Ketsch. Es ist dem Team des Kirchenkinos auch ein Anliegen, für dieses Format im Central Kino Ketsch Filme auszuwählen, die Themen in den Blickpunkt rücken, die zwar in der Gesellschaft bekannt sind, deren Ausmaß, Realität und Tragweite jedoch manchmal vielleicht sogar mit dem Begriff skandalös zu umschreiben sind.
In der Oktober-Auflage des Kirchenkinos haben Doris Steinbeisser, Christina Noeske, Heike Wunderling und Matthias Rey den Film „Wie im echten Leben“ ausgesucht. Hier begleitet der Zuschauer die Protagonistin und Autorin Marianne Winckler (Juliette Binoche) bei der Recherche zu ihrem nächsten Buchprojekt. Sie möchte dabei selbst erleben, wie es als Putzkraft ist, für einen Mindestlohn den Alltag zu bestreiten, und erlebt dabei inkognito, unter welchen schwierigen Bedingungen gearbeitet wird, oft ohne Wertschätzung und Anerkennung – dafür aber mit vielen Schikanen.
Sie wird Teil eines Teams von zwölf Arbeiterinnen, die in 90 Minuten 230 Kabinen eines Fährschiffes putzen, teils weitere Putzjobs zum finanziellen Überleben annehmen und dann mit dem erwirtschafteten Hungerlohn haushalten müssen. Oft reicht das Geld gerade mal für das Nötigste, auf Freizeitspaß und Sonstiges muss verzichtet werden. Auch wenn die Träume der Frauen durchaus noch vorhanden sind, finden sich gerade die Älteren mit ihrer Lebensrealität ab, wobei die harte körperliche Arbeit zu herausfordernden Arbeitszeiten mit zunehmendem Alter immer härter wird.
Kampf ums Überleben
Halt findet Marianne in Freundschaften zu Arbeitskolleginnen, die zusammenhalten und sich durchkämpfen. Als jedoch durch einen Zufall Mariannes Masquerade auffliegt, spalten sich die Freundschaften. Die einen sehen es als Chance, dass die Autorin mit ihrem Buch auf Missstände aufmerksam macht, andere wiederum fühlen sich verraten und ausgenutzt.
Der Film jedenfalls macht nachdenklich. Wie ist es, wenn man auf dem Arbeitsmarkt nur einen schlecht bezahlten Job bekommt und um diesen zu behalten, täglich noch kämpfen muss? Und reicht der Mindestlohn überhaupt, um zu leben?
Realität vor Ort
Uwe Terhorst, Referent für Arbeitnehmerseelsorge in der Rhein-Neckar und Odenwald-Tauber, beleuchtet die Situation im anschließenden Gespräch mit Doris Steinbeisser. „Derzeit gibt es in Deutschland 8,6 Millionen Beschäftigte, die weniger als 12 Euro brutto pro Stunde verdienen. Rund zwei Drittel davon, also rund 5,7 Millionen, sind Frauen. Doch nicht nur in der Reinigungsbranche, wie im Film gezeigt, wird wenig verdient, auch in der Pflege oder in der Gastronomie ist dies oft die harte Realität“, informiert Terhorst.
Er steht mit anderen als Begleiter für Arbeitnehmer zur Verfügung, deren Arbeitgeber in Krisensituationen sind. Oft gehe es hier bei betroffenen Arbeitnehmern um existenzielle Ängste. Die prekären Lebenssituationen der Geringverdiener würden sich jedoch auch zukünftig kaum ändern, denn durch die geringen Einzahlungen in die Rentenkasse würden später die Rentenzahlungen ebenso nur zum Leben am Minimum reichen.
„Mich hat der Film bewegt, jedoch kann ich mir kaum vorstellen, dass die Arbeiterinnen unter solchen harten Bedingungen so freundlich untereinander bleiben, wie im Film dargestellt. Der Stress wirkt sich sicher auf die Menschen aus und bestimmt auch negativ“, überlegt Christel Keller aus Ketsch. Kinobesucher Bernd Hönig ergänzt: „Es ist wichtig, dass mit solchen Filmen auf diese erschreckende Realität aufmerksam gemacht wird. Und es ist toll, dass es die Möglichkeit gibt, beim Kirchenkino solche Filme zu sehen.“
Das nächste Kirchenkino findet am Montag, 7. November, statt. Dann wird der Film „Nicht ganz koscher“ gezeigt. csc
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