Heimat- und Kulturkreis

Heimat- und Kulturkreis ruft zur gemeinsamen Erinnerung auf

Die Verantwortlichen treffen sich mit Pascal Seidel und Siegwald Kehder und hoffen auf weitere Informationen zu Flüchtlingen und Heimatvertriebenen

Von 
Joachim Klaehn
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Anna Kirchner und Dieter Burkard wollen in Oftersheim Brücken schlagen. © Joachim Klaehn

Oftersheim. Dieter Burkard, Vorsitzender des Heimat- und Kulturkreises (Huko), hat ab und zu im weißen Ordner von Siegwald Kehder gestöbert, der viele verschiedene Dokumente von Menschen beinhaltet, die durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs ihre Heimat verloren haben. Nun liest der 74-jährige, ehemalige Schulleiter der Theodor-Heuss-Realschule Walldorf wieder – zur Vorbereitung auf diesen Mittwoch, 8. März, bei dem ein Informationsaustausch in der Cafeteria des Heimatmuseums zwischen 17 und 19 Uhr stattfinden wird. Es ist ein gemeinsamer Aufruf zur Erinnerung.

Aufhänger ist die thematische Erweiterung der „Katscher Heimatstube“. Soll heißen: Der Huko möchte sich ab sofort um Mitbürger kümmern, die selbst oder eben deren Angehörige aus ehemaligen deutschen Gebieten in Ost- und Südosteuropa wie etwa Ostpreußen, Pommern, Schlesien oder Sudetenland fliehen mussten. „Wir freuen uns, wenn sich Leute angesprochen fühlen und wir über Angehörige Erinnerungen bewahren können“, sagt Burkard dieser Zeitung, „das können Erzählungen sein, Gegenstände von damals, Tagebücher, Fotoalben und und und.“

Heimatvertriebene in Oftersheim: Seidel-Familie ist ein Beispiel

Am Mittwoch werden Dieter Burkard, Gerhard Frei und Anna Kirchner hoffentlich zahlreiche Gäste begrüßen. Darunter Bürgermeister Pascal Seidel (40), dessen Familie und Vorfahren väterlicherseits aus der kleinen Gemeinde Kawarn/Sudetenland – das heutige tschechische Koberno liegt nördlich von Opava an der Grenze zu Polen – stammen, zeigt großes Interesse an den Huko-Projekten: „Zum einen geht es um die Geschichte unserer Gemeinde, die der Huko mit seinen Angeboten im Ganzen bewahrt, zum anderen ist es aufgrund der Aktualität der Ereignisse in der Ukraine wichtig, immer wieder zu erinnern und zu mahnen.“ Auch aus familiären Gründen: Seidels Großvater war Landwirt gewesen – und einige Jahre lang Bürgermeister. Die Seidels kamen 1946 über Hockenheim nach Oftersheim, wohnten im „Kronprinzen“, danach im heutigen Siegwald-Kehder-Haus sowie in der Siedlung. Sie waren handwerklich und musikalisch begabt. Pascals Vater Roland Seidel ist nicht nur Rekordhalter im Gemeinderat (53 Jahre!), vielleicht für die Ewigkeit, sondern auch Lehrer, Kulturamtsleiter, Sportler und Musiker. Die Seidel-Familie ist letztendlich ein gutes Beispiel dafür, wie sich Heimatvertriebene integriert haben und in „Ofdasche“ ihre Wurzeln schlagen durften.

Blick in die historische Mitte und Pulsschlagader der Hardtgemeinde Oftersheim: die Mannheimer Straße unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. © Heimat- und Kulturkreis

Burkard hat nochmals die Rückschau von John Gahlen unter die Lupe genommen, die in Reimform folgendermaßen beginnt: „Da sind vor mehr als sechzig Jahren Kriegsschiffe übers Meer gefahren. Die haben aus der Bombennacht Menschen nach Dänemark gebracht, Exporte aus ostdeutschem Land – damals kurz ,Flüchtlinge‘ genannt. Millionen wurden so gerettet, Vieltausend hat das Meer gebettet. Wo die Torpedos gut getroffen, sind Schiff’ und Menschen abgesoffen. Die Wogen öffneten den Schlund und zogen alles auf den Grund. Für viele kam die Flucht zu spät, der Meeresgrund ist übersät mit Wracks und menschlichen Gerippen, Singles, Familien, ganze Sippen!“

Gahlen erinnert an Danzig und die Ostsee – diese Zeilen von 2008 sind ein Beleg dafür, dass ihn die Flucht zwischen Januar und April 1945, bei der 450 000 Menschen mit Schiffen abtransportiert worden waren, niemals mehr losließ.

Huko-Termine

Mittwoch, 8. März, 17 Uhr: Informationsaustausch, Cafeteria im Heimatmuseum in der Mannheimer Straße 59.

Donnerstag, 27. Juli, 17 Uhr: „Ein Sommerabend im Museum“, eine Veranstaltungsreihe vom Landtagsvizepräsidenten Daniel Born im Museumskomplex.

Samstag, 30. September, 17 Uhr: 40. Geburtstag, vereinsinterne Feier in der Seidel-Halle. jog

Der Untergang des Passagierdampfers „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 ist eines der Symbole für apokalyptische Kriegsszenen: Geschätzt kommen dabei – je nach Quellenlage – zwischen 4000 und 9000 Menschen ums Leben. Wenige Stunden nach seiner Abfahrt wird das ehemalige Kreuzfahrtschiff der NS-Organisation „Kraft-durch-Freude“ vor der Küste Pommerns vom sowjetischen U-Boot S-13 torpediert. Das Schiff sinkt nach einer guten Stunde. Lediglich etwa 1200 Menschen können gerettet werden – damit gilt der Untergang der „Gustloff“ als eine der verlustreichsten Schiffskatastrophen.

Heimatvertriebene in Oftersheim: Erschütternde Einblicke

John Gahlens Rückblick ist wie andere Dokumente erschütternd. Der Ordner von Siegwald Kehder, den der Altbürgermeister dem Huko übergeben hat, ist voll mit Schriftstücken und Karten, die illustrieren, wie dramatisch Schicksale und Lebenswege von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen verliefen. Wie sie bei null wieder starten mussten – für immer den Rucksack an traumatischen Erlebnissen tragend. Siegwald Kehder (86) wird am Mittwoch ebenfalls dabei sein und gemeinsam mit Burkard erörtern, wie der Huko rund um das offizielle Gründungsdatum am 28. März 1983 entstanden ist und welche Entwicklungspfade beschritten wurden.

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„Für uns ist der Austausch ja erst ein Anfang. Wir hoffen, dadurch einen Prozess anzustoßen, eventuell sogar eine aktive Mitgestaltung in unserem Museum“, sagt Burkard, der sich mit seinem Team auf den persönlichen Kontakt und die „kleine Wundertüte“ an Entdeckungen freut. Man wolle „Brücken schlagen zur Aktualität. Oftersheim wird 60 Menschen aus der Ukraine im Jahr 2023 aufnehmen“, meint Burkard zur thematischen Abrundung, „die gelungene Integration nach 1945 sollte uns Hoffnung geben, dass uns heutzutage eine ähnlich gute Aufnahme von Flüchtlingen gelingen wird.“

Dieses positive Szenario kann man allseits nur unterstützen.

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