Gemeinderat

Schwetzingens Politik kämpft für die Notfallpraxis der GRN-Klinik

„Keine Schließung der Notfallpraxen in unseren Gemeinden“, so heißt es in einem Brief von 18 Bürgermeistern aus ganz Baden-Württemberg an Gesundheitsminister Manfred Lucha. Und auch in Schwetzingen wird der Protest lauter.

Von 
Jürgen Gruler und Andreas Lin
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Karin Schardt aus Hockenheim ist extra ins Wahlkreisbüro von Daniel Born gekommen, um für den Erhalt des Bereitschaftsdienstes zu unterschreiben. © Anja Wilhelmi-Rapp

Schwetzingen. „Keine Schließung der Notfallpraxen in unseren Gemeinden“, so heißt es in einem Brief von 18 Bürgermeistern und Oberbürgermeistern aus ganz Baden-Württemberg an Gesundheitsminister Manfred Lucha: „18 vom Volk gewählte Bürgermeister und Oberbürgermeister wenden uns an Sie, weil wir in großer Sorge um die künftige Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung in unseren Städten und Gemeinden sind. Hintergrund ist die Reform des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, die von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) derzeit geplant wird. In diesem Zuge sollen gut funktionierende Notfallpraxen geschlossen werden“, heißt es.

Das von der KVBW „im stillen Kämmerlein entwickelte Konzept“ sei nach der Vorstellung bei einem Abgeordnetenfrühstück bekannt geworden. Ganz offensichtlich seien aber auch die Abgeordneten vor vollendete Tatsachen gestellt worden. „Dies und die Kriterien, mit welchen die KVBW etablierte Strukturen zerschlagen will, sind aus unserer Sicht nicht nachvollziehbar und gesamtpolitisch alarmierend“, schreiben die Stadtoberhäupter.

Dann nennen sie die Kriterien der KVBW: So sollen pro Landkreis künftig nur ein bis maximal zwei Praxen vorhanden sein. Dies missachtet die Tatsache, dass es in Baden-Württemberg Landkreise unterschiedlicher Einwohnerdichte gibt. Eine Praxis in einem weniger dicht besiedelten Landkreis könne eine rechnerisch bessere Versorgung bedeuten als zwei Praxen in einem einwohnerstarken Landkreis. So etwa im hiesigen Rhein-Neckar-Kreis. „Wir fordern Sie und die KVBW auf, dafür Sorge zu tragen, dass auch die Einwohnerdichte als Kriterium bei der Neustrukturierung zählt. Es braucht eine flächige Ausbreitung der Notfallpraxen, sonst führt das zu unzumutbaren Fahrwegen und zu Überlastungen in den dann zuständigen Notfallpraxen mit extremen Belastungen für die dortige Ärzteschaft. Zumal die neuen Notfallpraxen in den Aufbau der neuen Strukturen teilweise noch gar nicht eingebunden sind. Auch würde es zu einem überhöhten und fehlgeleiteten Aufkommen des Rettungsdienstes kommen, wie sich bereits jetzt im Landkreis Karlsruhe nach der Schließung der Praxis in Waghäusel-Kirrlach zeigt“, so die Bürgermeister und OB.

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Auch das nächste Kriterium wird angezweifelt: „Laut Planung sollen künftig nur an Krankenhausstandorten Notfallpraxen angesiedelt sein. Dies verwundert, da dieses Kriterium zahlreiche der zur Schließung anstehenden Praxen zumindest gebietsbezogen bereits erfüllen. Für andere Standorte gilt, dass es an den neuen Standorten zu dann noch überfüllteren Krankenhaussituationen führt und Patienten auflaufen, welche dort eigentlich nicht hingehören. Wir fordern, dass insbesondere Notfallpraxen an Orten, an welchen sich ein Krankenhaus befindet, nicht geschlossen werden. Sonst ist eine Unterversorgung der Bevölkerung in vielen Bereichen des Landes Baden-Württemberg nicht nur zu befürchten, sondern eine von der KVBW beschlossene und von Ihnen geduldete Realität.“ Das wäre ja im Falle von Schwetzingen bereits vorhandener Standard.

Und dann noch das Kriterium der Erreichbarkeit: So behauptet die KVBW, dass auch nach den geplanten Schließungen 95 Prozent der Bevölkerung eine Praxis in 30 Fahrminuten erreichen könnten. „Wir wissen, dass die KVBW dieses Kriterium in den Notfallbezirken nur dann nachweisen kann, wenn man den Weg mit dem Auto und ohne Verkehrsbeeinträchtigung zurücklegt. Dies ist eine massive Benachteiligung der älteren oder wenig begüterten Bevölkerungsteile, die kein Auto haben. Abgesehen davon ist die Fahrt ohne Stau in Ballungszentren eine Utopie, von der Konterkarierung der Bemühungen des Verkehrsministerium, den Verkehr vom Auto in den ÖPNV zu verlagern, einmal ganz abgesehen.“

Die Bürgermeister fordern deshalb, dieses Kriterium nicht nur auf das Auto bezogen, sondern auch für den ÖPNV zu betrachten. „Denn wir sind uns doch sicher einig, dass Notfallversorgung nicht nur für Autofahrer funktionieren muss. Andernfalls benachteiligt das Sozialministerium ärmere und ältere Bevölkerungsschichten und trägt durch eine Zwangsverlagerung der Fahrbewegungen auf das Auto zur Klimaverschlechterung bei“, so der Brief.

Das Sozialministerium müsse die KVBW begleiten und sicherstellen, dass diese ihrem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag auch künftig nach der Neukonzeption des ärztlichen Bereitschaftsdienstes nachkomme. „Angesichts der geplanten Schließung haben wir ernsthafte Zweifel, dass dies tatsächlich der Fall ist. Wir fordern Sie auf, dass das Sozialministerium rasch und ernsthaft den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag überprüft. Anderenfalls entsteht doch der Eindruck, dass die KVBW machen kann, was sie will, und auch das Land Baden-Württemberg kein oder nur wenig Interesse an der Situation der Notfallversorgung zeigt. Wir erwarten, dass Sie sich jetzt rasch der Sache annehmen und nicht länger untätig zusehen, wie die KVBW den funktionierenden ärztlichen Bereitschaftsdienst in unseren Städten und Gemeinden an die Wand fährt und einem Großteil der Bevölkerung eine Verschlechterung zumuten will, obwohl die jeweiligen Strukturen vor Ort dies derzeit gar nicht erfordern“ schreiben die Unterzeichner, unter denen auch der Schwetzinger Oberbürgermeister Dr. René Pöltl ist.

Gemeinderat Schwetzingen hat Erklärung vereinbart

Carsten Petzold, Fraktionssprecher der Freien Wähler, regte in der Gemeinderatsitzung am Mittwoch an, eine gemeinsame Erklärung für den Erhalt der Notfallpraxis zu verfassen, was auf breite Zustimmung stieß. „Das wäre ein Riesenverlust, wir werden dafür kämpfen und alles tun, um das zu erhalten“, betonte Bürgermeister Matthias Steffan. Dr. Horst Herrmann (CDU) wusste, in der hiesigen Praxis würden 14 000 Patienten pro Jahr behandelt. „Das ist sehr viel“, sagte er und gab zu bedenken, dass auch der Fahrdienst wegfallen würde. Für die Pläne hat der Mediziner kein Verständnis: „Das ist Wahnsinn, bei so einer großen Einwohnerzahl überhaupt darüber nachzudenken.“ 

Chefredaktion Jürgen Gruler ist Chefredakteur der Schwetzinger Zeitung.

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