Plankstadt. Für die nachfolgende Erinnerung müssen wir weit zurückgehen – bis zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts, aber die Zeitzeugen gibt es noch und sie werden sich gut erinnern, allerdings nur der katholische Teil der damaligen Jugend und hier wiederum besonders die Buben.
Wir erinnern uns, damals waren die Kirchen stets noch gut gefüllt und auch die Kinder und Jugendlichen besuchten den Gottesdienst – ob freiwillig oder auch nicht. In der St.-Nikolaus-Kirche waren auf beiden Seiten die vorderen Bänke für Kinder und Jugendliche reserviert, nach Alter und Schuljahrgängen geordnet. Vorne die Jüngeren, hinten die Älteren.
Nun gehört es zu den Eigenheiten der Jugend, dass sie dem Ablauf des Gottesdienstes nicht immer mit der erforderlichen Andacht, dem gebotenen Ernst und auch dem nötigen Interesse folgten und oft zu allerlei Schabernack aufgelegt waren. Daher konnte es vorkommen, dass es im vorderen Teil der Kirche oft recht unruhig war, besonders wenn der Gottesdienst lange dauerte und die aufbauenden Worte des Predigers wenig oder gar keine Wirkung bei den Kindern und Jugendlichen zeigten. Dass dies nicht nur den Pfarrer störte, sondern auch die dahinter sitzenden Erwachsenen, versteht sich von selbst.
Unruhe Einhalt gebieten
Wie also der Unruhe Einhalt gebieten? In manchen Gottesdiensten stellte sich der gerade nicht zelebrierende Priester – also entweder der Kaplan oder der Pfarrer selbst – als Aufsicht in den Mittelgang zu den Jugendlichen, was bei manchen zu etwas mehr Aufmerksamkeit führte, manche aber auch völlig kalt ließ.
Und hier trat nun der „Buuwezobbler“ auf den Plan. Zur Erläuterung: „Zobble“ bedeutet ziehen und „Buuwe“ sind die Buben. Ein „Buuwezobbler“ war also einer, der die Buben an den Ohren zog, wenn sie sich schlecht verhielten. Manche nannten ihn auch „Ohrezobbler“ oder auch „Adlerauge“, weil er mit seinem scharfen Blick jede Störung sofort wahrnahm und sanktionierend einschritt. Der „Buuwezobbler“ war natürlich kein offizielles Amt in der Kirche, sondern ein frommer honoriger Mann aus der Gemeinde, der sich freiwillig und ehrenamtlich zur Verfügung stellte, um den Jugendlichen im Gottesdienst kirchlichen Anstand näherzubringen. (Ob er nicht doch ein Scherflein vom Pfarrer für seine Dienste bekam, ist nicht bekannt.)
Heutzutage könnte sich ein solcher Beauftragter für alle Altersgruppen lohnen, denn nach und nach geraten bei den Gottesdienstbesuchern aller Altersgruppen die althergebrachten Verhaltensformen in der Kirche in Vergessenheit.
Eine Merkwürdigkeit fällt natürlich in heutiger Zeit sofort besonders auf: Schon das Wort „Buuwezobbler“ zeigt deutlich, dass sein Einsatzgebiet ausschließlich die Bubenseite (in der Kirche die rechten vorderen Bankreihen) war. Bei den Mädchen und Jungfrauen – so hießen sie damals wirklich, sie hatten sogar ein Extra-Emailleschild mit der Aufschrift „Jungfrauen“ an der Bank – scheint wohl sein Einsatz oder der eines weiblichen Pendants nicht von Nöten gewesen zu sein, denn eine „Mädlezobblerin“ ist nicht erinnerlich! Im Zeitalter der absoluten Gleichberechtigung eigentlich ein Skandal! Bei Mädchen und Jungfrauen setzte man wohl voraus, dass sie ordentlich, sittsam und fromm dem kirchlichen Geschehen lauschten und daher keiner besonderen Aufsicht bedurften, was sicherlich oft auch eine Fehleinschätzung war.
Wie gestaltete sich nun der Einsatz des „Buuwezobblers“? Während des Gottesdienstes stand er vorne im Seitenschiff an unterschiedlichen Stellen der vorderen Bankreihen und hatte so die Knaben alle (meistens) im Blick, da er sich nahezu lautlos wie ein Schatten vor und zurück bewegte. Das Gesangbuch, das er zur persönlichen Mitfeier in der Hand hatte, hatte für die Lausbuben eine besondere Bedeutung, denn allzu leicht konnte es passieren, dass es mit einem kräftigen Schlag im Genick eines „Delinquenten“ landete, der daraufhin Ruhe gab und automatisch wusste, wie er sich weiter zu verhalten hatte, wollte er nicht erneut einen Schlag abbekommen. „Achdung, da Adlerauge kummd“, war deshalb die ultimative Warnung, sein Verhalten zu kontrollieren und zu verbessern.
Reihe für Reihe
Nach Ende des Gottesdienstes wurde natürlich auch darauf geachtet, dass die Jugend nicht ungestüm und rennend die Kirche verließ. Dazu ließ der Kaplan (oder der aufsichtführende Pfarrer) immer zwei bis drei Bankreihen in den Mittelgang treten und forderte sie mit einer entsprechenden Handbewegung zur gemeinsamen Kniebeuge auf. Danach konnten sie die Kirche ruhig und gemessenen Schritts verlassen und die nächsten Bänke waren an der Reihe, bis alle Kinder und Jugendlichen die Kirche verlassen hatten.
Auch hier konnte es passieren, dass die geistliche Mittelgangaufsicht einem besonders auffälligen Knaben schon mal eine kräftige Ohrfeige verpasste, wenn er sich zuvor schlecht verhalten hatte.
Und heute? In den Kirchen wurde die althergebrachte traditionelle Sitzordnung längst ersetzt durch die individuelle Wahl des Sitzplatzes. Der eklatante Rückgang der Gottesdienstbesucher erfordert eine solche auch längst nicht mehr und bestimmte kirchliche Gruppen, die aufgrund ihrer Alterszugehörigkeit oder ihrer Funktionen in der Kirchengemeinde einen bevorzugten Sitzplatz zugewiesen bekamen oder diesen beanspruchten, gibt es längst nicht mehr.
Vor allem gibt es keine Kinderscharen mehr, die den normalen Gottesdienst besuchen und daher auch keiner speziellen Beaufsichtigung bedürfen.
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