Reilingen/Schwetzingen. „Mit Erstaunen und einer gewissen Verärgerung habe ich Ihre Aktion zur möglichen Schließung der Notfallpraxis Schwetzingen zur Kenntnis genommen. Diese Aktion mag zwar eine gewisse populistische Zustimmung bei der Bevölkerung finden, geht aber an den Fakten und an den Verantwortlichkeiten völlig vorbei. Eigentlich hätten diese Fakten zur Gesundheitsversorgung allgemein bekannt sein müssen, da ich diese bei meinem Vortrag in der Mannherz-Halle klar aufgezeigt habe“, schreibt jetzt der Reilinger Arzt Dr. Michael Eckstein an die hiesige SPD, die den Landtagsabgeordneten Daniel Born bei der Unterschriftenaktion gegen die Schließung der Notfallpraxis in Schwetzingen unterstützt.
Eckstein schreibt: „Ihnen wird sicher nicht entgangen sein, dass seit Jahren der Arztmangel, insbesondere im hausärztlichen Bereich, mit zunehmender Geschwindigkeit zunimmt. Hausarztpraxen werden geschlossen, da sich keine Nachfolger finden und bei den Fachärzten wird es in wenigen Jahren ähnlich aussehen. Im Facharztbereich nehmen die Wartezeiten auf Termine rasant zu. Nicht weil die Fachärzte zu wenig arbeiten, sondern weil der Bedarf schneller wächst. Diese Entwicklung wird sich verschärfen, da in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge aus der Versorgung ausscheiden. 70 bis 80 Prozent der Studienabgänger sind Frauen, die zu einem großen Teil eher als Angestellte und oft in Teilzeit arbeiten möchten“, so Eckstein.
Aufgrund dieser Faktoren sei klar, dass die Versorgung der Bevölkerung durch immer weniger ärztliche Vollzeitkräfte geleistet werden müsse. Der Notfalldienst in den sprechstundenfreien Zeiten werde zu 50 Prozent von den Krankenkassen und zu 50 Prozent von den niedergelassenen Ärzten selbst finanziert. Geleistet werde er außerhalb der Sprechzeiten durch die Niedergelassenen oder von Vertretern. Diese Vertretung habe über Jahre sehr gut funktioniert, sei aber durch das Urteil des Bundessozialgerichts (Poolärzteurteil zur Sozialversicherungspflicht) massiv erschwert worden. Insbesondere Bundesarbeitsminister Heil (SPD) habe sich für die Sozialversicherungspflicht starkgemacht. 3000 Poolärzte in BW hätten nicht mehr ohne Weiteres den Vertretungsdienst im Notfall- und Bereitschaftsdienst leisten können.
Eckstein schreibt weiter: „Eine Aufrechterhaltung des bisherigen Umfangs des Notfalldienstes hätte dazu geführt, dass die noch aktiven Niedergelassenen, deren Zahl sinkt, eine immer größere Arbeitsbelastung zu stemmen hätten. Neben der Patientenversorgung in den Sprechstundenzeiten in den Praxen müssten diese Ärzte noch nachts und am Wochenende in den Notfallpraxen Dienst leisten. Das ist einfach nicht möglich. Niedergelassene mit einer Wochenbelastung von 50 bis 60 Stunden können nicht noch zusätzlich, praktisch ohne Pause, abends und nachts Dienst machen. Die Aufrechterhaltung aller Notfallpraxen würde die Regelversorgung der Praxen massiv verschlechtern. Dies kann niemand wollen“, so der Arzt, der auch als Delegierter bei der Kassenärztlichen Vereinigung fungiert.
Die Schließung von Notfallpraxen habe nicht zur Folge, dass die Patienten nicht mehr versorgt werden, sondern dass Anfahrtswege in einem akzeptablen Maß länger würden, das sei zumutbar, findet Eckstein.
Dann bewertet er die Protestaktion so: „Seit knapp zwei Jahrzehnten, beginnend mit der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihrem damaligen Adlatus Lauterbach, über Gesundheitsminister aller Parteien bis zum negativen Höhepunkt dieser Entwicklung unter Minister Lauterbach (SPD) wird das System der ambulanten Gesundheitsversorgung rasant umgebaut. Es wird gespart, es wird zentralisiert, die Niederlassung wird zunehmend unattraktiv und es erfolgt ein Umbau in Richtung Staatsmedizin. Dass jetzt ausgerechnet eine Protestaktion gegen die Schließung der Notfallpraxen“ von der Partei initiiert wird, deren Minister seit Jahren die Verantwortung für die jetzige Misere im Gesundheitswesen tragen, hat schon was“, schreibt er unter anderem.
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