Evangelische Kirchengemeinde - Pfarrerin Katharina Garben blickt auf zwölf Monate Seelsorge unter Pandemie-Bedingungen zurück / Arbeit stärker an Bedürfnissen des Einzelnen ausgerichtet

Evangelische Kirche Neulußheim blickt auf Corona-Jahr zurück

Von 
Corinna Perner
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Neulußheim. Der Gottesdienst am 15. März 2020 war ein ganz normaler für Pfarrerin Katharina Garben und ihre Kirchengemeinde – so schien es. Doch im Nachhinein hat es sich als ein ganz besonderer erwiesen: Seither fand kein Gottesdienst mehr statt, ohne auf Gemeindegesang zu verzichten, ohne Voranmeldung oder ohne Platzbeschränkungen. Ein ganzes Jahr ist inzwischen vergangen und die Rückkehr zur Normalität trotz Lockerungen nicht in greifbare Nähe gerückt. Pfarrerin Katharina Garben nutzt den „Jahrestag“, um auf zwölf Monate der besonderen Art zurückzublicken.

Als kreativ, innovativ und frustrierend würde die 39-jährige Pfarrerin, die 2013 den Weg nach Neulußheim fand, das vergangene Jahr charakterisieren: „Wenn ein Stillstand kommt, kommt Raum zum Nachdenken und vieles wird auf den Prüfstand gestellt“, kann sie der Krise auch etwas Gutes abgewinnen. Die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen, habe dazu geführt, dass Dinge ausprobiert wurden.

Psychische Gesundheit kostet Kraft

Als frustrierend erlebte Katharina Garben vor allem den Wegfall vieler Dinge, die das Leben als Kirchengemeinde ausmachen und die nicht nachgeholt oder ersetzt werden können: Der Treff unterm Nussbaum, die Aktion „Gemeinsam statt einsam“ oder auch das gemeinsame Abendmahl zählen dazu. Gerade im persönlichen Kontext habe das zurückliegende Jahr viel „Kraft, um sich psychisch gesund zu halten“ gekostet. Immer wieder sei es nötig gewesen, sich zu besinnen, dass vieles im eigenen Leben gut sei, berichtet sie.

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Der Pfarrberuf lebt von Alltagsbegegnungen, deren Wegfall oder zumindest extreme Einschränkung auch Katharina Garben nach wie vor als Verlust empfindet. Überhaupt ist der jungen Pfarrerin und Mutter anzuhören, wie kraftraubend und gleichzeitig an manchen Stellen auch voranbringend und produktiv die aktuelle Situation für die Kirchengemeinde seit einem Jahr ist.

Dass Schulen und Kindergärten sowie Gotteshäuser im Frühjahr 2020 ihre Pforten schließen würden, habe Katharina Garben „niemals gedacht“, bis kurz zuvor stattdessen für „unvorstellbar“ gehalten. Als Reaktion auf den ersten Lockdown sei einerseits das Bedürfnis aufgekommen, mithilfe von digitalen Angeboten präsent zu sein, und gleichzeitig der Impuls entstanden, auch erst einmal zu schweigen, „wenn alles zum Erliegen kommt“.

Die lange anhaltende Hoffnung, dass der Ausnahmezustand nur vorübergehend bestehen würde, führte dazu, dass viel Kraft in Alternativen zum Gewohnten gesteckt wurde und Kirche sich in Katharina Garbens Augen zukünftig anders präsentieren werde. Als positiv hebt sie dabei die Tatsache hervor, dass die Institution sich zunächst Corona-bedingt, jedoch auch zukünftig „mehr am Einzelnen und seinen Bedürfnissen ausrichten“ werde und dadurch sehr viel individueller agieren könne.

Gute Erfahrungen beibehalten

Als Beispiel nennt sie die kleinen Konfirmationsgottesdienste für jeweils fünf bis sechs Jugendliche im Kontrast zu den zuvor üblichen Feiern für 30 junge Menschen. So wie es wohl keinen „Tag X als Sonntag nach Corona“ gebe, gebe es wohl nach Abflauen der Pandemie auch kein „Weitermachen wie vorher“. Stattdessen sei ein Reflektieren möglich und es gelte, all das als gut Erlebte in Bestehendes zu integrieren.

Hier setzt die Neulußheimer Pfarrerin auch auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus der HoRAN-Region: Es brauche Konzepte, wie Altbewährtes und neu Hinzugewonnenes fortgeführt werden können und gleichzeitig mithilfe der vorhandenen Ressourcen dennoch bewältigbar bleiben.

Als weiteren Effekt sieht Katharina Garben, dass Pfarrer und Diakone in den vergangenen Monaten sichtbarer wurden und durch Auftritte in sozialen Medien sowie durch Whatsapp-Kontakte manchen Menschen nähergekommen seien.

Gleichzeitig zur digitalen Nähe gebe es jedoch auch Kontexte, in denen die persönliche Verbundenheit verloren gehe. Hinzugewonnen habe die Gemeinde jedoch beim Thema Voranmeldung. Statt wie befürchtet abzuschrecken, wurde es von vielen Seiten positiv erlebt, vor Beginn des Gottesdienstes persönlich begrüßt und angesprochen zu werden.

Die Übernahme der entsprechenden Dienste durch jeweils drei Kirchengemeinderäte und die Integration kleiner singender Abordnungen als Alternative zum Gemeindegesang habe zudem Menschen beteiligt und auch Begabungen zum Vorschein gebracht. „Was nicht gefehlt hat, darf wegbleiben“, sieht Katharina Garben die Möglichkeit der Bestandsaufnahme gleichzeitig auch darin, manches zu verkürzen oder auch komplett abzuschaffen.

Veränderungen seien zudem in finanzieller Hinsicht erwartbar, denn auch wenn für Neulußheim bisher keine durch Corona bedingte auffällige Entwicklung in Bezug auf die Mitgliederzahlen erkennbar sei, müsse die evangelische Kirche wie jedes Jahr mit Mitgliederverlusten umgehen, die sich in einem Rückgang des Kirchensteueraufkommens bemerkbar machen.

Katharina Garben sieht die Gründe vor allem in Austritten von Menschen, für die „Kirche nie eine Relevanz entwickelt“ habe, kann sich aber vorstellen, dass auch finanzielle Einbußen durch die Pandemie ein Beweggrund zum Austritt werden könnten.

Investition in Technik bewährt sich

Dass die evangelische Kirchengemeinde Neulußheim wenig Probleme hatte, auf digitale Angebot umzusteigen und so trotz zeitweise komplett entfallender Präsenzangebote dennoch Impulse setzen konnte, verdankte sie nicht zuletzt der Tatsache, dass durch das Engagement einzelner Gemeindemitglieder in den vergangenen Jahren bereits ein Youtube-Kanal aufgebaut und diverse Technik angeschafft worden war und dass das Pfarramt EDV-mäßig gut gerüstet war.

Herausforderungen gab es dennoch zu bewältigen. „Die Frage der Sichtbarkeit von Kirche bleibt ein Thema“, ebenso wie die nach der Schaffung von Relevanz, so Katharina Garben, fielen doch beispielsweise viele Traugottesdienste weg. Zudem sollten alle Generationen weiterhin beteiligt werden. Neben den vielfältigen digitalen Angeboten gab es daher auch einen Bringdienst beispielsweise für ältere Gemeindemitglieder, für die der Besuch von Präsenzveranstaltungen zu gefährlich gewesen wäre.

Gottesdienst in Schriftform verteilt

Bis Ende Februar gab es bereits über 40 Ausgaben der wöchentlichen Post, die einen Gottesdienst in Schriftform, einen Brief von der Pfarrerin und häufig eine kleine Aufmerksamkeit in Form einer Karte oder ähnlichem beinhaltet.

Während der gesamten Pandemie bewegten sich Katharina Garben und ihr Team im Spannungsfeld zwischen Forderungen, alles abzusagen oder eben wieder durchzustarten. Alle Entscheidungen seien mit dem Kirchengemeinderat beraten worden, mit dem Ziel, so sprachfähig zu bleiben, dass alle Beteiligten mit den getroffenen Entscheidungen leben können.

Dass den Kirchen über die sonst geltenden Beschränkungen hinaus weitergehende Möglichkeiten eingeräumt wurden, befürwortet Katharina Garben trotz der Anstrengungen, die mit der damit verbundenen Verantwortung verbunden waren: „Religionsfreiheit ist ein hohes Gut“. Vonseiten der Landeskirche gab es zwar Handlungsmaßgaben für bestimmte Inzidenzwerte, in Neulußheim sei dennoch stets vor allem der evangelische Grundgedanke „Kirche baut sich von der Gemeinde her auf und wird von ihr aus gedacht und entschieden“ gelebt und der Kirchengemeinderat entsprechend zu Entscheidungen herangezogen worden.

Abschiednehmen stark erschwert

Gut zurücktreten kann die junge Pfarrerin persönlich bei der Frage der Systemrelevanz, die sie vor allem in Bezug auf Sterbebegleitung und Krankenbesuche sah und diese auch umsetzte, sobald sie wieder möglich wurden. Leicht war es für sie persönlich nicht immer, galt es doch streckenweise, den Vollzeitjob ohne Kindergartenbetreuung der Tochter zu stemmen und auch auf andere gewohnte Netzwerke ließ sich nicht immer zurückgreifen.

Doch auch die Situation rund um das Sterben an sich setzte Katharina Garben zu: Eingeschränkte bis nicht vorhandene Möglichkeiten des Abschiednehmens für viele Angehörige, sich ständig ändernde Bedingungen für Trauerfeiern und Beerdigungen sowie der Wegfall von Ritualen kosteten alle Beteiligten viel Kraft.

Was die nächsten zwölf Monate angeht, ist Katharina Garben nun vor allem „aus tiefstem Herzen gespannt“: Gespannt, wann Feiern, ungezwungene Restaurantbesuche sowie Familientreffen und eben auch Gottesdienste ohne Beschränkungen wieder möglich sein werden. Gleichzeitig machen ihr die Fragen „Wie agiert die Gesellschaft weiter? Wie wird sich das Leben verändern?“ auch Sorgen. „Auf jeden Fall werden viele Dinge anders sein“, ist die Theologin überzeugt.

Gerade für die Kirche werde es „nicht mehr eins für alle“ geben, stattdessen gelte es „mehr über den eigenen Kirchturm hinauszublicken“ und zielgruppenspezifische Angebote zu machen, wie sie im Netz bereits in Form von Gamer-Gottesdiensten und ähnlichem existieren. Wichtig bleibe trotz aller digitaler Möglichkeiten jedoch auch in Zukunft das Netzwerk vor Ort, ist die Pfarrerin sich sicher.

Freie Autorin Freie Mitarbeiterin für Hockenheim und Umgebung rund um die Themen Kultur, Religion sowie Land und Leute.

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