Ketsch/Brühl. Wann kommt die Starkstromleitung, die mitten durch Ketsch verläuft und sogar einzelne Wohnhäuser überspannt, endlich weg? Diese Frage stellen sich viele betroffene Anwohner, die sich teilweise in einer Bürgerinitiative (BI) organisiert haben (wir berichteten mehrfach). Zuletzt hatte ein Artikel unserer Zeitung für Unmut gesorgt, in dem noch einmal auf den amtlichen Planungsstand verwiesen wurde: Denn demzufolge ist die Verlegung der Leitung weiterhin nicht entschieden.
„Das hat bei vielen Betroffenen zu Verwunderung geführt, weil bislang alle beteiligten Stellen signalisiert hatten, dass eine Verlegung der einzig sinnvolle Weg sei“, sagt Ralf Schneider von der BI Ketsch/Brühl. „Ich selbst habe mir Ende vergangenen Jahres die aktuellen Pläne im Landratsamt angeschaut, als diese öffentlich ausgelegt worden sind. Und dort war klar zu erkennen, dass die bisherige Trasse zurückgebaut und eine neue Leitung um Brühl und Ketsch herum errichtet werden soll. Wie passt das zu den jüngsten Aussagen des Betreibers Transnet BW, dass noch nichts entschieden sei?“
Tatsächlich finden sich in den Antragsunterlagen für die sogenannte Bundesfachplanung Beschreibungen und Karten, die deutlich den von der BI favorisierten Verlauf zeigen: Demnach soll die neue Trasse im Bereich von Brühl und Ketsch möglichst viel Abstand zu den bebauten Gebieten halten und größtenteils auf der Schwetzinger Seite der A 6 verlaufen.
In den Unterlagen von Transnet BW heißt es dazu: „Östlich von Brühl verlässt die potenzielle Trassenachse den Schutzstreifen der bestehenden Anlage, um eine neue und potenziell konfliktärmere Trasse östlich von Brühl und Ketsch sowie westlich von Schwetzingen zwischen Autobahn, Landesstraße und Bahntrasse als Parallelneubau zu erschließen. In diesem Bereich östlich der Siedlungen befindet sich bereits eine Bahnstrom-Leitungsanlage.“
Kurz vor der Autobahnabfahrt Schwetzingen/Hockenheim zur B 39 soll die Trasse dann die A 6 queren und über die Felder und Wiesen zwischen Gewerbegebiet Süd und dem Waldrand zur bestehenden Leitung Richtung Talhaus aufschließen. Somit wären Brühl und Ketsch von der bisherigen Trasse befreit - wobei zwei weitere Starkstromleitungen, die den Süden der Enderlegemeinde und das Gewerbegebiet tangieren, von all diesen Plänen unberührt bleiben.
In der Folge könnte dann die bisherige Leitung abgebaut werden – entsprechend ist sie in den Unterlagen von Transnet BW markiert. Und auch auf Nachfrage unserer Zeitung teilt das Unternehmen mit: „Transnet BW hält weiter an der Ortsumgehung von Brühl und Ketsch fest. Genau wie die Bürgerinitiative bevorzugen wir einen Trassenverlauf möglichst weit entfernt von der Wohnbebauung. Dieser Realisierung steht nach derzeitigem Kenntnis- und Planungsstand nichts entgegen.“
Ist die Verlegung der Starkstromleitung aufgrund dieser Pläne und Aussagen also doch schon beschlossen? Leider nein. Denn alle diese Überlegungen und Bekundungen stammen bislang nur vom zukünftigen Betreiber Transnet BW. Sie haben somit zwar einiges an Gewicht, bedeuten aber eben noch keine Entscheidung. „Aktuell befindet sich das Projekt in der Bundesfachplanung, die vermutlich im Herbst abgeschlossen sein wird“, erklärt Transnet BW. Bei dieser Fachplanung wird zunächst nur ein Korridor festgelegt, innerhalb dessen die Trasse zukünftig verlaufen wird. Und eben dieser Korridor ist derart breit, dass er im Bereich von Brühl und Ketsch auch noch die alte Leitung umfasst.
Denn rein technisch wäre es auch möglich, die bestehende Trasse auszubauen, anstatt einen neuen Verlauf zu realisieren. Gerade in Gebieten, in denen die bisherige Leitung keine Probleme macht, wird dies beim Netzausbau wohl auch das Standardverfahren sein (siehe Infokasten). Doch macht so eine Bestandslösung im Bereich von Brühl und Ketsch Sinn? „Auf gar keinen Fall, das wäre doch völliger Quatsch“, sagt dazu Ralf Schneider von der BI. „Ein neuer Verlauf außerhalb der Orte wäre viel flexibler und günstiger. Und für uns Anwohner wäre eine Aufrüstung auf eine noch viel größere Strommenge keinesfalls zumutbar. Sollte es tatsächlich zu diesen Plänen kommen, werden wir das auf jeden Fall verhindern. So langsam steigt die Unruhe bei den Betroffenen, weil sich nichts tut und ein möglicher Ausbau der alten Leitung immer noch nicht endgültig aus der Diskussion genommen wird“, sagt Schneider.
Komplexe Genehmigung
Zu einem offenen Konflikt muss es aber vielleicht doch nicht kommen: Transnet BW macht auf Nachfrage unserer Zeitung deutlich, dass es weiterhin die Verlegung der Trasse favorisiert. Der Grund für die Ungewissheit seien nicht die Planungen des Unternehmens, sondern das komplexe Genehmigungsverfahren. „Nach dem Beschluss der Bundesfachplanung im Herbst, die wie gesagt nur den groben Korridor festlegt, folgt das Planfeststellungsverfahren. Erst damit steht der Trassenverlauf dann endgültig fest. Mit dem Beschluss rechnen wir Mitte 2025“, erklärt Transnet-BW-Sprecherin Claudia Halici.
Das Unternehmen habe jüngst extra noch den Korridor im Bereich um Brühl und Ketsch erweitert, um den favorisierten Verlauf Richtung Schwetzingen einfacher zu ermöglichen. Auch seien bereits potenzielle Probleme der neuen Trassenführung berücksichtigt worden: Die Sichtachse zum Schwetzinger Schloss werde nicht beeinträchtigt und die Waldgebiete würden aus Schutzgründen extra überspannt. Weil in diesem Bereich bereits andere Stromleitungen verlaufen, könne die neue Trasse ohne große Eingriffe in das Landschaftsbild realisiert werden. Und doch betont Transnet BW, dass die endgültige Entscheidung nicht beim künftigen Betreiber und der bisherigen Bundesfachplanung liege, sondern eben beim Planfeststellungsverfahren. Dabei werde es erneut eine öffentliche Anhörung durch die zuständige Behörde geben – und dabei könnten natürlich Bedenken gegen die Pläne für die neue Trasse vorgebracht werden.
„Erst mit Beschluss des Planfeststellungsverfahrens haben also alle Beteiligten Planungssicherheit. Auch wenn es für Ihre Leser unbefriedigend sein mag: Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich seriös keine Aussage zum genauen Trassenverlauf machen“, betont Transnet-BW-Sprecherin Claudia Halici.
Bislang spricht also alles für eine Verlegung der Starkstromleitung um Ketsch und Brühl herum – und doch können die Betroffenen bis zur finalen Entscheidung voraussichtlich Mitte 2025 nicht endgültig sicher sein, dass es auch so kommt. Trotzdem ist die BI zuversichtlich, dass es eine Entscheidung zugunsten der Ketscher und Brühler Bürger geben wird.
„Warum sollte die Bundesnetzagentur einen durchdachten, wirtschaftlichen und umweltverträglichen Vorschlag zur Ortsumgehung kippen, den die Experten von Transnet BW erarbeitet haben?“, argumentiert Ralf Schneider. Um auf diese Position noch einmal „in aller Deutlichkeit“ hinzuweisen, sei bald ein persönliches Treffen mit der Bundesnetzagentur geplant.
Starkstromleitung in Ketsch und Brühl
Die Diskussionen um die Starkstromleitung, die in Ketsch und Brühl teilweise direkt über Wohnhäusern verläuft und die Gemeindegebiete stark tangiert, sind nicht neu. Seit Jahrzehnten ist eine Verlegung im Gespräch.
Konkrete Pläne gibt es aber erst seit einigen Jahren: Im Zuge des Netzausbaus wegen der Energiewende soll die bestehende Leitung von bislang 220 Kilovolt (also 220 000 Volt) auf 380 Kilovolt verstärkt werden. Im Zuge dessen scheint eine Verlegung naheliegend.
Die Planer sprechen bei dem Projekt von einer Netzverstärkung, die im Bereich Brühl und Ketsch als „Ersatzneubau“ geplant ist. Dieser Fachbegriff ist allerdings missverständlich – er bedeutet nicht automatisch den Bau einer neuen Trasse.
Stattdessen kann eine Leitung laut Transnet BW auch nur angepasst oder erweitert werden, indem zusätzliche Stromseile angehängt oder Masten ausgebaut werden. Ein Neubau im eigentlichen Sinne ist lediglich eine weitere Option – die Transnet BW rund um Brühl und Ketsch aber favorisiert. beju
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