Stadtklima

Turbo-Wald: Hockenheimer Biologe erklärt den Tiny Forest

Der Biologe Uwe Heidenreich sieht in Hockenheim viel Potenzial zur Anlage von Tiny Forests, die mehrere positive Effekte haben – und verweist auf ein Beispiel der Smart City Mannheim.

Von 
Andreas Wühler
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Beispiel für einen Tiny Forest im Hockenheimer Stadtgebiet: Die Streuobstwiese an der Lußheimer Straße bietet nicht nur einen schönen Anblick am Stadtrand, sondern auch Lebensraum für Tiere und einen positiven Einfluss aufs Mikroklima. © Heidenreich

Hockenheim. Der Begriff Tiny House hat sich mittlerweile im deutschen Wortschatz eingebürgert, ein jeder kann sich unter ihm etwas vorstellen: Leben auf kleinem Raum mit überschaubaren Kosten und – für viele Menschen das Hauptargument – nachhaltig. Denn in den vergangenen Jahrzehnten ist die Wohnfläche pro Kopf ständig gestiegen, 50 Quadratmeter sind wohl eher die Regel als die Ausnahme. Da ist ein Tiny House mit seiner Gesamtfläche zwischen, so die Definition 15 und 45 Quadratmetern, eine echte Alternative. Und eine Option, was den Flächenverbrauch betrifft.

Beim Tiny Forest, sprich beim kleinen Wald, ist das Ergebnis ähnlich, auch wenn die Überlegungen genau dem Gegenteil entsprechen. Denn hier heißt es, jede noch so kleine Fläche ausnutzen, um einen Wald, einen Hain, entstehen zu lassen. Wie wichtig Bäume für das innerstädtische Klima sind, ist bekannt, um wie viel höher wäre der Nutzen, wenn auf einer kleinen Fläche viele Bäume stehen, sprich ein kleiner Wald, das Mikroklima positiv beeinflusst.

Auch in Hockenheim findet sich reichlich Potenzial für Tiny Forests

Wer wachen Auges durch die Stadt geht, kann schon jetzt viele solcher „kleinen Wälder“ entdecken. Wie beispielsweise der Biologe Uwe Heidenreich, mit dem ein Rundgang zu einigen der Hockenheimer „Tiny Wäldchen“ schnell zur kleinen Wanderung wird, bei der man aus dem Staunen nicht herauskommt – sie sind schon da. Ist einmal der Blick für den „Tiny Forest“ geschärft, sieht man sie überall – Ansammlungen von Bäumen, kleine Inseln im Mauerreich der Städte.

Als Beispiel sei die Lußheimer Straße erwähnt, der Bereich zwischen den zwei Kleinspielfeldern und der Bahnlinie. Wer hier einmal langläuft und das akustische Hintergrundgrummeln der Stadt ausblendet, wähnt sich in einem Urwald. Ein Stück weiter, bei der Streuobstwiese hin zum Discounter Aldi das gleiche Bild: Dichtes Grün sorgt für Leben in der Stadt.

Neckarstraße, Berlinallee oder Südring – es sind viele Flächen, die dem Biologen positiv auffallen, doch es sind in seinen Augen bei Weitem nicht genug. Beispiel: die Fläche vor dem Wohnblock in der Hardtstraße. Hier lässt sich ohne große Mühe ein kleiner Hain anpflanzen, ist er überzeugt. Oder vor dem Wohnblock in der Alex-Möller-Straße, angrenzend an den Holzweg – jede Menge Platz für einen kleinen Wald.

"Tiny Forest": Wichtig für Insekten und Vögel sowie das Stadtklima Hockenheims

Kühle und Sauerstoff, das ist es, was die kleinen Wäldchen im urbanen Gebiet dem Menschen bringen. Doch dies spielt in den Überlegungen des Biologen nur die zweite Geige. Im geht es vorrangig um die Tiere, um Insekten, Vögel und alles, was auf der Feldflur sonst noch kreucht und fleucht. Beziehungsweise kreuchte und fleuchte. Denn, so Heidenreich, die Feldflur ist ausgeräumt. Die Landwirtschaft und die intensive Nutzung der Flächen lassen kaum mehr Raum für Tiere – einen Feldhasen zu beobachten gleicht fast schon einem Sechser im Lotto.

Doch die Tiere sind zum Glück nicht alle verschwunden, sie sind umgesiedelt. Weshalb es nicht umsonst heißt: Willst du heimische Wildtiere sehen, gehe in die Stadt. Vom Hasen bis zum Wildschwein, vom Fuchs bis zum Waschbär sind die Tiere längst Städter geworden. Für sie Inseln zu schaffen, Biotope einzurichten, die miteinander vernetzt sind, ist dem Biologen ein Anliegen. Ein wichtiges, von dem nicht zuletzt der Mensch profitiert. Denn die Notwendigkeit, die Städte gegen die immer häufiger werdenden Hitzeperioden, gegen die Sintfluten der Jahrhundertregen, die es fast schon wöchentlich gibt, zu wappnen, kurzum: Sie klimaresilient zu machen, ist die für Heidenreich die Aufgabe schlechthin.

Um gegen Starkregen gewappnet zu sein, bedarf es Versickerungsflächen, Grün in der Stadt, gegen die Hitze die Kühle der schattenspendenden Bäume – in Hockenheim am lebenden Objekt sichtbar gemacht im HÖP, dem Hochwasserschutz- und Ökologieprojekt. Die Anschauungsfläche schlechthin, wenn es um die Frage geht, wie Schwammstadt funktionieren kann.

Hockenheimer Biologe: Überall gibt es geeignete Flächen für einen Tiny Forest

Am liebsten, doch das ist ein anderes Thema, würde Heidenreich das HÖP ausdehnen: von der Quelle bis zur Mündung. Ganz klar, nicht durch jede Straße kann ein Wasserlauf fließen, doch Flächen für den Tiny Forest finden sich überall. Die Vorstellungskraft des Biologen entdeckt überall geeignete Flächen. Alter Schwimmbadparkplatz: Fläche überdachen, Solar und Tiny Forest obendrauf. Überhaupt Parkplätze: Bei fast jedem Verbrauchermarkt sei es möglich, die Abstellplätze mit einem Dach zu versehen, diese zu bepflanzen und für die Stromerzeugung zu nutzen.

Es sind viele Flecken in der Stadt, die sich für einen intensiven Pflanzenbewuchs eignen, selbst in der Haupt- oder Karlsruher Straße sind Tiny Wäldchen vorstellbar. Wem dies alles zu utopisch erscheint, dem sei ein Gang nach Mannheim auf den Lindenhof empfohlen. Dort entsteht gegenüber von John Deere, neben dem Aufgang zum Kleinfeldsteg, der über die Bahngleise in die Schwetzingerstadt führt, ein Tiny Forest. Und damit gegenüber der Smart City Mannheim, die dort seit Dezember ihr Büro hat.

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„Auf einer Fläche von rund 350 Quadratmetern wurden am 2. März 150 Sträucher und 750 Bäume gepflanzt. Im inneren Bereich der Fläche wurden die Hauptbaumarten wie Traubeneiche und Linden angeordnet. Um den inneren Bereich wurden die Nebenbaumarten wie Feldahorn, Traubenkirsche, Schwarznuss, Holzapfel und Zerreiche gepflanzt. Bei der Auswahl der Bäume war Salztoleranz ein wichtiger Faktor, weiterhin die Auswahl möglichst vieler gebietsheimischer Arten – dabei wurden auch eigene Auswahllisten mit eigenen Erfahrungswerten der Stadt Mannheim beachtet – sowie schließlich die Verfügbarkeit in der Baumschule.

Hockenheim könnte sich die Smart City Mannheim als Beispiel nehmen

Daran anschließend erfolgte die Strauchpflanzung, sodass langfristig eine Höhenabstufung von innen nach außen stattfindet. Ein kleiner Anteil der Bäume stammt aus der grünen Schule des Luisenparks, gezogen aus gesammeltem Saatgut aus dem Baumbestand des Parks. Diese Bäume bekamen einen gesonderten Randbereich zugewiesen. Eingerahmt wird die Baum- und Strauchpflanzung durch die Ansaat eines insektenfreundlichen Blühstreifens. Diese salzverträgliche Bankettmischung begrenzt künftig die Fläche und begleitet den Gehweg“, heißt es auf der Homepage der Smart City. Und was in Mannheim möglich ist, sollte im Vergleich dazu ländlichen Hockenheim erst recht möglich sein.

Die Idee der Tiny Wälder, auch Nanowälder genannt, wurde in den 1970er Jahren vom japanischen Pflanzensoziologen Akira Miyawaki in Deutschland entwickelt. Inzwischen sind Tiny Forests weltweit anzutreffen. „Diese Mini-Wälder sind in der Regel mit einer Vielzahl von heimischen Baum- und Pflanzenarten bepflanzt, die sorgfältig ausgewählt wurden, um ein stabiles Ökosystem zu schaffen. Auf kleinster Fläche werden Jungpflanzen eng aneinandergesetzt. Im Wettkampf um Licht wachsen sie so schnell in die Höhe. Weil die heranwachsenden Bäume Platz benötigen, wird ihre Anzahl pro Fläche im Laufe von Jahrzehnten natürlich abnehmen, was man als Selbstausdünnung bezeichnet“, lautet eine Beschreibung der Tiny Wälder.

Erhalt der Biodiversität: Hockenheimer Biologe sieht bei den Tiny Forests einige Vorteile

Und: „Die Vorteile von Tiny Forests sind vielfältig. Sie bieten einen Lebensraum für eine Vielzahl von Pflanzen- und Tierarten und tragen so zur Erhaltung der Biodiversität bei. Darüber hinaus filtern sie Schadstoffe wie Kohlendioxid, Stickstoffdioxid und Feinstaubpartikel aus der Luft und tragen sie zur Verbesserung der Luftqualität bei.“

Und nicht zu vergessen der Gemeinschaftseffekt. In vielen Städten haben sich mittlerweile Vereine gegründet, die Tiny Forests anpflanzen. Mit der Hilfe von Freiwilligen von Kindergartenkindern bis hin zu Studenten und bürgerschaftlichem Engagement.

Diese Personen kümmern sich um die Nanowälder, lernen dabei die Zusammenhänge in der Natur zu verstehen und bekommen ein Verständnis für ihre Umwelt, das auf andere Bereiche ausstrahlt. Womit der Tiny Forest nicht nur das Mikroklima ändern kann, sondern auch die gesellschaftliche Akzeptanz für den notwendigen Umbau der Städte hin zur Klimaresilienz fördern kann.

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