Oftersheim. Die Temperaturunterschiede sind schon enorm. Kuschelig warm ist es im zweckmäßig eingerichteten Büro des Heimat- und Kulturkreises Oftersheim, lausig kalt hingegen in der benachbarten alten Tabakscheune. Wir treffen uns mitten im alten Ortskern, in der Mannheimer Straße 59/61 unweit des Rathauses. In diesen alten Gemäuern, verwinkelten Gebäudekomplexen und zwei unterschiedlichen Innenhöfen, der eine etwas feiner und atmosphärischer, der andere bodenständig-rustikal, atmet Geschichte. Man kann hier Stunden und Tage verbringen und ständig stößt der Betrachter auf Details, Gegenstände mit heimatgeschichtlichem Hintergrund sowie auf Lebenslinien von Menschen unterschiedlichster Herkunft.
Das Gemeindemuseum von „Ofdasche“ stellt eine bunte Mischung aus Panoptikum und Kuriositätensammlung dar. Historie und Lebensgeschichten von Menschen bilden hier ein Sinngefüge. In mühevoller Kleinarbeit kümmert sich ein harter Kern der 500 Huko-Mitglieder um die Pflege und den Ausbau des Museums – und ebenso um Veränderungen, dort wo sie sinnvoll oder gar notwendig sind, im Spannungsfeld zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Oftersheimer Verein feiert 40-jähriges Jubiläum
Vorsitzender Dieter Burkard (74 Jahre), sein Stellvertreter Gerhard Frei (76) und Anna Kirchner (68) nehmen den Chronisten dieser Zeitung mit auf eine Bildungsreise lokalen wie europäischen Zuschnitts. Anlässe gibt es gleich mehrere: Das Jahr 2023 ist ein ganz besonderes für den Heimat- und Kulturkreis. Gründungsmitglied Burkhard und seine Mitstreiter feiern das 40-jährige Bestehen des eingetragenen Vereins. Das genaue Datum, der 28. März 1983, mag für die Annalen eine Rolle spielen, für den 40. Geburtstag selbst und dessen Feierlichkeiten sind Tag, Monat und Jahr eher sekundär.
Sehr wahrscheinlich im Herbst (Samstag, 30. September?, 17 Uhr) „feiern wir vereinsintern Geburtstag“, wie es Gerhard Frei formuliert, in der „Kurpfalzhalle“, die zu diesem Zeitpunkt womöglich nicht mehr Roland-Seidel-Halle heißen wird, sowie einem „Überraschungsgast“, mit dem sich der Huko in den letzten Terminabstimmungen befindet.
Der allerwichtigste Themenbereich ist freilich eine Veranstaltung, die bereits am nächsten Mittwoch, 8. März, um 17 Uhr in der Cafeteria des Heimatmuseums über die Bühne gehen wird. Dabei steht die „Katscher Heimatstube“ im Fokus. Am Ende des Zweiten Weltkrieges und kurz danach sah sich die Hardtgemeinde wie andere Städte und Kommunen in Deutschland mit einer Flüchtlingswelle konfrontiert. Katsch ist der deutsche Name des serbischen Kleinods Kac, ungarisch Káty. Rund 2000 Serben, 1000 Deutsche und 500 Ungarn lebten in dem schachbrettartig aufgeteilten Ort im Umfeld von Novi Sad zusammen.
Über tausende Kilometer im Bauernwagen nach Oftersheim
Am 6. Oktober 1944 verlässt ein Großteil der deutschstämmigen Bevölkerung ihre Heimat. Der Treck teilt sich mehrmals auf. In Bauernwagen flüchten sie über tausend Kilometer und mehr, das notwendigste Hab und Gut transportierend, etwa einen mit Schweineschmalz gefüllten blauen Topf, der fast unscheinbar neben dem Katscher Gefährt für zwei Pferde im Museum steht. Ein Bündel an Familien kam in Oftersheim an.
Für Anna Kirchner ist die „Katscher Stube“ ein Vermächtnis. Ihr Mann Herbert Schön wurde 1939 in Katsch geboren, kümmerte sich um das Erbe seiner Landsleute und um deren Andenken und Erinnerungen zu bewahren. Seit ihr Mann vor sechs Jahren starb, führt Anna Kirchner aus Schwetzingen, die beruflich als Ex- Koordinatorin und Organisatorin der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg gewohnt ist, Dinge in die Hand zu nehmen, dies weiter. „Flucht, Vertreibung und Heimatverlust ist nicht allein eine Sache des Zweiten Weltkriegs“, sagt Kirchner, „das Thema ist so alt wie die Menschheit selbst – und es wird auch immer wieder passieren.“
Die ehemaligen Pädagogen und Kollegen der Theodor-Heuss-Realschule Walldorf, Burkard und Frei, unterstreichen das dick. Sie heben die ausgeprägte Willkommenskultur der Oftersheimer Bürger hervor. „Wir sind ein Ort mit etwas mehr als 12 000 Einwohnern und beherbergen Menschen aus über 70 Ländern“, sagt Gerhard Frei, Sohn des Altbürgermeisters Karl Frei.
Dieter Burkard zückt einen weißen Ordner. Es ist gewissermaßen die „Schatzkiste“ von Ex-Bürgermeister Siegwald Kehder, die der inzwischen 86-Jährige dem Huko überlassen hat.
Ur-Oftersheimer besitzt eine Mappe voller Erinnerungen
Die Mappe ist voller erschütternder Eindrücke von Zeitzeugen aus ganz Europa. Dem Ur-Oftersheimer lag Heimat- und Kulturgeschichte immer am Herzen. „Es ist eines der Kernanliegen von Siegwald Kehder, dass all diese Geschehnisse niemals vergessen werden dürfen“, konstatiert Burkard. Die Schultes-Vorgänger von Siegwald Kehder, Adolf Kircher und Karl Frei, hätten ähnlich getickt.
Vom Zusammensein am 8. März erhoffen sich die fleißigen Huko-Ehrenamtlichen weitere Impulse – Informationen, Schriftstücke, Dokumente, Fotos, Ausweise und kleinere Gegenstände zum Themenspektrum Katsch. Gerade über Mund-zu-Mund-Propaganda.
Ausgewählte Huko-Termine
Mittwoch, 8. März, 17 Uhr: Erinnerungsort „Katscher Heimatstube“ – Informationsaustausch, Cafeteria im Heimatmuseum in der Mannheimer Straße 59. Gegenstände und Dokumente für das Museum können gerne mitgebracht werden. Die Anmeldung kann per E-Mail an huko-oftersheim@web.de oder telefonisch unter 06202/5 43 68 erfolgen.
Aktion: Erfassung der Kleindenkmäler ab April.
Voraussichtlich Ende September: 40. Geburtstag, vereinsinterne Feier in der Roland-Seidel-Halle (ehemals Kurpfalzhalle). jog
Ein weiteres spannendes Huko-Projekt ist ab April die Erfassung der Kleindenkmäler auf Oftersheimer Gemarkung. Die Initiative wurde 2022 von Landesdenkmalamt in Stuttgart gestartet, ein zweibändiges Werk über Baden und Württemberg soll entstehen. „Wo ist was in welchem Zustand?“, so Burkard über den Ansatz der Recherche. Im früheren Forstrat Kar-Heinz Söhner hat der Huko einen kenntnisreichen Unterstützer. Die Erfassung der Kleindenkmäler soll bis Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Geschichte und Geschichten rund ums Büro, das Museum und die Cafeteria hören – hoffentlich – niemals auf. Erinnerung ist der Schatz unserer Seele, den uns niemand wegzunehmen vermag.
Oftersheim Erste und zweite Heimat