Mobiles Geschichtslabor

In Oftersheim gibt es Geschichte zum Anfassen

Konfirmanden der evangelischen Kirche können zusammen mit Pfarrer Habicht die Ausstellung über das Dritte Reich aus eigener Perspektive erleben und ziehen eine Zwischenbilanz.

Von 
Dahnah Rudeloff
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Oftersheim. Manchmal ist geschichtliches Geschehen viel näher am Hier und Jetzt, als man erwarten würde. Etwas mehr als 20 Minuten Autofahrt von Oftersheim entfernt, befand sich in der Zeit des Nationalsozialismus’ von 1933 bis 1939 ein Konzentrationslager (KZ). „So nah bei uns?“, zeigten sich Besucher betroffen. Vielen war das KZ unbekannt – das soll eine interaktive Ausstellung in Oftersheim ändern. Als mobiles Geschichtslabor mit dem Titel „Wo fängt Unrecht an?“ ist sie noch bis Mittwoch, 21. Dezember, in der Eichendorffstraße zu finden.

Ausgeschrieben ist es als Mitmachangebot für junge Menschen. Die Konfirmanden der evangelischen Kirche besuchten die Ausstellung zusammen mit Pfarrer Tobias Habicht. Da es in diesem Jahr insgesamt 44 von ihnen gibt, wurden sie in zwei Gruppen geteilt. Pfarrer Dr. Simon Layer war die Woche zuvor mit dem anderen Teil von ihnen dort gewesen.

Die 13- bis 14-Jährigen konnten sich sogenannte „Labor-Hefte“ nehmen und damit durch die Ausstellung gehen. Jede Informationstafel hat eine Nummer, mit der die Aufgaben zu erkennen sind. Diese gilt es dann zu bearbeiten. Die Jugendlichen gingen interessiert von Station zu Station und interagierten mit den Exponaten. Insgesamt hatten sie dafür eine Stunde Zeit.

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Die Ausstellung wollte sich Habicht „nicht entgehen lassen, wenn es schon den glücklichen Zufall gibt, dass diese direkt zu einem kommt.“ Die Jugendliche können laut Habicht mit dem Thema wenig anfangen, meist wird es durch Bilder klarer, weswegen die Kirche einen erlebnispädagogischen Ansatz verfolgt. Die Ausstellung kann das Ganze erlebbar machen. Die Jugendliche durften sich frei bewegen – alles alleine entdecken.

Zunächst wurde die Wichtigkeit des Themas durch das Erinnern an Reichspogromnacht und Wiedervereinigung auch in der Kirche thematisiert – „mit seinen Höhen und Tiefen“, so Habicht. Er selbst kann sich an die Reaktion seiner Eltern bei der Wiedervereinigung erinnern.

Habicht erzählt aus eigener Erfahrung von einer Klassenfahrt nach Berlin in Museen sowie eine Reise mit anderen Pfarrern ins Vernichtungslager Auschwitz, wo sie von einer Gruppe polnischer Jugendlicher angepöbelt wurden, weil sie Deutsche waren. Durch Gespräche konnten diese Konflikte jedoch aus dem Weg geschafft werden.

Jugendliche nicht alleine lassen

Im Nachgang zur Ausstellung wird das Thema mit den Jugendlichen besprochen, „sie dürfen nicht mit dem Thema allein gelassen werden“, so der Pfarrer. Auch für Matthias Agirdogan, Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt Oftersheim, ist das Feedback der jungen Menschen wichtig. Bisher gibt es von außerhalb gute Resonanzen zur Ausstellung. Die Menschen finden es gut, dass es das mobile Geschichtslabor gibt. Auch von Dr. Layer gab es positives Feedback. Insgesamt haben sich bisher vier Gruppen bei Agirdogan angemeldet, die beiden Konfirmandengruppen sowie zwei Schulklassen.

Über Zahl der Einzelbesucher konnte keine Angaben gemacht werden, da unterschiedliche Mitarbeitende des Bauamtes jeweils die Tür öffnen. Während des Termins mit den Konfirmanden waren drei weitere Interessierte in der Ausstellung. Die umliegenden Gemeinden wurden angeschrieben und auf das Projekt aufmerksam gemacht. Dass es Menschen erreicht, sieht Agirdogan daran, dass sich auch einzelne Schulen aus dem Umkreis gemeldet haben. Eventuell kann die Ausstellung in Oftersheim als Inspiration dienen, damit andere Gemeinden sie auch zu sich holen.

Für die ersten zwei Wochen der Ausstellung kann somit von allen beteiligten Seiten ein positives Zwischenfazit gezogen werden. Alle Interessierten sind weiterhin eingeladen, das Geschichtslabor zu besuchen. Es dürften sich auch noch mehr Schulklassen und Gruppen anmelden.

Stationen in der Ausstellung sind unter anderem: Nazi-Gegner, Berichte über Haftbedingungen, Informationen zum Untergrund, Flugblätter und Propaganda. Die Informationen sind gespickt mit Bildern von Menschen sowie dem KZ. Die Stationen sind interaktiv, beispielsweise können kleine Bälle in Löcher geworden werfen, um zu zeigen, in welchem Bereich selbst Diskriminierung erlebt wurde. Die meisten Kugeln lagen bei Abstammung, Rasse, Heimat und Herkunft.

Die Ergebnisse einer Umfrage aus dem Jahr 2017 zeigen, dass fast ein Drittel aller in Deutschland lebenden Menschen in den vergangenen beiden Jahren ausgegrenzt oder benachteiligt worden seien. Alle Tafeln sind zum Aufklappen, Anordnen oder Verschieben und laden zum Mitmachen ein.

Jeder Besucher kann am Ende Karten ausfüllen und für die nächsten Besucher ausstellen. Themen dabei sind beispielsweise „wo fängt Unrecht an?“ und „was hast du hier über die NS-Geschichte erfahren?“

Auch Motion Comics, die aus Standbildern digitalisierter Comics erstellt werden, sind zu finden, kleine Filmclips, die etwa von Plankstadt handeln.

Lehrer, die Interesse haben, mit ihren Schülern das Thema zu erarbeiten, können eine Handreiche bei der Arbeiterwohlfahrt erhalten. Diese erklärt den Ablauf, die Stationen und wie das Material vor- und nachbereitet werden kann. Außerdem gibt es Arbeitsblätter mit Übungen.

Verstanden, worum es geht

Um Diskriminierungserfahrungen zu verdeutlichen, teilte Agirdogan Jugendliche in die Gruppen „dunkel-“ und „blondhaarig“ ein, um die Willkürlichkeit von „Bewertungskriterien“ den Jugendlichen zu erklären. Yannick und Benjamin fanden die Ausstellung „informativ“. Michelle schloss sich ihnen an, „es sei gut, um Sachen von früher mitzukriegen.“ Auch Bennit findet es interessant, „da man sonst nicht so viel erfährt.“ Abgesehen von ein, zwei Jungen, denen es zu langweilig war, kommt die Ausstellung in dieser Gruppe gut an. Einige von ihnen waren aber auch zeitweise am Handy oder in private Gespräche vertieft – normal für Jugendliche.

Trotz der Schwere des Themas war die Atmosphäre locker und gut. Auch wenn schockierende und nicht akzeptierbare Gedanken des Nationalsozialismus dargestellt werden, wird Geschichte zum Anfassen lebendig. Und gerät somit nicht in Vergessenheit.

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