Oftersheim. 100 Jahre zu werden, und diesen Ehrentag bei einigermaßen guter Gesundheit erleben zu dürfen, ist eine Gnade. Erica Biajolan feierte unlängst, genauer gesagt am 30. Juni, ihren ganz besonderen Geburtstag. Bürgermeister Jens Geiß schaute in den Auwiesen 49 vorbei, dort wo die Jubilarin mit dem Gros ihrer Familie im Haus zusammenlebt. Wohlgemerkt im zweiten Ober- beziehungsweise Dachgeschoss versucht sie soweit als nur möglich ihren Alltag zu bewältigen. „Als Jens Geiß da war, hat Erica einen ganz guten Tag gehabt“, sagt Schwiegersohn Dr. Siegfried Biajolan über den Besuch des Bürgermeisters. „Erica hat sich über all die Jahre super gehalten. Eine Konversation ist kein Problem“, so Geiß, der Erica Biajolan seit Mitte der 90er Jahre kennt, da sie Nachbarin seiner Eltern war.
„Sie ist eine mutige Person“
Die Familie von Erica Biajolan stammt ursprünglich aus Westpreußen, doch irgendwann orientierte sie sich gen Berlin und Potsdam. Als die Russen im April 1945 den Ring um die Hauptstadt immer enger zogen, war Erica Bialojan eine der letzten, die dem Inferno entkommen konnte. Sie flüchtete in höchster Not mit dem Fahrrad Richtung Norden und die Ostseeinsel Fehmarn. „Das war ein einschneidendes Erlebnis und Ereignis für sie“, berichtet Siegfried Biajolan der Schwetzinger Zeitung, „doch sie ist eine mutige Person, die sich nicht so schnell einschüchtern lässt.“
„Wir haben auch kurz über den Ukraine-Krieg gesprochen“, erzählt Jens Geiß über die Begegnung mit der feinen Dame, die nach wie vor leicht „berlinert“, „da hat man gespürt, dass in ihr noch einmal etwas hochkommt.“ Schmerzhafte Erinnerungen sind das – und natürlich ist der Bezug zu früher hergestellt. Viele Menschen dieser Generation haben den Untergang Deutschlands sowie des toxischen Autokraten Adolf Hitler nie verwunden. Sie trugen Traumata davon – und sie wurden in der Nachkriegszeit spärlich bis gar nicht psychotherapeutisch betreut. Erica Biajolan half zweifellos ihr Naturell. „Sie ist schon unglaublich zäh, überhaupt nicht wehleidig. Im Herzen ist sie eine Großstädterin geblieben, die irgendwann aufs Dorf kam“, so Siegfried Biajolan, bis vor einem Jahr Naturwissenschaftler und Molekularbiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg.
Weitere Stationen waren nach dem hohen Norden Hannover, Nürnberg und Mannheim, da ihr zweiter Ehemann Geschäftsführer beim französischen Glaskonzern Saint Gobain wurde. Als das Paar 1963 eine Wohnung in Oftersheim fand, wurde Erica Biajolan leicht nervös. Oftersheim? Wo zum Himmel ist denn das? „Erica hat meines Wissens nach einen Atlas gezückt und Oftersheim erst einmal nicht gefunden“, verrät Jens Geiß. Doch nach Eingewöhnungszeiten hat sich die „Berliner Jöre“ mit der Zeit ordentlich eingelebt – viele Frauen aus der Spreestadt sind kess, pragmatisch, stehen „ihren Mann“, wenn man so will.
Presseschau nach dem Frühstück
Bei Erica Biajolan ist das keinen Deut anders. Das Interesse und die Verbindung zur großen weiten Welt hat nie abgeebbt. Sie war Angestellte beim Hessischen Rundfunk, ihr Bruder arbeitete als Pressechef der Stadt Frankfurt. Die FAZ Sonntagszeitung zählte bei Erica Biajolan bis vor drei, vier Jahren zur Pflicht- und Standardlektüre. In die Schwetzinger Zeitung schaut sie nach wie vor rein. „Sonntags haben wir mit der Familie gefrühstückt – und danach war bei uns Presseschau mit ihr. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund“, muss Siegfried Biajolan lachen.
Was hält den zweitältesten Menschen Oftersheims fit? Es sind die starken Familienbande. Die beiden Töchter leben mit im Haus, zwei Enkelinnen hat sie ab 70 miterzogen, sobald sie Urenkelin und Urenkel sieht, blüht sie auf. Und das Erfolgsgeheimnis? „Sie nimmt mit 100 keine Medikamente – nichts, gar nichts!“, sagt der Schwiegersohn.
In Oftersheim hat Erica Biajolan von 1963 bis heute den Großteil ihres Lebens verbracht, „in ,Ofdasche’ lässt es sich gut alt werden“, meint Jens Geiß mit einem Augenzwinkern. „Es gibt einen Einwohner, der zwei Monate älter ist“, so Ute Walter, Leiterin des Seniorenbüros ergänzend.
Ein Leben im Seniorenheim ist für Erica Biajolan nicht vorstellbar. Sie will ihr Ding machen. Möglichst selbstbestimmt und unabhängig. Respekt vor diesem Lebensweg, vor dieser stolzen Zahl 100 – und nachträglich nur das Allerbeste ...
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