Naturerlebnis - und warum es gefährdet ist

Ein Spaziergang mit dem Ketscher Jäger

Von 
Marco Brückl
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Ketsch/Hockenheim. Die Tierwelt in der unmittelbaren Umgebung des Flugplatzes Herrenteich ist noch mal mit einem blauen Auge davongekommen – das mag auch ein Verdienst von Jäger Gerhard Herm sein. Als es vor 14 Tagen eisig kalt war, das ist nach dem heftigen Temperaturanstieg kaum zu glauben, redete er auf die Menschen ein. Der Flugplatz Herrenteich bot samt Start- und Landebahn eine große Eisfläche, die viele Einheimische wie Ausflügler zum Schlittschuhlaufen oder Eishockeyspielen nutzten. „Flugplatz mutiert zum Eissportzentrum“ stand in der Zeitung zu lesen (SZ von Dienstag, 16. Februar).

Für Gerhard Herm war dies ein Grund zu großer Besorgnis. Als Jäger im Gebiet Ketschau Herrenteich war ihm bewusst, was das Verhalten einiger sich zu arg ausbreitender rücksichtsloser Zeitgenossen für die Tiere in diesem Bereich bedeutet. Für Rehe und Hasen fehlten vollends die Einstände. Sie wurden auf die Eisflächen im Rheinvorland vertrieben – und das hätte böse enden können.

„Ich habe versucht, es zu erklären“, sagt Herm. Der Jäger machte sich nicht selten unbeliebt. Im Lockdown, in dem sich die Menschen nach Abwechslung sehnen, wurde der Fachmann als Störenfried oder Aufseher wahrgenommen. „Was gehen mich die Rehe an, wenn man hier eine so herrliche Eisfläche ausnutzen kann“, könnte so mancher gedacht haben.

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Herm, der nicht besonders amüsiert über die Berichterstattung dieser Zeitung war, weil sie ihm zu einladend ausfiel, macht darauf aufmerksam, dass die Wiese der Start- und Landebahn sowie die Umgebung ein Naturschutzgebiet sind. Und da ist die Liste der Verbote lang.

In der Verordnung des Regierungspräsidiums Karlsruhe über das Natur- und Landschaftsschutzgebiet „Hockenheimer Rheinbogen“ sowie über das Wildschutzgebiet „Hockenheimer Rheinbogen I“ umfasst die Liste der Verbote 22 Punkte. Dass es verboten ist, „die Wege zu verlassen“, „Abfälle oder sonstige Gegenstände zu lagern“ oder „Hunde frei laufen zu lassen“ fällt darunter und lässt stutzen – denn genügend Menschen halten sich regelmäßig nicht daran. Genau genommen hätte keiner am Flugplatz Herrenteich Schlittschuhlaufen dürfen. Und das Gelände ist Privatgelände, worauf ein Schild „Flugplatz – Betreten verboten“ hinweist.

Waschbär erstmals 2017 gesichtet

Aber was ist denn unter anderem so schützenswert in diesem Landschaft- und Naturschutzgebiet? Beim Besuch an diesem Tag zeigt es sich von seiner besten Seite. „Sie haben Glück, heute sind einige Kraniche gelandet“, sagt Herm. Als der 61-Jährige seinen Wagen in ausreichend großer Entfernung bewegt, steigen die Kraniche auch schon empor, unternehmen nach dem Start große Kreisbewegungen, bis gute Thermik ihren Flug unterstützt. „Die sind auf der Durchreise nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern“, sagt Herm. Sie hatten nahe Ketsch, am Karl-Ludwig-See noch ein wenig nach Ruhe gesucht, ehe es nun vollends in den Norden geht.

Herms Jagdgebiet, das er mit Mitstreitern hegt und pflegt, erstreckt sich von den Flächen hinter der Hohwiese bis zur Autobahn 61. Im Hockenheimer Rheinbogen bereitet den Jägern vor allem die Ausbreitung von invasiven Arten Sorge. Die Raubwildbejagung spielt eine große Rolle. Der wachsende Druck bedeutet, dass Boden- oder Höhlenbrüter unter mehr Gefahr ihren Nachwuchs großziehen als gemeinhin für ihren Fortbestand zuträglich. Herm nennt die Feldlerche oder die Sumpfohreule, die so mit Problemen kämpft.

2017 wurde erstmals der Waschbär auf der Rheininsel nachgewiesen, als ein Exemplar vor die Kamera lief. Die Hurrastimmung hält sich deshalb in Grenzen, weil auf dem Speiseplan des Allesfressers auch Amphibien und Reptilien sowie Jungvögel und Vogeleier stehen. Das stellt nicht nur für Bodenbrüter ein Problem dar: Aufgrund seiner exorbitanten Kletterfähigkeiten sucht der Waschbär auch in Baumkronen nach Nahrung. Forscher führen Brutverluste bei Uhus, Graureihern und Höhlenbrütern auch auf die Verbreitung des Waschbären zurück. Es gibt Vogelarten, die sich bereits durch die Anwesenheit des Waschbären gestört fühlen und deshalb ihre Brutstätten ungenutzt zurücklassen.

Neben Fuchs und Dachs, die in hiesigen Gefilden schon immer ihre Heimat fanden, zählen Mink oder Marderhund wie der Waschbär zu den „Einwanderern“, die für einen gestiegenen Raubwilddruck sorgen. Zwar seien Marderhund oder Mink noch nicht im Gebiet, „aber sie werden kommen“, prophezeit Herm.

Letztes Rebhuhn 2014

Herm, ein echter Ketscher, ist als Jäger im nahen Gebiet seiner Heimat seit 1979 unterwegs. Dass das Rebhuhn beispielsweise in Deutschland kurz vor dem Aussterben ist, belegen seine Aufzeichnungen vor Ort. „Das letzt Rebhuhn habe ich am 2. Juni 2014 hier gesehen“, sagt er.

Der Deutsche Jagdverband führt eine lange Gefahrenliste für das Rebhuhn: veränderte Lebensräume, Zunahme der Fressfeinde, ungünstige Wetterbedingungen, Beeinträchtigung des Nahrungsangebotes oder die ausgeräumte Feldflur dazu.

Der Rundkurs mit Gerhard Herm hat an der Auffahrt zur Autobahn 61 in Richtung Speyer einen Stopp. In Zusammenarbeit mit dem Landschaftserhaltungsverband, dem Landesjagdverband und ansässigen Landwirten sei dort eine rund zwei Hektar große Blühfläche angelegt. „Hier finden die Jungtiere die für ihre Entwicklung notwendigen Insekten“, sagt Herm. Auch besteht die Hoffnung, dass sich das Rebhuhn mittel- bis langfristig wieder ansiedelt.

Auf die Frage, ob es dem Rebhuhn nicht viel zu laut an der Stelle sei, antwortet Herm, dass die Lautstärke nicht das Problem für das Tier sei. Damit kämen die Hühnervögel klar, wenn sie nur genügend Deckung für einen Rückzugsort fänden.

Wie wichtig Deckung, Nahrung und Rückzugsorte seien, betont Gerhard Herm nochmals, als er bei der Weiterfahrt auf das Thema Feldhasen zu sprechen kommt. Außerdem: „Hasen brauchen normalerweise 100 verschiedene Gräser und Kräuter, um gesund zu bleiben.“ Eine andere wissenschaftliche Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass von 100 Junghasen gerade einmal zwei bis zum Erwachsenenalter übrigblieben. „Damit kann man sich ausrechnen, wie schwer es ist, dass sie erhalten bleiben.“

Eine Rarität am Rheinbogen sei auch der Kiebitz als Durchzügler geworden, sagt Herm, der sich freut, dass ein Uhu ab und an zu entdecken ist. Während die Saatgans fast gänzlich verschwunden sei, sind bei der Besuchsfahrt unserer Zeitung ein Paar Graugänse zu sichten, die mittlerweile wieder häufiger vorkommen. Gerhard Herm erinnert sich freudig an 2016, als ein Schwarzstorch sowie Seiden- und Purpurreiher vor Ort waren.

„Ich bin von Kindesbeinen an in der Natur unterwegs. Sie ist meine große Leidenschaft. Für mich ist wichtig, sie in möglichst gutem Zustand für die Nachwelt zu erhalten. Ich habe zwei Enkel. Sie sind drei und eineinhalb Jahre alt“, sagt der 61-Jährige.

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