Ketsch. Die Entwicklung der ansteigenden Kirchenaustritte ist längst in der Enderlegemeinde angekommen. „Wir beobachten, dass sich die Zahl der Kirchenaustritte kontinuierlich auf einem hohen Niveau bewegt. Bis zu zehn Austritte im Monat sind zu verzeichnen, was wir natürlich sehr bedauern“, erklärt Pfarrer Christian Noeske von der evangelischen Kirchengemeinde Ketsch.
Auch Pfarrer Erwin Bertsch von der katholischen Seelsorgeeinheit Brühl-Ketsch bestätigt: „Wenn ich die Zahlen für unsere Seelsorgeeinheit Brühl-Ketsch betrachte, so gab es im Jahr 2020 schon 124 Austritte, im Jahr 2021 bereits 202 und in 2022 sind es bisher 67. Dieser Anstieg ist sicher nicht zuletzt durch die jüngsten Veröffentlichungen in Sachen Missbrauchsfällen entstanden, hat aber meiner Meinung nach auch weitere Gründe.“ So sehe er beispielsweise den Umgang mit Themen wie Zölibat oder Gleichberechtigung und eine Entfremdung zur Institution Kirche auch als Auslöser der Entscheidung, ob man weiter Teil einer Kirchengemeinde sei. „Es ist meiner Meinung nach oft sogar hinderlich, dass Themen als Weltkirche behandelt werden und unterschiedliche kulturelle oder gesellschaftliche Entwicklungen in unterschiedlichen Ländern hier keine Beachtung finden. Entscheidung sollten hier besser angepasst erfolgen“, führt Bertsch weiter aus.
Christian Noeske sieht bei den Austritten zudem einen Zusammenhang mit persönlichen Situationen: „Natürlich ist die Kirchensteuer ein Betrag, der jeden Monat vom Gehaltszettel abfließt. Wenn wirtschaftliche Situationen angespannt sind und die eigene Verbundenheit zur Kirche eher schwächer ist, dann sind die Folgen klar. Leider ist das System der Kirchensteuer ein starres, was kaum und nur in Einzelfällen individuelle Möglichkeiten zulässt.“ Beide kirchlichen Institutionen erfahren bei Austritten die Beweggründe der Einzelnen nicht, schreiben jedoch alle gemeldeten Personen an, gerne mit dem Angebot zu einem Gespräch und der Einladung, immer wieder als Kirchenmitglied willkommen zu sein. „Wenn die Chance zu einem Gespräch genutzt wird oder schriftlich eine Kontaktaufnahme erfolgt, dann erfahren wir meist, dass der Austritt nicht daran liegt, dass der Glaube an Gott verloren ging. Manche stellen in Aussicht, zu einem späteren Zeitpunkt wieder einzutreten, was, wenn auch selten, passiert“, so Pfarrer Bertsch. In der evangelischen Kirchengemeinde gäbe es, wenn auch wenige, Wiedereintritte und Übertritte, wie Pfarrer Noeske ergänzt.
Missbrauch durchaus Thema
Bei der Anzahl der Taufen zeichnet sich in beiden Kirchen in der Enderlegemeinde das gleiche Bild ab: Hier sei die Nachfrage gleichermaßen groß und die Termine seien gut gebucht. Dabei sei es ausreichend, dass ein Elternteil Mitglied der Kirche ist oder zumindest eine Pate beziehungsweise eine benannte Person die christliche Entwicklung begleitet. „Leider ist jedoch die Anzahl der Taufen (25 in 2021 in Ketsch) im Verhältnis zu den Beerdigungen (75 in 2021 in Ketsch) doch gering und wenn man dann die Austritte noch hinzunimmt, dann kommen einfach weniger Kirchenmitglieder nach als verloren werden. Zudem steigt das Durchschnittsalter der Personen, die austreten, deutlich: So lag dies 2021 bei 37 und liegt in 2022 bisher bei 54, berichtet Pfarrer Bertsch.
Dass die, wie er betont, absolut wichtige Aufarbeitung der Missbrauchsthemen in den verschiedenen Diözesen Schübe bei den Austritten verursacht, sei deutlich. „Ich persönlich hätte mir hier allerdings eine koordiniertere Vorgehensweise gewünscht und eine möglichst gleichzeitige, umfassende Veröffentlichung der Gutachten aller Diözesen, die es betrifft. Missbrauchsfälle sind, und nicht nur im Zusammenhang mit der Kirchen, ein völliges Fehlverhalten im Umgang mit Schutzbefohlenen. Die katholische Kirche ist jedoch mittlerweile sehr aktiv, was die Prävention betrifft. Beispielsweise muss ein Pfarrer ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen und alle Mitarbeiter der Kirche, ob angestellt oder ehrenamtlich, an Schulungen zur Prävention teilnehmen. Jede Pfarrei ist somit verpflichtet, ein Präventionsschutzkonzept zu erarbeiten“, klärt Pfarrer Erwin Bertsch auf.
Dass allerdings eine Art Generalverdacht für eine Berufsgruppe entstehe, sehe er als bedenklich an: „Ich höre leider immer wieder von Engagierten in der Kirchengemeinde, die sie sich in Gesprächen teils fast rechtfertigen müssen, weshalb sie für die Kirche tätig sind. Dies ist eine traurige Tatsache, ist doch vielen Menschen der Glaube in verschiedenen Lebenssituationen eine Stütze und Hilfe.“
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