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Film mit Regisseur: „Chaos und Stille“ fasziniert im Ketscher Kino

Der Film von Anatol Schuster sorgt für Gesprächsstoff: Wie findet man in der heutigen Welt Stille? Zuschauer erleben einen Abend im Ketscher Central voller Fragen, die zum Nachdenken anregen.

Von 
Sabine Zeuner
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Regisseur Anatol Schuster im Gespräch mit Doris Steinbeißer zu seinem Film "Chaos und Stille". © © Sabine Zeuner

Ketsch. „Manchmal habe ich auch das Gefühl, mich aus dieser lauten Welt zurückziehen zu müssen, Stille zu erleben“, erzählte eine Besucherin des Films „Chaos und Stille“ im Central Kino kurz vor dem Start des Streifens, der ein Thema anpackt, das sehr viele Menschen weltweit umtreibt.

Die Frau war aus Hockenheim ins Kino gekommen, „weil es mich stark interessiert, wie der Film unsere Welt und die Menschen, die ganz unterschiedlich darin leben und existieren, darstellt – ob es Impulse gibt, was man ändern kann, für sich, für alle.“

Sie fasste damit unwillkürlich zusammen, was viele der überwiegend älteren rund 70 Kinogäste bewegte. Extrem viele Sichtweisen, Eindrücke gibt Regisseur Anatol Schuster dem Zuschauer mit, die wie Puzzleteile diverser Lebensweisen ein letztendlich offenes Bild zurücklassen, das jeder für sich individuell zum persönlichen Ganzen füllen kann, wenn er will.

Sinnfragen im Ketscher Kino

Impulse dafür setzt der knapp 90 Minuten lange Streifen zur Sinnkrise von Leben und Gesellschaft auf jeden Fall. Viele Fragen werden angeteasert: Wo eigentlich kann man in der reizüberfluteten Welt noch echte Stille finden? Wie wichtig ist Stille? Besinnt Mensch sich noch auf seine inneren Bedürfnisse?

Wenn ja, wie finden sie ihre Realisierung in einer Gesellschaft, die rasant schnell polarisierende Lager bildet, Andersdenkende und -lebende geradezu stigmatisiert? Im Gespräch zwischen Doris Steinbeißer vom Central-Team und Regisseur Anatol Schuster nach Filmende gab es interessante Ansichten zum Thema.

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Worum es geht: Klara (Sabine Timoteo) ist gut situiert, hat einen Job und besitzt ein eigenes Mietshaus. Dort lebt der junge Komponist Jean (Anton von Lucke) mit seiner Frau Helena (Maria Spanring), einer Pianistin und ihrer gemeinsamen Tochter Hanna. Mehr schlecht als recht reichen ihnen die Einnahmen aus Kompositionen und Klavierunterricht kaum zum Leben.

Eines Tages erlässt Klara der jungen Familie die Miete, schenkt ihnen ihren Flügel, denn sie gibt alles weg, was sie besitzt. Sie lässt Möbelpacker ihre Wohnung räumen, löst ihr Konto auf und packt einen sechsstelligen Betrag in eine simple Tasche und zieht aufs Hausdach.

Film mit Regisseur: Anatol Schusters Werk entführt in seinen Geburtsort

Strukturiert geht sie dennoch durch ihren Alltag, betreibt Körperpflege im Springbrunnen im Park, putzt die Zähne, lässt ihren Blick über die Dächer von Darmstadt, wo der Film spielt und Anatol Schusters Geburtsort ist, schweifen. In ihre selbstgewählte Isolation schwirrt eine Drohne. Das so entstandene Bild findet sich wenig später in der Zeitung wieder, wo im Artikel über die Aussteigerin philosophiert wird.

Für Jean ist Klaras Schritt aus der Normalität Schub für seine eigene Kreativität, während seine Frau ihre beschützende, helfende Ader entdeckt, etwa für Klara kocht. Im Parforceritt erlebt der Zuschauer einen jungen Menschen mit Migrationshintergrund, der seine geschlechtliche Identität sucht, die nicht der „Regel“ entspricht, einen Obdachlosen, der an der Welt verzweifelt stumm versucht, auf sich aufmerksam zu machen.

Dabei trägt er einen Hut aus Alufolie, um schädliche, beeinflussende Strahlung von sich abzuhalten. Ein Kind, das mit der Unbescholtenheit von Kindern, die entscheidende Frage stellt: „Was passiert mit der Musik, wenn wir alle nicht mehr sind?“ Die Frage bleibt unbeantwortet.

Film in Ketsch bildet „intaktes“ Familienbild ab

Jean und Helena, die Helenas Eltern besuchen, deren Bild einer „intakten“ Familie entspricht, die ihre Tochter immer gefördert haben, nicht ganz mit deren aktuellem Leben konform gehen. Sie leben ihren eigenen Kosmos der heilen Welt.

Und dann gibt es noch die konträren Gruppierungen, die sich schnell am und im Haus von Klara formieren: Die einen, die sie feiern, als eine, die mutig das Richtige tut sowie diejenigen, die laut gegen die nicht sprechende „Störerin“ skandieren und mobil machen, fordern, dass sie wegmuss.

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Am Ende wird Klara von Hilfsorganisationen vom Dach geholt und findet sich in der Psychiatrie wieder, wo sie einerseits einen verständnisvollen Arzt erlebt, aber auch den reglementierten Alltagsumgang mit scheinbar suizidgefährdeten Menschen, die aus dem schematischen Rahmen fallen.

Und immer wieder die klaren, prägnanten Melodien von Johann Sebastian Bach, die das offensichtlich skurrile Leben untermalen, ebenso wie A-cappella-Gesang mit einprägsamen Texten. Stille herrschte während des gesamten Abspanns im Kino.

Doris Steinbeißer vom Ketscher Kino-Team im Gespräch mit dem Regisseur

„Anatol ist aber kein deutscher Vorname“, ist geflüstert zu hören, bevor der Regisseur in den Saal kommt. Schon wieder ein Klischee, von denen es so viele gibt in unserer Gesellschaft. Reduziert in Schwarz leger gekleidet beantwortet der in den 1980er-Jahren geborene Fragen von Doris Steinbeißer.

Eine Reise in die Stille habe er selbst versucht und erlebt, schilderte Schuster, der die Inhalte seiner Filme selbst schreibt, „dass das Leben ein komplexer Zustand von Chaos ist, den man immer wieder zulässt.“ Eigentlich sei es eine utopische Geschichte für ihn gewesen, die er hier erzähle, jedoch habe sie sich dystopisch herauskristallisiert, spiegele also eine nicht wünschenswerte Zukunftswelt, die eine „Scheinfreiheit“ zeige.

Jedoch möchte er auch aufrütteln, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, sich offensichtlichen Problemen zuzuwenden. Ein Zuschauer sah als Ansatz, mehr Stille in die Welt zu bringen, die öffentliche Werbung zu unterbinden, die eine immerwährende Reizüberflutung sei, der man sich kaum entziehen könne.

Es sei wichtig, mehr Raum zu haben, innere Bedürfnisse erspüren zu können. Handlungsanweisungen gibt der Film, wie gesagt, nicht, aber eine Menge Denkansätze, die mit allen Kinobesuchern nach Hause gingen.

Freie Autorin freie Mitarbeiterin

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