Oftersheim/Plankstadt. Am Samstagfrüh um 6 Uhr geht es wieder los – und die Rückkehr ist am Abend für 21 Uhr geplant. Diesmal ist das Ziel die kleine Gemeinde Mayschoß im Ahrtal. 16 Helfer treffen sich vor der Mehrzweckhalle in Plankstadt, um die insgesamt 31. Fahrt der Ahrschipper seit der Flutkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 an der Ahr und in der Eifel zu bestreiten. Für die Frauen und Männer um Integrationsfigur und Hauptorganisator Joe Herrmann ist dies längst Routine. „Miteinander – füreinander“ heißt das Motto. Und im Endeffekt bedeutet es bei allen bisherigen und künftigen Maßnahmen oder Hilfsaktionen: Ärmel hochkrempeln, anpacken und malochen. Basta.
Am 2. Juli ist dies keinen Deut anders. Und doch ist es bei der offiziell 31. Dienstreise – inoffiziell haben Herrmann und Co. zudem einige Privattrips Richtung Deutschlands Westen auf dem Buckel – ein wenig anders. Einen Kinderspielplatz hat es im einstigen Kleinod Mayschoß weggeschwemmt, in dessen Umfeld mangelt es an einer passenden Sitzgelegenheit. Also werden die fleißigen Ahrschipper aus Kurpfalz „eine Sitzbank aufbauen“, wie es Joe Herrmann der Schwetzinger Zeitung unaufgeregt schildert.
Spendenkonten der Schwetzinger Zeitung
Die Zerstörungen in den Flutgebieten in Deutschland sind schrecklich: In einer Initiative der Schwetzinger Zeitung sicherten alle Oberbürgermeister und Bürgermeister aus unserem Verbreitungsgebiet ihre Unterstützung zu. Auch wir möchten den Menschen in den betroffenen Gebieten helfen. Die Stadt Schwetzingen hat Spendenkonten eingerichtet und übernimmt die Abwicklung. Spendenbescheinigungen sind möglich. Spenden Sie mit dem Stichwort: Fluthilfe 2021
- Sparkasse Heidelberg: DE08 6725 0020 0025 0104 42
- VR Bank Kur- und Rheinpfalz: DE78 5479 0000 0005 0650 03
- Auch Online-Überweisungen sind unter diesem Link möglich
Jeder Euro wird bei den Menschen in Sinzig ankommen. Bürgermeister Andreas Geron hat zugesagt, dass seine Mitarbeiter bei der Auswahl der Hilfsbedürftigen helfen.
Ein Novum ist es für den erfahrenen Arbeitstrupp zudem, weil er von einem Fernsehteam des Südwestfunks (SWR) begleitet werden wird. Der Hintergrund dafür ist klar: Bald jährt sich das schlimme Hochwasserereignis an der Ahr, bei dem nach behördlichen Angaben 134 Todesopfer zu beklagen waren. Corona und Putins Krieg in der Ukraine haben – medial betrachtet – in den vergangenen zwölf Monaten die Schlagzeilen bestimmt, nun ist es mal wieder höchste Zeit für andere wichtige Themen. Letztlich muss aber auch die Katastrophe am vermeintlich beschaulichen Flüsschen Ahr unter dem Dachbegriff „Klimakrise“ subsumiert werden. Zumal es eine verheerende Flutwelle mit Ansage war – die Ahr hatte in der Vergangenheit schon mehrfach dramatisch die Ufer überschwemmt. Vor dem Jahr 2021 etwa am 13. Juni 1910 – seinerzeit fanden 57 Menschen den Tod und fast alle Ahrbrücken mussten wieder aufgebaut werden.
Der Mann mit der Nummer 01
Wie ist der Status quo? Wie sieht es vor Ort aus? Und wie vor allem geht es den Menschen, die ihr Hab und Gut, ihre Nachbarn, Bekannten, Freunde und Verwandten verloren haben? Der Mann mit der Nummer 01 auf dem hellbraunen Poloshirt weiß es ziemlich genau. Die Ahrschipper wechseln – bedarfsorientiert – den Zielpunkt ab, entweder sie helfen im Ahrtal oder seltener im Swisttal. „Man sieht schon eine Veränderung“, erzählt Joe Herrmann über Eindrücke, die unter die Haut gehen, „es ist die Hoffnung darauf, dass ein kleines bisschen Normalität zurückkommt. Doch die Menschen sind immer noch verzweifelt. Auch weil es nicht vorwärts seitens der Politik geht und die Gelder längst nicht so wie versprochen fließen.“
Viele Flutopfer fühlen sich ein knappes Jahr danach alleine gelassen. Vergessen von den Entscheidern und populistisch ausgerichteten Politikern, ganz gleich welcher Couleur. Die Opfer seien unverändert verunsichert, ja traumatisiert. Bei einem stärkeren Regen vor einigen Wochen seien all die schlimmen Erinnerungen prompt hochgekommen. Joe Herrmann klipp und klar: „Die Angst ist immer noch da!“
Einige der Geschädigten hätten inzwischen Abschlagszahlungen erhalten. „1800 Euro sind es. Das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Herrmann. Andere und dies seien die allermeisten, würden immer noch in die Röhre gucken, weil die bürokratischen Hürden bei diversen Ämtern höher und größer seien als dringend notwendige staatliche Hilfsmaßnahmen. So empfindet es und schildert es fast jeder im Ahrtal sowie im Swisttal, das zu Nordrhein-Westfalen gehört.
Der Frust ist nachvollziehbar
Der Frust ist zu spüren – und nachvollziehbar. Auf einer Strecke wie zwischen Heidelberg und Frankfurt, am Fluss entlang, von Wassermassen im steil nach oben zulaufenden Kessel bedroht, regiert weiterhin das Chaos. Fast überall muss aufgeräumt werden, liegen Unrat, Schutt und Müll herum.
Die beschriebene Szenerie hat Oftersheims Bürgermeister Jens Geiß vor Augen. Rund zehn Tage nach der Flut 2021 machte sich der Verwaltungschef erstmals ins Ahrtal auf. Nicht in seiner Funktion als Bürgermeister, sondern als Privatmann. „Der Jens“, ordnet Herrmann das Engagement von Geiß ein, habe ihn damals urplötzlich angerufen – und ihm selbst sei dabei fast das Handy aus der Hand gefallen. „Der Jens arbeitet wie jeder andere auch. Er verhält sich so, als wenn er ein Maurer von nebenan wäre“, sagt Herrmann über Geiß, „bei den Ahrschippern ist es völlig egal, wer was ist. Es geht ums Miteinander. Das Helfen schweißt zusammen. Oft sind wir als Fremde weggefahren – und als Freunde zurückgekehrt.“
Logisch: unter Ahrschippern duzen sich alle. Stemmen, schippen, aufräumen – es gilt für alle. Ausnahmslos.
Auf der Internetseite sind es inzwischen 170 Ahrschipper. Jens Geiß, der im Juni zum sechsten Mal in Mayschoß, Sinzig und unlängst im Swisttal angepackt hat, ist die Nummer 52. Lebhaft erinnert er sich im Gespräch mit dieser Zeitung an die erste Begegnung mit dem fatalen Naturereignis: „Wir sind damals mit drei Bussen hingefahren – und mit rund 70 Leuten. Die große Helferwelle hatte bundesweit eingesetzt. Vieles lief unkoordiniert. Das Ahrtal als Ausflugsziel und scheinbar heile Welt war komplett zerstört. Gleise hingen buchstäblich in der Luft wie bei einer Achterbahn. Es war surreal – es glich der Kulisse eines Endzeitfilms. Steinbrücken waren eingestürzt, verschoben oder einfach weg. Häuser ebenfalls.“
In der ersten Phase räumten die Ahrschipper wie andere Helfergruppen entschlossen auf. Endlos mussten Wasser geschöpft, Eimerketten gebildet werden. Das Wühlen in Dreck, Schlamm, Ölschlieren und Fäkalien gehörte dazu. Sie wurden von den Einheimischen darauf hingewiesen, dass in „roten Eimern eventuell Körperteile von Leichen liegen könnten“, so die krassen und plakativen Schilderungen von Jens Geiß.
Der unmittelbare Kontakt macht das ganze Ausmaß an Leid konkret und fassbar. Tote und vermisste Menschen sind das Allerschlimmste. „Wir waren in Sinzig in einer Tiefgarage. Dort war das Wasser urplötzlich mit Urgewalt eingedrungen. Binnen 13 Sekunden soll das Wasser an der Decke gestanden haben. Die Leute hatten keine Chance“, schildert Jens Geiß.
Und was macht das mit einem als Helfer? „Es erdet einen richtig brutal“, antwortet er.
Laut Joe Herrmann, Vorarbeiter und Vorbild in einem, hat die Hilfsbereitschaft fürs Ahr- und Swisttal inzwischen deutlich abgenommen. Dieses Problem sei allgegenwärig. „Viele denken, es ist erledigt – doch das ist es nicht. Im Gegenteil!“, weist Herrmann, im Berufsleben Lkw-Fahrer, auf einen Wahrnehmungsfehler und gar eine Fehleinschätzung in der breiten Öffentlichkeit hin.
Sei’s drum: Die Ahrschipper machen weiter und weiter. Heute fahren sie mit einem Neun-Sitzer-Bus und zwei, drei Autos nach Mayschoß. Bis zum Jahresende bleibt es beim Zwei-Wochen-Rhythmus. „Bis dahin sind wir ausgebucht“, sagt Herrmann, „ich habe kein Helfersyndrom.“ Sondern? Joe Herrmann treffend: „Wenn man alles selbst gesehen hat, kann man die Menschen nicht im Stich lassen, nicht einfach aufhören.“ Die 31. Fahrt der Ahrschipper ist eine weitere Etappe für Zuarbeiter und Unterstützer. Wie das Ahrtal und Swisttal selbst kommen sie – noch – nicht zur Ruhe.
Info: Weitere Informationen unter www.ahrschipper.de
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