„Women‘s Voice“

Neulußheimer Frauenchor geht auf Zeitreise durch Gemeinde

„Messieur Romy“ und „Mademoiselle Annett“ nehmen Sängerinnen und Bürgermeister Kevin Weirether mit auf einen anekdotengespickten Rundgang.

Von 
Renate Hettwer
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Messieur Romy und Mademoiselle Annett mit den Frauen von Women´s Voice und Bürgermeister Kevin Weirether © Renate Hettwer

Neulußheim. Gibt es eine Adlige im Chor? Dieser Frage gingen die Frauen vom Frauenchor „Women´s Voice“ mit Romy Strobel, die als Monsieur Romy und Annette Buchmüller als Mademoiselle Annett in historische Rollen schlüpften, nach. Annette, deren persönlicher Stammbaum bis ins 16. Jahrhundert reicht, hatte diesen zu der Ortsbegehung mitgebracht. Das und Anekdoten aus der neueren Geschichte interessierte natürlich auch Bürgermeister Kevin Weirether, der die Chorfrauen bei ihrem Ortsrundgang begleitete.

Nachdem Messieur Romys Heimatstadt Heidelberg und das Schloss durch den Erbfolgekrieg 1693 zerstört worden waren, fand er seine Angebetete in Neulußheim. Obwohl die Geschichte beim Heimatverein bewahrt wird und es im Buch „Neulußheim im Spiegel der Zeit“ nachzulesen ist, umriss Romy kurz die Geschichte ab 1711, als der Flecken durch Kriege und Brandschatzungen noch wüste Erde war.

Mit Distriktverwalter Julius Schickard beginnt die Ortsgeschichte

Bekannt war, dass die Herzöge von Württemberg und die Bischöfe von Speyer sich missgünstig und eifersüchtig gegenüberstanden und so empfand es das Haus Württemberg als Genugtuung, dass der Distriktverwalter Julius Schickard die Bitte äußerte, einen eigenen Hof unweit des Dorfes Lußheim anlegen zu dürfen, um das Land wieder urbar zu machen. Damit begann die Geschichte Neulußheim, von der Romy bis hin in die Zeit von 1870, dem größten Durchbruch in ein neues Zeitalter durch den Bau der Rheintalbahn und somit der Anbindung an den Schienenverkehr, bis heute berichtete.

Kuppinger, Villhauer, Gottfried und Eisenmann waren einige der führenden Namen hier im 19. Jahrhundert, so Mademoiselle Annett, deren Vorfahren seit 1766 in der Gemeinde ansässig sind. Sieben Eisenmann-Brüder wurden 1623 durch Kaiser Ferdinand II. durch ein Diplom aus Regensburg in den Adelsstand erhoben. Leider kein Erbadel. „Jo, alla“, so Annett, „auch wenn ich von einem dieser Brüder abstamme, en Drobbe blaues Blut hab isch noch, awwa net vum Alkohol. Dafür hab ich ä Adelswappen“ und zeigte es stolz herum.

Es gibt sie noch, die Petrapuppen: Am Plastyweg stand einst die Spielwarenfabrik Plasty, die sie herstellte. © Renate Hettwer

Der Rundgang startete mit historischen Bildern vom Alten Bahnhof und mit der Information, dass der Aufschwung 1723 mit einer eigenen Ziegel- und Backsteinfabrik begann und 1871 die Zigarrenfabrik in der Bahnhofstraße große Bedeutung für das Wirtschaftsleben hatte. Wo jetzt große Häuser am Plastyweg stehen, residierte die Spielwarenfabrik Plasty, die durch ihre Spielwaren, besonders der Petra-Puppen, bekannt war. Annett hatte eine Petra von 1965 mitgebracht. Dazu Retro Fred mit Haaren – der erste Fred hatte noch aufgemalte Haare gehabt.

Weiter ging es an den ehemaligen Bahnübergang. Annett erinnerte an damalige Bahnwärterhäuschen. Durch den regen Schienenverkehr standen die Autofahrer manchmal lange vor der Schranke Richtung Friedhof. Oft musste eine Trauergesellschaft auf den Pfarrer warten, der vor der geschlossenen Schranke stand. Aber warum hieß das Häuschen Geisterhaus? Mit Freunden hatte sie sich auf das Gelände gewagt, sie öffneten die geschlossenen Läden und wurden vom Bahnwärter in seinem gestreiften Schlafanzug mit einem Eimer Wasser überrascht.

Genau da stand das Bahnwärterhäuschen © Renate Hettwer

Neben der ehemaligen Alten Post stand das Gasthaus „Sonne“ mit einer Holzkegelbahn. Eines der ältesten Häuser Neulußheims steht heute noch gegenüber dem heutigen „Cavallino. Ein kurzer Weg führte zum ehemaligen Schmuckgeschäft Bitzer, jetzt ein Parkplatz. Annett hat heute noch die gekauften goldenen Ohrringe in ihrem Schmuckkästchen.

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Ein Kino im ehemaligen Gasthaus Bären? „Ja, 1926 gab es dort das erste Lichtspielhaus mit Namen ,Eden-Lichtspiele‘, eine damalige Sensation in der Region. 1928 bis 1973 zog das Kino aus Platzmangel in eine ehemalige Zigarrenfabrikstätte in der St. Leoner Straße und hieß dann „Skala“. Später war dort ein Supermarkt, der wie andere Gebäude, etwa das alte Gemeindehaus, im Zuge der 2016 erfolgten Neubebauung zur Ortsmitte, abgerissen wurde.

Grüne Gründergedanken: Alle Straßen waren Baumalleen

Radio Binder, früher ein Geschäft für Fernseher und Radios, wo sich Annett sich ihre erste Musikkassette kaufte, ist heute ein Brautmodengeschäft, vorher eine Apotheke gegenüber vom Rathaus. Ein Blick auf die beiden Alten Schulhäuser weckte Erinnerungen an die damalige Schulzeit, bei der Mädchen und Jungen noch getrennt unterrichtet wurden. Die heutige Lußhardtschule wurde 1968/1970 erbaut.

Annett vermisste im Ortskern einen Hinweis oder Gedenktafel an den Ortsgründer. Gab es nicht einen Julius-Schickard-Brunnen? Eine visuelle Erinnerung an den Gründer zeigte Romy anhand eines Bildes. Julius Schickard hatte damals schon Wert auf Grün in der Gemeinde gelegt: Alle Straßen waren Baumalleen.

Freilaufende Hühner auf dem Friedhof führen zu Verlegung

Nach Bildern vom Rathaus und der ersten evangelischen Kirche, als der Friedhof noch innerorts war, wurde die jetzige Kirche 1908/1909 erbaut. Warum der Friedhof außerhalb des Ortes angelegt wurde, wusste Annett ebenfalls: Dem damaligen Pfarrer missfiel es, dass die vielen frei laufenden Hühnern die Ruhestätte mit ihren Hinterlassenschaften entehrten.

Ach, hier war mal ein Friedhof: Die heutige evangelische Kirche wurde 1908/1909 erbaut und die Ruhestätte außerhalb des Ortes verlegt. © Nadine Horn

An der nahen Kreuzung der Hauptverkehrsachsen wird heute der Verkehr durch einen Kreisel gelenkt. Hier stand das Gasthaus „Zum Bären“, heute „La Fontana di Capri“ und früher ein Meierhof mit Brauerei. Sie belebte den Ort auf dem Durchgangsverkehr in Richtung Speyer und schaffte Arbeitsplätze.

Rotlicht in Neulußheim? Auch dazu gibt es lustige Episoden

Ihre Geschichten hatten auch kleinere Geschäfte, Reinigung, Drogerie und die Tanzschule Steidel, später Bierkneipe gleich neben der „Reichskrone“. Interessant war die Frage, ob es Rotlicht mit einem Swinger Club in Neulußheim gab. Ein Etablissement mit Schummerlicht und käuflicher Liebe. Noch heute erinnert man sich daran, dass eine wütende Frau das Etablissement stürmte, als ihr Mann, der nur etwas abliefern sollte, nicht pünktlich zum Mittagessen kam. Viel später tanzten dort Kinder im Kindergarten.

Chorgesang steht bei den Frauen von „Women´s Voice“ immer an erster Stelle. So brachten sie sich und Bürgermeister Kevin Weirether mit „Ich hab mein Herz in Neulußheim verloren“ auf dem Rückweg vor dem „Schwätzbänkl“ ein Ständchen. Dort dankten die Frauen Romy und Annett für den kurzweiligen, mit Anekdoten gespickten Rundgang, bei dem es viel zu lachen gab. Bürgermeister Weirether war vom mit Herzblut und Engagement organisierten Rundgang der beiden bezaubernden Chorfrauen beeindruckt.

Freie Autorin

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