Ketsch. Die Einladung an alle Interessierten „Aus besonderem Anlass ...“ ins Ketscher Central-Kino zu kommen hatte Doppelsinn: zum Einen gab es am Tag nach dem Gedenken an die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht und damit dem Ende des Zweiten Weltkriegs den unterhaltsamen, inhaltsreichen Film „Das schreckliche Mädchen“ zu sehen, zum Anderen war die Frau zu Gast, deren Leben Grundlage für den Streifen von Regisseur Michael Verhoeven war - Anna Rosmus.
Sie verriet im Gespräch mit dem Journalisten, Historiker und Filmemacher Eberhard Reuß nach dem Film Details zu ihrer Jugend und ihrem heutigen Wirken. „Es ist etwa 15 oder 20 Jahre her, dass ich den Film gesehen habe“, erzählte die heute 65 Jahre alte Wahl-Amerikanerin mit Geburtsstadt Passau. Etwas mehr als 90 Minuten später, nach einem recht intensiven Einblick in die „Denke“ und Erziehung einer gutbürgerlichen Familie, sprach Rosmus über die Teile im Film, die sie wirklich überrascht hätten und ihrem Leben sehr nahe kämen: „Ich hab sehr gestaunt, die Großmutter im Film sieht meiner echten zum Verwechseln ähnlich.“
Passau als Zentrum im Ketscher Kino
Auch die Verheiratung mit dem deutlich älteren Mann, dem irgendwann ihr Wissensdurst, die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Recherchen etwa zu ihrer Heimatstadt Passau und deren Rolle im Nationalsozialismus betrieb, zu viel wurden und sie sich scheiden ließen, sei wirklich so passiert. Zudem werde transparent, wie elterliche Erziehung das Leben in Bahnen lenke.
An ihrem Beispiel tat dies die Erziehung zum absoluten Perfektionismus. An anderen Stellen habe man das Manuskript „auf die Ansprüche des breiten amerikanischen Publikums“ angepasst, damit der Film zum Erfolg werde, so Rosmus. Mit ihr selbst habe damals niemand gesprochen, der Film wurde einfach gedreht, und das obwohl sie selbst als Dolmetscherin in etlichen Gesprächen fungierte, da der Regisseur nicht Englisch sprach. Skurril.
Viele Preise für den Central-Film
Vorab: den Oscar hat der Film nicht bekommen, aber den Silbernen Bären für die Regie (Berlinale 1990), Ende 1990 wurde der Film mit dem New York Film Critics Circle Award als bester ausländischer Film geehrt; 1991 in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ für einen Golden Globe Award und für den Oscar nominiert.
Im Film des Regisseurs Michael Verhoeven von 1990 ist der Vater Schulleiter, die Mutter Religionslehrerin, die hochschwanger nicht mehr unterrichten darf, weil ihr Anblick den Schülern schade und für die fortan - man bemühe das Klischee - das Hausfrau- und Muttersein Lebensinhalt ist. Sonja, das besagte „schreckliche Mädchen“, dargestellt von Lena Stolze, wird, wie das Original, zur Perfektion erzogen, behält aber eine bestechende Art der Kindlichkeit, die überspitzt in vielen Szenen greifbar wird.
Als sie für einen Aufsatzwettbewerb des Bundespräsidenten zu recherchieren beginnt und dabei den Daumen in abgetane unterdrückte Wunden legt, ändert sich langsam das Scheinidyll. Nicht nur die Stadtoberen geben keine Auskunft, weisen die Fragende ab, es hagelt auch Drohungen gegen sie und ihre Familie.
Einblicke in Archive der ganzen Welt
Anna Rosmus hat aufgedeckt und tut es noch immer, sie habe Zugang zu Archiven überall auf der Welt, setze Puzzlestück an Puzzlestück, nicht ohne auch heute noch auf Anfeindungen zu treffen, erklärte sie. Auch wenn der Film oft sarkastisch überzogen und fern der Realität erzähle, habe sie damit leben gelernt.
Mit Blick auf den gesellschaftlichen Wandel, der sich derzeit in Richtung Rechtsradikalität vollziehe, ordnete sie ein: „Es sind ähnliche Strömungen wie damals, ich weiß, wie schnell sie umschlagen können.“ Ihr Buch „Out of Passau“ enthalte alle Erlebnisse, die der Film nicht wiedergebe, empfiehlt sie die Lektüre, die mit dem Geschwister-Scholl-Preis (1984) ausgezeichnet wurde. Die Vorführung des Films fand in Kooperation mit dem Olympia-Kino Hirschberg-Leutershausen, dem Brennessel-Kino Hemsbach und den Saalbau-Lichtspielen Heppenheim statt, wo der Streifen ebenfalls gezeigt wird.
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