Stadtgeschichte

Wie die Nazis den Hockenheimring zur Propaganda nutzten

Während der Schreckensherrschaft der NSDAP vor und während des Zweiten Weltkrieges nutzte das Regime große Sportevents als Propagandamittel - so auch den Hockenheimring. WIr werfen einen Blick auf das dunkle Kapitel.

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Die Rennfahrer wurden vom NS-Regime als „alte Kämpfer“ in Heldenrollen stilisiert und für die Verbreitung der Propaganda genutzt. © siehe Bildtext

Hockenheim. Sport und Politik – ein Begriffspaar, das gerade bei großen Sportevents immer wieder für reichlich Diskussionsstoff sorgt. Themen wie die Behandlung von Minderheiten im Gastgeberland, Menschenrechtsverletzungen, Korruptionsvorwürfe im Vergabeprozess, Boykottdrohungen und befürchtete Reputationssteigerungen von autoritären Staaten bestimmten schon etliche Debatten.

Die verantwortlichen Sportfunktionäre betonen stets die politische Neutralität. Die teilnehmenden Sportler folgen in der Regel diesem Narrativ, das häufig gleichgültig und naiv erscheint. Ein prominentes Beispiel ist die Reaktion Franz Beckenbauers, als er auf Menschenrechtsverletzungen im WM-Gastgeberland Katar angesprochen wurde: „Ich habe noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen.

Hockenheimring als Instrument der Machterhaltung: NSDAP nutzt den Motorsport

Besonders sportliche Großveranstaltungen mit Zehntausenden Besuchern erfüllen für Diktaturen schon immer hervorragend Repräsentations- und Machterhaltungsfunktionen. Zum einen durch die große mediale Aufmerksamkeit, zum anderen durch ökonomischen Fortschritt und die damit verbundene Verbesserung ihres Images.

Im Dritten Reich fanden unzählige Sportveranstaltungen statt, unter anderem auf der 1932 erbauten Hockenheimer Rennstrecke. Die Publikationen über die nordbadische Rennstrecke vermitteln den Eindruck eines unpolitischen Rückzugsraumes.

Die Sieger der Rennen wurden von den Nazis ins Rampenlicht gerückt. © siehe Bildtext

Von möglicher Zusammenarbeit mit nationalsozialistischen Akteuren ist fast keine Rede und wenn, dann wird sie als weitestgehend unpolitisch dargestellt. Dass Rennen propagandistisch genutzt werden konnten und auch wurden, wird dabei nicht thematisiert. Auf veröffentlichten Bildern sind – von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen – keine der Symbole der nationalsozialistischen Diktatur zu sehen.

Nachkriegszeit: Sportverbände stellten sich als erste Opfer der Nationalsozialisten dar

In der Nachkriegszeit folgte man dem Narrativ des Sportbetriebs, der eigenen Angaben zufolge die Distanz zum Regime und zur nationalsozialistischen Ideologie wahrte. Sportverbände stellten sich als erste Opfer der Nationalsozialisten dar, da sie auch von der „Gleichschaltung“ betroffen waren.

Die Darstellung des unpolitischen Rennbetriebs steht im Widerspruch zur vorherrschenden Forschungsmeinung, dass es solche propagandafreien Räume nicht gab – auch nicht in den Bereichen des Alltagslebens.

„Der ganze Hardtwald gleicht einem Heereslager“ waren Formulierungen in der Zeitung bezüglich Events wie diesem Motorradrennen während der NS-Zeit auf dem Hockenheimring. © Ernst Christs/Stadtarchiv

Die damals „alltägliche“ Gegenwart von faschistischen Symbolen wie Hakenkreuzbinden und Verhaltensweisen wie dem Singen des „Horst-Wessel-Lieds“ und das Brüllen von dreifachen „Heil-Hitler“-Rufen bei Massenveranstaltungen wurde in Hockenheim von den allermeisten Anwesenden nicht als dezidiert politisch wahrgenommen.

Der Rennsport - auch in Hockenheim - war Teil der Populärkultur der Weimarer Republik

Die Motorisierung und der daraus entstandene Rennsport waren vielmehr Teil der Populärkultur, die in der Weimarer Republik rege Verbreitung fand und von nationalsozialistischer Seite propagandistisch genutzt wurde.

Der größte Teil der NS-Propaganda in den 1930er-Jahren bestand aus Unterhaltungsangeboten, welche systemstabilisierend wirkten. Die Faszination der Massenveranstaltungen, der Monumentalbauten, der Technik, der Flieger und Rennfahrer sowie das Versprechen nach Wohlstand für alle mit einem „Kraft-durch-Freude-Wagen“, begeisterte die Bevölkerung nachhaltig.

Eine direkte ideologische Indoktrination und offen vorgebrachter Antisemitismus – wie bei Parteiveranstaltungen – blieb bei Rennveranstaltungen aus. Die Rennen sollten vielmehr ein tiefes Zusammengehörigkeitsgefühl des „Volkskörpers“ schaffen und Normalität und Kontinuität vermitteln. Die NS-Führung konnte den Bereich der Populärkultur für sich vereinnahmen und nutzen.

Zäsur für Motorsport: Die Nazis nutzten Rennveranstaltungen für die eigene Vermarktung

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten bedeutete eine Zäsur für den Motorsport. Dieser wurde von den neuen Machthabern in der Öffentlichkeit vermarktet. Sie erkannten schnell die Nachfrage in der Bevölkerung und die Möglichkeit, ihr Ansehen im Ausland zu steigern.

Die bisherige Selbstverwaltung des Motorsports wurde als Bedrohung für den bis in alle Gesellschaftsbereiche hineinwirkenden Machtanspruch gesehen. Die „Gleichschaltung“ erfolgte durch Auflösung der Verbände und Übernahme der Aufgaben und Mitglieder, nicht durch deren Zerschlagung. Das Bedürfnis nach Unterhaltung wurde erkannt und die Integration in die Parteiorganisationen ermöglichte die vollständige Kontrolle der Kommunikationsmöglichkeiten und die Steigerung der Popularität des Machtapparates.

Massenveranstaltungen wie solche Motorradrennen auf dem Hockenheimring faszinierten die Bevölkerung. © siehe Bildtext

Auch der junge Hockenheimer Motorfahrer-Club (HMC) wurde in das Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) eingegliedert. Anfang August 1933 wurde ein „Motor-Sturm“ in Hockenheim aufgestellt, zu dessen Gründungsversammlung im örtlichen NSDAP-Lokal „Zum Adler“ 43 Personen kamen, unter ihnen 31 Hockenheimer, welche fast alle Mitglieder des HMC waren. Eine Befragung ergab, dass an diesem Abend 25 der im „Lamm“ Anwesenden ihren Eintritt zum NSKK erklärten.

Die Hockenheimer Zeitung beschrieb die Gründungsversammlung detailliert

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass sich zirka 40 Prozent der Anwesenden einer Zwangseingliederung widersetzten. Die Gründungsversammlung wurde mit einem dreifachen „Sieg-Heil“ und der ersten Strophe des „Horst-Wessel-Lieds“ geschlossen, wie in der Hockenheimer Zeitung vom 5. und 8. August 1933 zu lesen war.

Die Versuche des NSKK, den Rennsport zu politisieren, waren an Grenzen gestoßen und hatten „keinen absoluten Verdrängungsprozess“ ausgelöst, vielmehr entstand eine Kooperation aller Beteiligten. Die Organisation der Rennen lag bei der Stadtverwaltung Hockenheim und vor allem bei der NSKK-Motorbrigade Kurpfalz-Saar.

Die Zusammenarbeit der Gruppierungen und der Verzicht auf absolute Kontrolle wurde nicht als Schwäche, sondern vielmehr als Stärke gesehen, denn dies war ein Garant für die Integrationsfähigkeit des NS-Regimes. Zudem war es ein Beitrag dazu, dass die nationalsozialistische Regierung von der Bevölkerungsmehrheit nicht als brutale Diktatur, sondern als „modernes, populäres Regime“ betrachtet wurde.

Militärisches Jargon nahm Einzug in die Hockenheimer Medien

Die Faszination Rennsport zog viele Begeisterte an: In der Berichterstattung der Hockenheimer Zeitung zu der Beschreibung der Menschenmassen, die zu den Rennen kamen, wurden Vergleiche aus dem militärischen Jargon wie „Der ganze Hardtwald glich einem riesigen Heerlager“ verwendet.

Die Fahrer werden als „alte Kämpfer“ bezeichnet – ein Propagandabegriff für Mitglieder der NSDAP, welche sich bereits in den Anfangsjahren der Partei engagierten. Zudem titulierte die Hockenheimer Zeitung die Rennveranstaltungen häufig als „Großkampftage“.

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Sportliche Darbietungen fungierten auch als Form der Truppenunterhaltung für die in der Nähe stationierten Einheiten. Im Jahr 1940 fand deshalb auf der Hockenheimer Rennstrecke ein Radrennen statt. Weitere Wettkämpfe wurden am 25. Juli 1943 und am 23. Juli 1944 vom Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen durchgeführt.

Großes Motorsportrennen von internationaler Bedeutung gastierten in Hockenheim

Bereits 1938 gab es Pläne, auf der umgebauten Rennstrecke Radrennen zu veranstalten. Konkrete Pläne wurden jedoch nicht gemacht, da der NSKK-Korpsführer Hühnlein versprach, dass jedes Jahr mindestens ein großes Motorsportrennen von hoher internationaler Bedeutung in Hockenheim stattfinden würde, was lukrativer erschien und den Radsport in den Hintergrund treten ließ.

Letztlich gab es von 1938 bis einschließlich 1946 keine Motorsportrennen in Hockenheim. Es zwar für den 2. April 1939 ein Rennen terminiert, jedoch wurde dieses aufgrund von Terminüberschneidungen abgesagt. Der Ausweichtermin am 15. Oktober desselben Jahres wurde wegen des Kriegsgeschehens nicht realisiert.

Der Hockenheimring wurde ab Kriegsbeginn von den Panzertruppen aus dem benachbarten Schwetzingen für Ausbildungsfahrten genutzt. Die dichte Bewaldung des umliegenden Hardtwalds bot Sichtschutz vor feindlichen Fliegern. Die Kettenfahrzeuge beschädigten den Straßenbelag, wodurch eine Durchführung von Rennen vorerst unmöglich gemacht wurde.

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