Das „Gegenorchester“ marschiert in die Stadthalle ein und vereint sich mit dem Ge-samtorchester zum fulminanten Finale. © Lenhardt

Ist es doch gerade die gelungene Nachwuchsförderung, die dafür gesorgt hat, dass sich der Orchesterverein so positiv zu einer „großen Stadtkapelle, in der alle Register voll sind“ entwickelt hat, wie der zweite Vorsitzende Mike Sibler in seiner Laudatio zum 25-jährigen Vorstandsjubiläum der „Miss Stadtkapelle“ Gabriele Christ (eigener Kommentar) ausführte.

Aktuell ist das Hauptorchester in Bestform: Fast 70 Musiker, die mit viel Hingabe und großer Klasse unter Dirigent Dominik M. Koch, der neben seiner Hauptaufgabe als Leiter des Heeresmusikkorps Ulm mit einem unbändigen Einsatz den bereits bestens vorbereiteten Klangkörper weiter zu dem fraglos herausragendsten Orchester der gesamten Region formt und mit seinem eigenen unverkennbar eleganten Dirigat auch zum optischen Ganzen viel beiträgt, nicht nur musiziert, sondern klangliche Welten eröffnet haben, die den Atem rauben.

Diesmal mit „Nobody does it better than James Bond“, einem rund zwanzigminütigen Streifzug durch die 007-Titelmelodien in einem Arrangement Jörg Murschinkis, mit dem der Verein wie im sonstigen Programm mit so vielen Soli auf die individuelle Größe seiner einzelnen Musiker hinweisen konnte, von denen mit dem grandiosen Saxofon-Solo zu „Goldeneye“, mit dem Birgit Haak für jubelnde Zuhörer sorgte, nur ein Beispiel genannt werden kann, und Rossano Galantes „Lexicon of the Gods“, einer hochverdichteten, dramatischen und epischen dreisätzigen Komposition, die mit zahlreichen wuchtigen, von feinen Ziselierungen durchzogenen Passagen Gänsehautfeeling verursachte.

"Extreme Beethoven" wird in Hockenheim zum musikalischen Höhepunkt

Musikalischer Höhepunkt und Beispiel für die ganz besondere Klasse des Orchesters aber war Johan de Meijs „Extreme Beethoven“, dessen Werkeinführung Dominik M. Koch dem Conférencier des Abends, Jakob Roth, abnahm: Eine experimentelle Metamorphose des Niederländers, die weitab des Mainstream zwanzig Minuten in den Kopf Ludwig van Beethovens entführt, wo sich die Motive, Grundlinien und Muster des breiten Schaffens des Großmeisters mal solitär präsentieren, mal in wirren Klangverschränkungen überlagern.

Von der liebreizenden Anmut des dem Klavierkonzert Nr. 5 entlehnten Openers bis zu den furiosen, zu dichten Klanggestrüppen sich verflechtenden Motivlinien, Einwürfen und Kurzpassagen in der die Musik sich förmlich aufzutürmen scheint, von der in einem harten Schnitt dann wieder zartschmelzend eingefügten „Mondscheinsonate“ bis zur gewitzten Bandera, die aus dem hinteren Zuschauerraum kommend zu acht eine Art „Gegenorchester“ verkörperte. Immer waren die Musiker der Stadtkapelle den hochkomplexen, dynamisch changierenden Herausforderungen dieser außergewöhnlichen Komposition nicht nur gewachsen, sondern haben daraus in ihrer eigenen Interpretation ein Feuerwerk der Weltmusik gemacht, das für das Publikum fraglos anstrengend, in jedem Falle aber aufschlussreich und begeisternd war: Ein Spaziergang durch das geniale Hirn Beethovens, wo hat man sowas schon gehört?

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Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

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