Jahreskonzert

Stadtkapelle in Hockenheim setzt neue Maßstäbe

Der Orchesterverein Stadtkapelle in Hockenheim setzt mit seinem Jahreskonzert das nächste Ausrufezeichen – Guido Rennerts „Komposition 75 Jahre Grundgesetz“ ist ein Höhepunkt des Abends, bei weitem aber nicht der einzige.

Von 
Matthias H. Werner
Lesedauer: 
Vielversprechender Auftakt: Das Jugendorchester unter Leitung von Alexander Sixt eröffnet das Jahreskonzert der Stadtkapelle in der Stadthalle – ein zweieinhalbstündiger beeindruckender Musikabend. © Lenhardt

Hockenheim. Wer den Himmel bereits erklommen hat, wird wohl die Sterne bereisen müssen – einen Vorgeschmack auf diese interstellare Exkursion bekam am Sonntagabend das rennstädtische Publikum in der vollbesetzten Stadthalle: Der Orchesterverein Stadtkapelle zündete mit diesem Jahreskonzert gleichsam eine neue Stufe – kein Feuerwerk mehr: eine Supernova.

Eröffnet wurde der rund zweieinhalbstündige Musikabend in bewährter Tradition vom Jugendorchester, das mit Michael Geislers „Festival Flourish“ einen festlich getragenen Opener mit glanzvollen und zarten Passagen, gefälligen Motiven und lebendigem Rhythmus platzierte: Das richtige Stück „überall, wo es etwas zu feiern gibt“, wie Jakob Breunig, der – selbst lange Zeit Jugendleiter der Stadtkapelle – durch das Programm des Abends führte, zusammenfasste.

Die 36 jungen Instrumentalisten begeisterten nicht nur mit den leichtfüßigen Klängen des Österreichers, sondern auch mit Jan de Haans „Discovery Fantasy“ und der „Trailermusik“ von Alexander Reuber: Die fantasiebetonte Grundanlage der beiden Stücke setzten die jungen Musiker unter der Leitung des Jugenddirigenten Alexander Sixt mit bereits beeindruckenden Fähigkeiten in Technik und Interpretationskraft um und animierten das Publikum zu ersten Zugabe-Forderungen.

Mehr zum Thema

Stadthalle

Stadtkapelle Hockenheim: Atemberaubendes Jahreskonzert

Veröffentlicht
Von
Matthias H. Werner
Mehr erfahren
Orchesterverein

Stadtkapelle Hockenheim unterstützt Ostermarsch der Feuerwehr

Veröffentlicht
Von
zg/gch
Mehr erfahren
Keine Abendkasse

Jahreskonzert des Orchestervereins der Stadtkapelle Hockenheim ist ausverkauft

Veröffentlicht
Von
Stadtkapelle Hockenheim
Mehr erfahren

Mit einer gewitzten Adaptation des Maui-Songs „You’re Welcome“ aus dem Kinofilm „Vaiana“ verabschiedete sich das Jugendorchester nicht nur , sondern bot auch dem ganz frischen Nachwuchs aus dem Juniororchester und der Bläser-AG, die seit dem Frühjahr Sanja Kannewurf betreut und schleift, eine Plattform für erste Auftritte. Die dann insgesamt 54 Jungmusiker waren rührend: Nicht nur musikalisch mitreißend und beeindruckend, sondern vor allem eine große Hoffnung für die Zukunft des dank seiner herausragenden Qualität weit über die Grenzen der Region hinaus bekannten Orchestervereins.

Dirigent der Stadtkapelle Hockenheim als Erfolgsgarant

Garant für die sich auf eine verblüffende Weise immer weiter steigernden grandiosen Leistungen ist seit 2007 Dominik M. Koch: Zusammen mit seinem Orchester, das sich, angestoßen durch den „Wilden“ Rüdiger Müller, damals schon auf den Weg in neue Zeiten aufgemacht hatte, hat sich das smarte Musik-Ass rasant weiterentwickelt, wurde mit „seiner“ Stadtkapelle bei seinem Diplomkonzert hochgeadelt und ist seit 2021 Leiter des Heeresmusikkorps Ulm. Und doch ist Koch, der Stadtkapelle treu geblieben: als „Sterne-Koch“ für Hockenheim.

Auch dieses Jahreskonzert war Exempel der Größe des Dirigenten und seines Orchesters: Neben Haydn Woods „Seafarer“, Solerns klangmalerischem „Avern“ und dem Cesarari-Arrangement zu Richard Strauss’ „Festmusik der Stadt Wien“ war unangefochtenes Highlight die Komposition „75 Jahre Grundgesetz“ aus der Feder des großartigen Blasmusik-Komponisten Guido Rennert. Von diesem stammte schon die bombastische Freiheitssymphonie „Wir sind das Volk“, mit dem die Stadtkapelle 2017 von den Stühlen riss.

Wie damals war Rennert erneut im Saal, als sein fantasievoller Streifzug durch die Geschichte der Republik und seiner Verfassung „als Bekenntnis zu unserem schönen Heimatland und zur Demokratie“, wie Koch sichtlich bewegt zusammenfasste, erklang. Ganz hervorragend interpretiert von „einem der wenigen Orchester, bei dem ich meine eigene Musik anhöre“, wie der Komponist verschmitzt, aber auch mit hoher Anerkennung anmerkte.

Nach dem Prolog, bei dem Oberbürgermeister Marcus Zeitler mit der Präambel zum Grundgesetz zu hören war, entfaltete sich vor dem gebannt lauschenden Publikum ein in Töne gefasster Rückblick auf 75 Jahre deutsche Geschichte. Angetrieben von einem immer wieder hervortretenden Takt der Zeit und auferstehend aus der Düsternis der „Stunde Null“, hatte Rennert die Entstehung des Grundgesetzes und der Bundesrepublik, aber auch sportliche Triumphe, das Wirtschaftswunder, die große Kunst, die deutsche Kultur und das hiesige Heimatgefühl klanglich gebannt und sinnlich erlebbar gemacht.

Hier flackert kurz „Kein schöner Land“ auf, da zerfällt Beethoven in einen wahren Stilmix, kurz ist ein Schuhplattler zu hören, dann ertönen voll Stolz und Majestät zur deutschen Einheit Fragmente der „Ode an die Freude“ und der Nationalhymne. Gekonnt flicht Rennert mit einer jiddisch anmutenden Passage die Erinnerungskultur ein – die von Lichtfarben und bildlichen Einspielungen generierte Atmosphäre zeigt Willy Brandt beim Kniefall.

Und immer wieder tritt das ohrwurmverdächtige Leitmotiv, in dem man das alles verbindende Grundgesetz hören konnte, in vielen charakterstarken Wendungen hervor. Die 65 Instrumentalisten des Hauptorchesters haben dem hochemotionalen Werk seine ganze Tiefe, seine wechselhaften Stimmungen, seine musikalische Größe mit jedem Ton entlockt, technisch brillant, dynamisch in feinsten Nuancen abgestimmt und interpretatorisch grandios.

Minutenlang stehende Ovationen nach dem Konzert der Stadtkapelle in Hockenheim

Dazu das an Ästhetik nicht zu übertreffende Dirigat Kochs und die mal nur sphärische, dann sich zu einem „werd nie müde, das zu leben: Herz für Dich, mein Heimatland“ verdichtende Stimme der Offenburger Sängerin Ornella De Santis – eine Gänsehautpassage jagt die nächste. Nachdem sich die rund 30-minütige „deutsche Geschichte“ mit leisen, bescheidenen Tönen förmlich aufgelöst hat, brandet tosender Applaus, Zugabe-Rufe und minutenlange stehende Ovationen durch die Stadthalle und die Stadtkapelle hatte einmal mehr einen funkelnden Stein in das Diadem der Hockenheimer Musikgeschichte gesetzt.

Freier Autor Seit Mitte der 1990er Jahre als freier Journalist vorrangig für die Region Hockenheim/Schwetzingen tätig - Fachbereich: Kultur.

Copyright © 2025 Hockenheimer Tageszeitung

VG WORT Zählmarke