Hockenheim. Während der Blattzeit im vergangenen Juli erlebte sie ihre erste Paarung, seit sie im Alter von zwei Jahren zum Schmalreh wurde und die Geschlechtsreife erreichte. Die Monate vergingen und das noch junge Reh brachte vor Kurzem seinen ersten Nachwuchs zur Welt. Die angeborenen, tierischen Instinkte sagen ihr, dass sie das kleine Kitz während der Nahrungssuche in Sicherheit bringen muss.
Sie erinnert sich an ein Feld mit hohem Gras, in dem sie selbst schon als Neugeborenes von ihrer Mutter abgelegt wurde. Ein perfekter Ort, sicher vor Blicken, bis sie wieder bei ihrem Kleinen sein kann. Ein Blick nach links, ein Blick nach rechts, alles in Ordnung, hier passiert in den nächsten Stunden nichts.
Wurfzeit und Mähzeit kollidieren
Doch im Mai ist nicht nur die Wurfzeit des Capreolus capreolus, dem Rehwild, sondern auch die Zeit der Mahd für die ansässigen Landwirte. Optimistisch steigt der Bauer in seinen mit scharfen Mähmessern bewaffneten Traktor, um das hohe Gras zu schneiden. Trotz höchster Konzentration und Vorsicht ist das zarte und hilfloses Geschöpf friedsam schlummernd im Dickicht nicht zu entdecken. Das Drama nimmt seinen Lauf, unentdeckt wird die vermeintliche Sicherheit für das Rehkitz zur Todesfalle. Blut, Geschrei, Schock, ein Horrorszenario, das in der Vergangenheit bereits viel zu oft passiert ist.
Die Bemühungen der Landwirte und Jäger im Vorfeld der Mahd fruchten aufgrund der guten Verstecke nicht immer, ein Problem, das die Rehkitzrettung Rhein-Neckar nun mit neuester Technologie bekämpft.
Wir befinden uns in Hockenheim. Es ist 6 Uhr am frühen Morgen, Tanja Göbel steht an einem Bedienpanel und bereitet alles für die heutige Rettung vor. Sie wird von mehreren Personen umrundet, darunter Birgit Rinklef, deren Familie das vor der Gruppe liegende, hoch bewachsene Feld gehört. Die Aufmerksamkeit aller Beteiligten zentriert sich auf einen kleinen Gegenstand mit vier seltsamen Propellern. Es handelt sich um eine hochmoderne Drohne, ausgestattet mit einer Wärmebildkamera. Ferngesteuert soll dieses Stück Technik hoch in die Luft fliegen und den Helfern zeigen, ob sich Rehkitze im Feld befinden.
„Sobald die Drohne uns einen hellen Punkt auf der Wärmebildkarte anzeigt, gehen wir in das Feld und bergen das kleine Geschöpf. Wenn die Kitze schon alt genug sind, springen sie von selbst weg und verlassen das Feld. Wenn nicht, nehmen wir das Kleine mit einem Büschel Gras hoch, um keinen Fremdgeruch zu hinterlassen und setzen es um“, beschreibt Sarah Weick von der Rehkitzrettung Rhein-Neckar die Vorgehensweise, um die Babys vor dem schrecklichen Schicksal des Mäh-Todes zu bewahren.
Für Birgit Rinklef, deren Familienbetrieb in Hockenheim insgesamt über 30 Hektar an Wiesen bewirtschaftet, ist die Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Tierrettern ein Segen: „Sonst haben wir vor der Mahd versucht die Rehkitze durch Unruhe aufzuscheuchen, damit sie entweder selbst den Bereich verlassen oder von der Geiß weggetragen werden. Auch ohne die Technik der Rehkitzrettung haben wir sehr viel dafür getan, um Mähunfalle zu vermeiden, leider klappt das nicht immer zu 100 Prozent. Dank der Drohne werden sie gefunden und allen, nicht zuletzt den Tieren, bleibt ein furchtbarer Unfall erspart.“
Nach kurzer Zeit herrscht schon Aufregung, die Drohne hat etwas entdeckt. Sofort begeben sich Sarah Weick und ihre Kollegin Ulrike Eckert in voller Montur samt Gummistiefeln und ausgestattet mit einem Walkie-Talkie in Richtung des hilflosen Geschöpfs. Tanja Löbel navigiert die beiden punktgenau an ihr Ziel. Tatsächlich, es liegt ein Rehkitz mitten im Feld der Rinklefs. Doch sobald sich die beiden Lebensretterinnen nähern, zeigt sich, dass das Jungtier schon weit genug entwickelt ist, um seinem angeborenen Fluchtinstinkt zu folgen. Mit einem hohen Hüpfer springt das wunderschöne Tier davon und entkommt unwissend dem wohl sicheren Tod. Die erste Mission findet einen erfolgreichen Abschluss.
Service spricht sich herum
Doch die Arbeit ist noch lange nicht zu Ende, sämtliche Flächen sollen noch akkurat abgesucht werden. Das Leben der kleinen Rehlein mit den Kulleraugen ist viel zu wertvoll, um es unachtsam seinem Schicksal zu überlassen. Birgit Rinklef ist glücklich, erstmals hat sie die Rehkitzrettung Rhein-Neckar konsultiert, nachdem sie den Tipp von Jochen Kief, ebenfalls Landwirt in Hockenheim, erhalten hatte.
An diesem Morgen wird noch ein weiteres Rehkitz gefunden, das Feld bereinigt und die durch Spendengelder finanzierte Drohne sinkt zurück auf ihren Landeplatz. Den Beteiligten ist anzumerken, wie wichtig ihnen die Aktion war. Auch Nico Binkert und Jan Schäfer, die den Traktor der Rinklefs gleich anwerfen und fahren werden, sind erleichtert. „Ich bin froh, dass die Kitze in Sicherheit sind. Ein Mähtod ist schrecklich und nagt auch sehr an dem Fahrer, der das kleine Tierchen schlicht nicht sieht“, zeigt sich Binkert beruhigt.
Die beiden begeben sich zum Traktor und machen alles für die Mahd bereit. Erst hier wird klar, wie gefährlich die messerscharfe Apparatur an dessen Front ist. Imposant und laut drehen sich die Messer im Innern und mähen das Gras. Eine kaum zu ertragende Vorstellung, ein kleines, süßes Rehkitz in den Schlund dieses Landwirtschaftsgeräts verschwinden zu sehen.
Dank des Engagements der Rehkitzrettung und dem Pflichtbewusstsein der ansässigen Landwirte und Jäger können solche Unfälle zukünftig immer häufiger vermieden werden. Bevor der sonnige und erfolgreiche Mittwochmorgen ein Ende findet, plädiert Ulrike Eckert an alle Landwirte und Tierfreunde der Umgebung: „Wir hoffen, dass sich noch mehr Bauern vor ihrer Mahd bei uns melden und bitten diese, den Kontakt nicht zu scheuen. Auch über jegliche Unterstützung sind wir sehr froh, ob durch Beitritt in unseren Verein, ehrenamtliches Helfen oder eine Spende. Gemeinsam können wir weitere Tierleben retten.“
- Weitere Informationen unter www.rehkitzrettung-rhein-neckar.de. Spendenkonto: DE26 6725 0020 0009 3193 01
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