Hockenheim. Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeitskreis, heißt es oft spöttisch, wenn es um Problemlösungsstrategien in Institutionen geht. Der gemeinnützige Energie-, Mobilitäts- und Bauverein Hockenheim, kurz: Enmoba, ist kein Arbeitskreis, sondern ein gemeinnütziger Verein in Gründung, und wenn er ein Motto hätte, würde es eher lauten: „Bist du mit der Geduld am Ende, dann nimm es selber in die Hände.“ Denn die Gründer um Vorsitzenden Karl-Heinz M. Sohn, seinen Stellvertreter Christian Kramberg, Schatzmeister Christian Keller und den für die Kommunikation zuständigen Michael Gelb finden, in den genannten Bereichen kommt ihre Stadt zu langsam voran.
Das wollen sie „außerparlamentarisch“ ändern, erläutert das Quartett bei einem Pressegespräch in Sohns Geschäftsräumen. Denn die Mühlen der Politik, zu denen sie durchaus Verbindungen pflegen, mahlen ihnen entschieden zu zäh. Der Enmoba möchte selbst Dinge voranbringen. Und bei aller konstruktiven Ausrichtung kommen die Gründer nicht umhin zu gestehen: „Wir sind unzufrieden, dass vieles zerredet wird“, sagt Christian Kramberg. Als Beispiel nennt er den bezahlbaren Wohnraum: Jahrelang werde darüber geredet, 2017 mit großem Elan die Bürgerbeteiligung durchgeführt, bis heute sei nichts daraus geworden. „Die Stadt hätte schon vor Jahren ähnlich wie Mannheim, Heidelberg oder Schwetzingen sagen können, ein Investor muss 30 Prozent bezahlbaren Wohnraum bauen, den Rest kann er frei wählen“, findet Kramberg.
Viel zu lange brauche die Stadt für das Projekt Photovoltaik auf der AVR-Deponie trotz aller Absichtserklärungen. In Sachen erneuerbare Energien sieht er die Stadtwerke Hockenheim im Vergleich zu anderen Versorgern der Umgebung ebenfalls im Hintertreffen. „Wir kommen uns langsam wie ein kleines gallisches Dorf vor – in dem nichts passiert“, beschreibt er den Eindruck.
Enmoba in Hockenheim: „Warum geht das an uns vorbei?“
„Wir fragen uns: Warum geht das an uns vorbei?“, greift Karl-Heinz M. Sohn diesen Faden auf. Seit Monaten recherchiere die Gruppe, warum in Alt- und Neulußheim E-Carsharing funktioniere und in der Rennstadt nicht. Die Stadtwerke, die hier gerne als Bremser angeführt werden, seien gar nicht so abgeneigt, habe seine Nachfrage bei Werkleiterin Martina Wilk ergeben. „Wir wollen Klarheit, und wenn die einen sagen, es geht nicht, dann suchen wir uns eine Alternative dafür“, skizziert er den Weg, den der Verein gehen möchte.
Michael Gelb hat während seiner Zeit als FDP-Stadtrat Erfahrungen gesammelt, wie pragmatische, fortschrittliche Lösungen nicht zum Einsatz kamen. Er nennt als ein Beispiel den Umgang mit den ersten E-Ladesäulen. Sein Vorschlag an die Stadtwerke, ein Bezahlsystem einzuführen, um die Dauer des Aufenthalts an den Säulen zu begrenzen, wurde mit dem Hinweis abgelehnt, es gebe zu viele verschiedene Karten.
Enmoba
Der gemeinnützige Energie-, Mobilitäts- und Bauverein Hockenheim (Enmoba) ist ein Zusammenschluss von engagierten Bürgern in Hockenheim.
Neutral und unabhängig sowie überparteilich sucht er in transparenter, sachlicher Art den Dialog zum Wohl der Region.
Dies soll durch klimapositives und nachhaltiges Handeln in den Bereichen Energie, Mobilität und Bauen geschehen – in gemeinsamer Suche nach innovativen Lösungen und deren Umsetzung. mm
Er komme dagegen mit einer Karte problemlos aus. Die „Lösung“, die Kapazität der Säulen zu reduzieren, habe dagegen nur zu Verzögerungen geführt.
Dass es kein Carsharing-Auto in Hockenheim gibt, keine vernünftige Ladeinfrastruktur, keine Wohnungsbaugesellschaft, keine Bürgerbeteiligungsanlage für Solarenergie, komme „aus einer ideologischen Defizitdiskussion heraus, und das ist das, was uns eigentlich stört und woraus wir herauswollen“, beschreibt Gelb.
Denn die Enmoba-Gründer sehen dafür Potenzial: „Wir glauben, die Hockenheimer sind weiter als manche im Rathaus, bei den Stadtwerken und in anderen verantwortlichen Positionen.“ Das dürfe nicht daran scheitern, dass die konkrete Umsetzung nicht allen geläufig sei, unterstreicht Christian Keller. „Ältere Menschen muss man vielleicht an die Hand nehmen und ihnen die Möglichkeiten aufzeigen, die es bereits gibt, damit die Energiewende funktioniert.“ Hier biete sich der Verein als Ansprechpartner an. Auf seiner Homepage habe er bereits jetzt zahlreiche Informationen zusammengestellt und biete dort Kontakte an.
Enmoba in Hockenheim: Aufklären statt abschrecken
„Im nächsten Schritt werden wir regelmäßig Veranstaltungen anbieten“, kündigt Christian Kramberg an. Er bedauert, dass der Verein Solardrom auf zu wenig Resonanz mit seinen Angeboten gestoßen ist und diese jetzt lieber andernorts offeriert. Schade sei auch, dass die Kliba-Sprechstunden nur bei Haus und Grund möglich sind und nicht im Rathaus, weil die Stadt nicht Gesellschafter der Klimaschutz- und Energie-Beratungsagentur ist. Die Stadtwerke müssten sich neue Geschäftsfelder erschließen und nicht bis zum Schluss am Alten festhalten.
„Wir sind keine militanten Umweltschützer, wir sind realpolitisch orientiert, aber wir wissen, der Klimawandel geht nicht spurlos an uns vorüber“, erklärt Sohn. Die politische Ebene präsentiere sich als wenig handlungsfähig. „Wenn wir das Wort Schwammstadt in den Mund nehmen, werden wir auf den Vorwurf reduziert, wir wollten die Innenstadtentwicklung verhindern.“ Immer wieder gebe es inhaltlich falsche Äußerungen zu Sachthemen. Dem versuche der Verein Wissen entgegenzusetzen – etwa zur Frage, wie nachhaltiges ökologisches Bauen auch innerhalb einer Stadt wie Hockenheim gehe.
Sohn kritisiert, es gebe kein Leerstandsmanagment, nicht für gewerbliche Flächen, geschweige denn für Wohnhäuser. Er bezweifelt aber Aussagen, mit denen Politik gemacht werde, etwa die Behauptung, junge Familien wanderten ab, weil sie keinen Bauplatz fanden.
Jetzt für SZ+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag
Jetzt neu für SZ+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Schwetzingen, Hockenheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.
Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar
Sie haben noch kein SZ+ Abo? Dann sichern Sie sich den SZ+ Kennenlernmonat
Es gehe dem Enmoba nicht um Kriegserklärungen gegen Politiker, doch er wolle keine Falschbehauptungen im Raum stehen lassen. „Wir haben ein sehr gutes Netzwerk mit allen möglichen Experten, die uns beratend unterstützen und auch für Veranstaltungen jederzeit zur Verfügung stehen, um das mit fundiertem Wissen zu untermauern“, betont der Vorsitzende, dass die Mitglieder „keine naiven Ökos sind“. Es gebe sehr wohl Mobilitätskonzepte und ökologisches Bauen.
Wenn die richtigen Themen im richtigen Rahmen zur richtigen Zeit gesetzt werden, seien mehr Menschen dafür zu gewinnen, ist Michael Gelb überzeugt. Dafür solle jetzt mit dem Verein Druck aufgebaut werden. „Drüben in der Pfalz drehen sich munter die Windräder, bei uns dreht sich gar nichts, wir schlafen vor uns hin“, beklagt Christian Keller. Bürgersolaranlagen und Bürgerwindräder seien auch in Hockenheim umsetzbar.
Bürgerbeteiligung primäres Ziel von Enmoba in Hockenheim
„Je länger wir das nach hinten rausschieben, desto teurer wird es für uns Bürger“, fügt Kramberg ein weiteres Argument für schnelles Handeln hinzu. „Wir müssen eine Antwort finden auf das, was da draußen passiert“, sagt Sohn warnend. „Für uns ist Bürgerbeteiligung primäres Ziel – wir wollen eine Energiegenossenschaft gründen.“ Unterstützung aus der Politik sei dazu zwingend notwendig, doch die komme wohl erst, „wenn der letzte Politiker verstanden hat, dass es gut für die Stadt ist“.
Angesichts der Schuldenentwicklung in den kommenden zehn Jahren können sich doch keiner mehr ernsthaft gegen einen Nettogewinn von 100 000 Euro pro Jahr und Windrad wehren.
Es habe vor der Vereinsgründung viel Zuspruch gegeben, berichtet Christian Kramberg: „Wenn ihr da was macht, sind wir dabei.“ Die Leute hätten Geld, sei es für sozialen Wohnraum oder für Photovoltaik. Doch die Politik wolle immer noch die Hand darauf halten. Wichtig sei, dass die Flächen, auf denen investiert wird, nicht verkauft, sondern in Erbpacht vergeben werden, sonst sei das Vermögen weg.
Enmoba möchte in Hockenheim eine Sammlungsbewegung sein
Die drei Themen Bauen, Energie und Mobilität hängen zusammen, sind die Gründer überzeugt. Die steigenden Energiekosten könnten ein Türöffner sein für neue Diskussionen – auch darüber, wie viel Wohnraum die Menschen überhaupt brauchen. Viele Senioren lebten auf viel zu großen Flächen. Attraktive seniorengerechte Wohnungen könnten für sie eine Alternative sein – wenn ihnen der Übergang seriös, weil ohne kommerzielle Ansprüche, vermittelt wird. Familien mit höherem Flächenbedarf könnten übernehmen, beschreibt Sohn ein mögliches Handlungsfeld.
„Es ist uns wichtig, Sammlungsbewegung zu sein und Themen heiß zu halten, Nachhaltigkeit statt Kurzlebigkeit“, verdeutlicht Sohn. Konzepte seien da, doch sie würden nicht verfolgt, ergänzt Kramberg. Dass E-Carsharing im Gemeinderat auf 2024 verschoben wurde, sei ein trauriges Indiz für den fehlenden Willen zur Veränderung.
Zu dem Thema Experten einzuladen, könnte eine der ersten Veranstaltungen sein. Der Verein greift dabei auch gerne auf die Expertise von Bürgern zurück.
Info: Weitere Informationen über und Kontakt zum Verein gibt es online unter www.enmoba.de
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim_artikel,-hockenheim-verein-enmoba-will-hockenheim-aus-dem-schlaf-reissen-_arid,2057413.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/hockenheim.html
[2] https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen.html
[3] https://www.enmoba.de