Plankstadt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass der Nachtragshaushalt verfassungswidrig ist, hat eine Krise ausgelöst, die Bundesregierung ins Wanken gebracht. Fast vier Wochen danach haben SPD, Grüne und FDP eine Einigung über den Bundeshaushalt für das kommende Jahr erzielt. Kürzungen und Einsparungen müssen nach dem Urteil akzeptiert werden. Betroffen davon sind auch Sozialleistungen. Sie sollen um 1,5 Milliarden Euro geringer ausfallen. Nach langem Ringen beibehalten wird die Erhöhung des Bürgergeldes. Was sagen Sozialverbände aus unserer Region zu dieser Entscheidung? Wir haben nachgefragt.
Awo Plankstadt: Die Erhöhung des Bürgergelds ist auch aufgrund der Inflation gerechtfertigt
„Die Erhöhung um zwölf Prozent ist gerechtfertigt“, meint Gaby Wacker von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Plankstadt. Ab 2024 liegt der Betrag bei 563 Euro pro Monat – und damit 61 Euro höher als im laufenden Jahr. Wacker stützt sich dabei auf die wegen der Inflation sprunghaft gestiegenen Lebenshaltungskosten. Nahrungsmittelpreise etwa sind in der Zeit von Juli 2021 bis Juli 2023 um über 27 Prozent gestiegen.
Betroffen von der Grundsicherung sind unter den rund 10 500 Einwohnern Plankstadts laut Daten der Bundesagentur für Arbeit im August diesen Jahres 442 Leistungsberechtigte. Diese gingen vor Antrag der Bürgergeldes keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Davon stehen 318 „dem Arbeitsmarkt zur Verfügung“, wie es gerne genannt wird. Diese Personen sind über 15 Jahre alt und befinden sich damit in einem erwerbsfähigen Alter. Die restlichen 124 Personen hingegen fallen wegen Krankheit, Alter oder anderen Faktoren nicht darunter. Wie sich die Zahlen seit dem Beschluss der Bürgergelderhöhung im Oktober entwickelt haben, dazu liegen noch keine Statistiken vor.
Höher liegt der Anteil an Bürgergeldempfängern in Eppelheim. In der etwa 15 600 Einwohner zählenden Stadt beziehen 932 Menschen die Grundsicherung. Ähnlich wie im benachbarten Plankstadt liegt der Anteil an Erwerbsfähigen auch in Eppelheim bei rund 70 Prozent und damit 647 Personen.
Awo Eppelheim: Erhöhung des Bürgergeldes ist von existenzieller Bedeutung
Um die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energieversorgung abfedern zu können, sei die Erhöhung des Bürgergeldes für Millionen Menschen „von existenzieller Bedeutung“, schlägt auch Renate Schmidt vom Eppelheimer Ortsverein der Awo in dieselbe Kerwe wie die Plankstadter Vertreterin. Schmidt merkt jedoch an, „dass die Höhe des Bürgergelds im untersten Bereich angesetzt ist“.
Damit trifft sie den Nerv des größten deutschen Sozialverbandes VdK. Roland Bühler vom VdK Landesverband Baden-Württemberg weist auf Nachfrage dieser Zeitung darauf hin, dass die Regelsätze in verschiedenen Lebensbereichen für Bürgergeldempfänger enorm gering berechnet seien. So beläuft sich etwa der Posten „Bildungswesen“ in der Regelbedarfsstufe eins, zu dem auch Alleinerziehende gehören, auf 1,81 Euro pro Monat. Da ist es wenig verwunderlich, dass Caritas oder Diakonie einen großen Teil ihrer Spendengelder an Bedürftige ausschütten, die davon Schulbedarf für ihre Kinder kaufen.
Der Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht berichtet, dass Betroffene mit dem Betrag zwar gerade so auskommen würden, aber es bliebe eben rein gar nichts über. „Es darf nichts passieren. Wenn mal die Spülmaschine kaputt geht oder neue Schuhe gebraucht werden, sieht man das den Leuten irgendwann an, sobald sie abgetragene Kleidung an haben“, sagt Bühler.
Das Bürgergeld richte sich ausschließlich am Existenzminimum aus, stellt Gaby Wacker von der Plankstadter Awo fest. Der VdK Landesverband fordert deshalb die Neuberechnung des Existenzminimums und verweist auf das Versprechen im Koalitionsvertrag. „Diese Zusage steht noch aus. Die würde sicherlich zu einer Erhöhung führen und die fordern wir auch ein“, sagt Bühler.
Schließlich sind von 5,5 Millionen Menschen, die in Deutschland Bürgergeld beziehen, laut Angaben der Bundesagentur für Arbeit nur 3,9 Millionen Menschen überhaupt erwerbsfähig. Der Rest erhält die Leistung, weil sie mit Bürgergeldberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Gemeint sind Kinder oder Jugendliche. Auch Rentner oder Menschen, die wegen familiärer Verpflichtungen wie Pflege oder Kinderbetreuung, keiner Arbeit nachgehen, können ihre finanzielle Situation nicht eigenständig verbessern.
Bundesagentur für Arbeit kündigt spürbare Veränderungen durch die Reform an
Und was sagt die Bundesagentur für Arbeit dazu, die mit den Auszahlungsprozessen für das nächste Jahr bereits begonnen hat? „Die Reform wird im Leben der Menschen zu spürbaren Veränderungen führen“, heißt es auf Nachfrage dieser Zeitung aus der Regionaldirektion Baden-Württemberg aus Stuttgart. Bürgergeld sei „mehr als eine bloße Namensänderung“. Es werde etwa mehr Fördermöglichkeiten bei Weiterbildungen und mehr Motivation durch das neue Weiterbildungsgeld geben, teilt ein Sprecher mit.
Für VdK und die beiden Awo-Ortsvereine ist ein Schlüssel zum Erfolg die Erhöhung des Mindestlohns. „Auf mindestens 14 Euro“, meint Renate Schmidt. Zumindest am Anstieg auf 12,41 Euro zum 1. Januar 2024 rüttelt die Bundesregierung aktuell nicht.
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