Ketsch. Über 150 Flüchtlinge aus der Ukraine haben im vergangenen Jahr in der Enderlegemeinde Zuflucht gefunden. Laut Informationen, die dem Integrationsbüro vorliegen, könnten in 2023 etwa noch mal die gleiche Zahl an Ukrainer nach Ketsch kommen. Hinter jedem Einzelnen, der seine Heimat aufgrund des Krieges verlassen musste, steht ein Mensch mit einer ganz persönlichen Geschichte. Viele können oder möchten derzeit nicht oder noch nicht darüber sprechen, wie sie die letzten Tage und Wochen vor der Flucht, die Flucht selbst und die vergangenen Monate erlebt haben. Oft sind die Emotionen einfach zu viel, die Gedanken oder Sorgen um Menschen, die man zurücklassen musste, zu groß und es fehlen die Worte. Unsere Reporterin hat erneut Frauen aus der Ukraine in Ketsch getroffen, die bereit dazu waren, ihre Geschichten zu erzählten.
Evgenia Romanenko aus Kiew, über deren Geschichte wir vor kurzem berichteten, stellte die Kontakte her und unterstützte beim Übersetzen. Anastasia (26) und Svitlana (44) lassen uns an ihrem Schicksal teilhaben. „Ich komme aus Dnipro, das ist die viertgrößte Stadt in der Ukraine“, sagt Anastasia. Als sie neun Jahre alt war, verstarben ihre Eltern und von da an lebte sie bei ihrer älteren Schwester, deren Mann und deren Kinder. „Auf einmal ging es los mit den Bombeneinschlägen und es gab kein Strom mehr und kein Wasser, da haben wir entschieden zu fliehen“, erinnert sie sich.
Ukrainerinnen in Ketsch: Über München und Stuttgart nach Ketsch
Ihre Schwester machte sich auf den Weg nach Polen zu einer Freundin, Anastasia selbst kam über Polen nach Deutschland. Zunächst strandete sie in München, dann in Stuttgart und kam dann nach Ketsch. „Über Facebook habe ich nach Wohnraum gesucht und im März kam ich nach Ketsch. Hier bin ich privat bei einer Familie untergekommen und habe dort ein Zimmer. Ich bin dieser Familie unendlich dankbar, denn sie helfen mir sehr viel, gerade bei der Sprache“, so die 26-Jährige, die mittlerweile schon sehr gut Deutsch spricht.
Dabei, und so bestätigen es die Frauen am Tisch, seien die Sprach-und Integrationskurse eine große Hilfe, jedoch die Chance, nicht nur für sich selbst zu lernen, sondern so oft es geht Deutsch mit Muttersprachlern zu sprechen, sei ein echter Schlüssel, um die Sprache schnell zu verinnerlichen. „Und die Sprache ist das Wichtigste, denn dann kann ich Arbeit finden, das ist aktuell mein großer Wunsch“, ergänzt Anastasia und lässt den Blick durch das Café streifen, in dem das Treffen stattfindet.
Aus der Ukraine geflüchtet: Anastasia und Svitlana herzlich in Ketsch aufgenommen
In der Ukraine, so erklärt sie, war sie Managerin eines Cafés und der Wunsch, wieder ein Café zu betreiben, der sei natürlich ganz klar da. Auf die Frage, wie sie sich in Deutschland fühlt, meint sie: „Die Menschen hier sind so hilfsbereit und Deutschland ist für mich ein gutes Land. Ich bin 26 und sehe gute Möglichkeiten, hier neu zu beginnen, deshalb werde ich fleißig lernen. Und Ketsch, das habe ich längst ins Herz geschlossen.“
Svitlana (44) lebt ebenso seit dem Frühjahr in der Enderlegemeinde. „Ich stamme aus Sumy, im Nordosten der Ukraine. Diese Stadt ist nicht sehr groß, aber liegt nahe der Grenze zu Russland. Vor dem Krieg war es völlig normal, dass man in beide Richtungen über die Grenze fuhr, mal kurz zum Einkaufen oder um Freunde zu besuchen - manche auch zum Arbeiten. Ab dem 24. Februar war alles anders, die russischen Panzer fielen ein, die Sirenen heulten und man hörte Explosionen. In Sumy war alles geschlossen, es gab keine Lebensmittel und auch keine Medikamente mehr, wenn man etwas brauchte. Die Grenze war zu und wenn man noch mit Freunden in Russland telefonierte, dann sprach man nur über allgemeine Dinge. Sumy selbst war vielleicht nicht direkt Ziel, doch fährt man an Sumy vorbei geht es in die eine Richtung nach Kiew und in die andere Richtung nach Charkiw, dahin wollten sie mit ihren Panzern“, erzählt Svitlana.
Ukrainerinnen in Ketsch: Stets in Bereitschaft
Sie berichtet von Nächten ohne Schlaf im Keller und das Warten auf den sogenannten „grünen Korridor“ den man den Zivilisten zusagte, um zu fliehen. „Wir mussten stets bereit sein zu gehen, denn wann sich dieser Korridor öffnet, wusste ja niemand“, erklärt sie. Mit ihrer 67-jährigen Mutter, ihrer 15-jährigen Tochter und ihrer Schwester, die selbst zwei Kinder im Alter von acht und zehn Jahren hat, machte sie sich schließlich auf den Weg.
„Mein Mann musste in der Ukraine bleiben. Er ist zwar kein Soldat, aber macht Zivilarbeiten. Er durfte nicht ausreisen“, berichtet sie traurig. Die Flucht sei schwierig gewesen. Unzählige Stunden musste die Familie in überfüllten Bussen fahren, bei minus drei Grad ausharren, bis es mit Bus oder der S-Bahn auf einer weiteren Zwölf-Stunden-Fahrt weiterging nach Leviv und man etwas zu essen oder trinken bekam.
„Nach vielen weiteren Stunden kamen wir endlich in Polen an und mussten immer schauen, dass keiner von uns sechs irgendwo verlorengeht. In Polen wurden wir in einem Supermarkt, der zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert wurde, untergebracht und die Polen haben uns sehr geholfen und nach den Möglichkeiten gut versorgt. In Polen waren bereits Helfer aus Deutschland und anderen Ländern wie Frankreich. Über Stuttgart kamen wir dann nach Schwetzingen und schließlich nach Ketsch. Auch wir sind privat untergekommen und heute möchte ich sagen: Niemals habe ich es erwartet, dass wir so gut aufgenommen werden. Wir sind so dankbar“, ergänzt Svitlana sehr ergriffen. Mit ihrem Mann in der Ukraine kann sie ab und an telefonieren. „Unser Haus dort ist derzeit noch nicht zerstört, aber Strom und Wasser oder Heizung, das gibt es nur zeitweise, sagt er, und Lebensmittel gibt es zwar, aber wenig und teuer“, so die 44-Jährige.
Ukrainerinnen in Ketsch: Über 20 Jahre Berufserfahrung
Für sie stehe aktuell auch das Lernen der Sprache im Vordergrund. „In der Ukraine war ich als Pharmazeutin in einer Apotheke beschäftigt. Hier in Deutschland gibt es einen anderen Bildungsweg für diesen Beruf und ich muss sehen, inwieweit meine Ausbildung anerkannt wird. Ich habe zwar kein Studium, jedoch über 20 Jahre Berufserfahrung, aber ja, jetzt heißt es erst mal Deutsch lernen. Wir Ukrainer sind es gewohnt zu arbeiten und deshalb ist auch mir das ganz wichtig. Auch als Beispiel für meine Tochter und meine Nichte und meinen Neffen“, bekräftigt Svitlana entschlossen. Wo sie ihre Zukunft sieht, erklärt sie gerne: „Hier in Deutschland wäre schön, mit meiner ganzen Familie und einer Arbeit, mit der wir uns etwas aufbauen können.“
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