Reilingen. Biodiversität stärken, Bienen schützen, Landverbrauch einschränken und sorgsam mit dem Wasser umgehen – die Ziele, die Landwirt Jürgen Schell bemüht, sind aller Ehren wert und würden wohl von jedem der Zuhörer im Bürgersaal des Rathauses unterschrieben, würden sie nicht ins Feld geführt, um die Ansiedlung eines Landwirts am Herrenbuckel zu verhindern. Und dieses Vorhaben hat mit den vorgebrachten Argumenten nichts gemein – es geht nicht um eine Neuansiedlung, es geht um die Verlagerung der Betriebsstätte eines bestehenden landwirtschaftlichen Betriebs.
Geplante Verlagerung im Reilinger Herrenbucke ist stark emotionalisiert
Diese geplante Verlagerung ist mittlerweile stark emotionalisiert, nicht zuletzt durch Landwirte vom Herrenbuckel und Bürger, die sich zu einer Initiative „Mein Dorf – meine Heimat“ zusammengeschlossen, Unterschriften gegen die Ansiedlung gesammelt und an Bürgermeister Stefan Weisbrod in der Ratssitzung überreicht haben.
Dieser zeigte sich dabei bereit, bei einem der Sitzung des Technischen Ausschusses vorgeschalteten Hearing über das Projekt zu sprechen – dann allerdings mit der Beteiligung beider involvierten Parteien. Mit dem Austausch der Informationen wolle man Zeit und Kraft sparen, drückt Weisbrod zu Beginn der Sitzung im Bürgersaal seine Hoffnung aus und gab einen Überblick über den Stand der Dinge.
Ins Rollen brachte das Verfahren Anfang November eine Bauvoranfrage von Kartoffelbauer Jens Bechtel, mit der geklärt werden sollte, ob es die Gesetze zulassen, seine Betriebsstätte an den Herrenbuckel zu verlagern. Die Antwort hierauf könne nicht die Gemeinde geben, stellte Weisbrod fest, zuständig sei die Fachbehörde, das Landwirtschaftsamt. Und dieses habe die Ampel bereits auf Grün gestellt, die Bauvoranfrage positiv beschieden.
Wie der Bürgermeister auf Nachfrage von Sabine Petzold (FW) hinzufügte, handle es sich derzeit noch um ein laufendes Verfahren, kein abgeschlossenes. Doch aus Sicht der Gemeinde habe man kein „Eisen mehr im Feuer“, nehme man keine aktive Rolle mehr ein.
BI führt den Naturschutz als Gegenargument auf
Landwirt Jürgen Schell ging in seiner Stellungnahme auf die Initiative „Mein Dorf – meine Heimat“ ein, die mittlerweile über 600 Bürger hinter sich wisse. Ihm gehe es um den Schutz eines der letzten Naturräume von Reilingen. Gleichzeitig sei es ein Ziel, ein weiteres Hofsterben zu verhindern. Gerade vor diesem Hintergrund seien viele Landwirte verstört über die Entscheidung, eine Ansiedlung am Herrenbuckel zuzulassen. Denn landwirtschaftliche Fläche für einen neuen Betrieb gebe es nicht mehr.
Die Landwirtschaft sei auf Fläche angewiesen, stellte Schell fest und verwies auf den ungebremst weitergehenden Flächenverbrauch. Dadurch würde vielen kleinen Betrieben im Land die wirtschaftliche Grundlage entzogen. In den 30 Jahren, die er Landwirt sei, habe er 25 Prozent seiner Fläche verloren, rechnete Schell vor, für den kein Ende der Entwicklung in Sicht ist. Was die sieben landwirtschaftlichen Familienbetriebe, die es noch im Ort gebe, deren nächste Generation schon in den Startlöchern stehe, die Hoffnung raube.
Auch vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit sei es notwendig, den Naturraum Herrenbuckel zu erhalten, fuhr Schell fort und warnte vor intensiv wirtschaftenden Agrarbetrieben. Mit Bildern unterstrich er, wie extensiv und viel Raum für Untersaat und Insekten er seine Felder bestelle. Zugleich erinnerte er an die Aktion „Rettet die Bienen“, mit der sich die Bürger in Baden-Württemberg für den Schutz der Biodiversität ausgesprochen hätten und damit für Nachhaltigkeit.
Letztlich war dem Landwirt auch der Schutz der Reiter und Pferde rund um den Herrenbuckel ein Anliegen. Rund 80 Tiere gebe es am Herrenbuckel und auf dem Wersauer Hof – der Bündelweg, an dem sich der Betrieb ansiedeln will, sei gerade mal 2,70 Meter breit, da seien Unfälle vorprogrammiert.
Jürgen Schell befürchtet großen Flächendruck auf dem Herrenbuckel Reilingen
Durch den neuen Betrieb sah Schell letztlich einen großen Flächendruck auf den Herrenbuckel zukommen – „wir haben keine Flächen“, eine weitere Verschärfung der Situation nitratbelasteter Böden und eine Gefährdung für das Grundwasser. „Wir wollen den Naturraum erhalten“, fordert er den Antragssteller auf, sich an anderer Stelle um einen auslaufenden Betrieb zu bemühen.
Wenn in den vergangenen Jahren der Herrenbuckel zu einem erhaltenswerten Naturraum geworden sei, woher komme dann die Nitratbelastung, wollte Peter Kneis (CDU) wissen, für den die Schellschen Argumente nichts mit der geplanten Ansiedlung zu tun haben. „Sie haben sich eine Story ausgedacht und den Menschen als Wahrheit erzählt“, wollte Kneis wissen, was vor diesem Hintergrund die gesammelten Unterschriften wert seien.
Als Beispiel nannte Kneis die beschworene Furcht vor dem Lkw-Verkehr – Bechtel habe nur einen. Und ob das Gefährdungspotenzial durch andere Bauern, die beispielsweise am Herrenbuckel Erdbeeren anbauen, höher oder geringer sei, wollte er nicht hinterfragen. Fakt sei, so Kneis, Bechtel brauche keine Flächen, er hat eigene Äcker, die er bestellt, wolle nur seine Betriebsstätte verlagern.
Bürgerinitiative hat Angst vor holländischen Verhältnissen
Schell wiederholt seinen Einwand, keinen Riesenbetrieb am Herrenbuckel zu wollen, der keinen Platz für anderes lasse – „die Halle ist erst der Anfang“ – und der ihm Angst mache, dass holländische Verhältnisse am Herrenbuckel einziehen: Böden, die im Winter unter Wasser stehen und im Sommer ein Folienmeer seien.
Kneis sprach von gebetsmühlenartigem Wiederholen falscher Behauptungen, mit denen einem Bauern das Lebensrecht abgesprochen werde. „Sie haben Fantasie entwickelt und Märchen erzählt“, warf er Schell vor und stellte fest, dass man nicht alles, vom Bienensterben bis zum Schwund der Biodiversität, Bechtel in die Schuhe schieben könne.
Anette Schweiger (CDU) warf den Bauern vor, sich gegenseitig zu bekriegen. Wenn es um Baugebiet gehe, höre sie keinen Protest und Folien würden auf der Gemarkung mehr zu finden sein wie auch Rasenflächen, die bewässert würden.
Sabine Petzold (FW) erinnerte an die Diskussion im TA, bei der sie sich der Stimme enthalten habe, da ihr Fakten fehlten. Weder die Fragen nach den Kosten, der Erschließung oder der Nutzung der Feldwege seien geklärt worden. Wie Weisbrod erwiderte, sei die Gemeinde wieder im Boot, wenn der Bauantrag gestellt werde. Dann würden diese Fragen beantwortet, dem Bauherrn Auflagen gemacht.
Bürgermeister Stefan Weißbrod betont, dass die Ablehnung der Anfrage nicht möglich war
Weisbrod machte aber nochmals deutlich: Der Landwirt sei privilegiert, die Behörde habe keine Chance gehabt, seine Anfrage zu verneinen wie auch der TA nicht. Was wiederum Schell dazu veranlasste, mit intensiver Landwirtschaft auf seinen Flächen zu drohen – dann lasse er die Pfälzer kommen, die eh über den Rhein drängen würden.
Simon Schell (Grüne) griff die Aussagen zur Biodiversität auf, wollte sie aber allgemein und über alle Landwirte hinweg im Ort diskutiert wissen, unabhängig von der aktuellen Debatte um die geplante Ansiedlung am Herrenbuckel.
Wie Peter Kneis abschließend noch feststellte, gibt es den Betrieb von Bechtel schon seit acht Jahren. Mit seiner Kartoffelproduktion ernährt er rund 50 000 Bürger jährlich. Und dies mit Flächen, die er bereits hat. Aktuell gehe es nur um die Verlagerung der Betriebsstätte vom Kleinen Hertenweg an den Herrenbuckel, um mehr nicht.
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