Reilingen. Wenn historische Bausubstanz erhalten bleibt und die Gemeinde dafür keinen Cent investieren muss, löst das beim Bürgermeister pure Begeisterung aus. Besonders dann, wenn die Kommune in unmittelbarer Nachbarschaft für ein Denkmal in ihrem Besitz tief in die Tasche greifen muss. Angesichts der 2,1 Millionen Euro, die die Gemeinde Reilingen in die Sanierung ihres Dorfgemeinschaftshauses steckt, tut Stefan Weisbrod das Engagement von Helge-Thomas Grathwol beim ehemaligen Gasthaus „Zum Engel“ doppelt gut. Das brachte er bei der Feier eines Etappenziels in dem über 250 Jahre alten Gebäude zum Ausdruck.
In den Räumen, die mindestens seit 1772 der Bewirtung dienten – in jenem Jahr wurde das Gasthaus erstmals urkundlich erwähnt – arbeiten seit Ende April die Zahnärztinnen Dr. Simone Späh und Claudia Wülfinghoff mit ihrem Praxisteam. Sie haben vor über 20 Jahren in Reilingen zu praktizieren begonnen, haben bislang rund 800 Meter weiter in der Hauptstraße 144 ihre Patienten behandelt und fanden, es sei „Zeit für frischen Wind“, wie sie anlässlich der kleinen Feierstunde berichteten.
Eineinhalb Jahre Vorlaufzeit für das Großprojekt in Reilingen
Den konnte Helge-Thomas Grathwol mit der Immobilie in Sichtweite des Rathauses bieten, die er erworben hat und unter der Regie von Architekt Eberhard Vögele denkmalschutzgerecht und damit höchst aufwendig sanieren lässt. Vor eineinhalb Jahren hatten die beiden Zahnmedizinerinnen ihren ersten Rundgang in den rund 170 Quadratmeter großen Räumen gemacht – damals war das Gebäude entkernt worden. Es hatte seit 2011 leer gestanden, was keinem Bauwerk zuträglich ist. „Dankeschön für dieses Mammutprojekt, das Sie da geschultert haben“, würdigte Bürgermeister Stefan Weisbrod daher die Anstrengungen, die der Investor unternimmt und die wohl noch bis zum Ende des Jahres dauern werden.
Zwei Wohnungen im Reilinger Projekt bereits bezogen
Für ein Dorf wie Reilingen sei es ein Glücksfall, wenn privates Engagement identitätsstiftende Bauwerke mit interessanter Geschichte erhält, sagte Weisbrod. Denkmalschutzvorgaben verzögerten das ehrgeizige Vorhaben, dem Dachstuhl und Fachwerk ohnehin große Herausforderungen gestellt hatten.
Späh und Wülfinghoff sind nicht die einzigen neuen Nutzer des revitalisierten Areals. Die beiden Wohnungen im Neubau, der dort entstand, wo nicht denkmalgeschützte Nebengebäude wie ein Sanitärtrakt abgerissen worden waren, sind ebenfalls schon bezogen. Sie sind jeweils rund 60 Quadratmeter groß, die im Erdgeschoss ist barrierefrei.
Im Hauptgebäude entstehen anstelle des früheren Veranstaltungs- und Vereinssaals im Obergeschoss zwei weitere Maisonettewohnungen mit Größen von 135 bis 140 Quadratmeter, die Helge-Thomas Grathwol vermieten will. Hier läuft aktuell der Innenausbau, der Estrich soll demnächst gelegt werden.
Das historische Treppenhaus muss erhalten werden, auch wenn es nicht mehr zur Erschließung der Wohnungen dienen kann. Gleiches gilt für die noch erhaltene Tür, die nicht als Zugang dient. Auch die markante Außentreppe vorm Haus soll wieder hergestellt werden. Um die Farbe der Außenfassade denkmalgerecht zu ermitteln, habe der Restaurator mit dem Skalpell gearbeitet, erinnert sich Grathwol.
Die Praxis Dr. Simone Späh und Claudia Wülfinghoff stellte ebenfalls erhöhte Ansprüche mit ihren Anschlüssen für Wasser, Absaugung und Druckluft. Die Zahnärztinnen sind seit 2013 in der jetzigen Konstellation tätig und froh, dass die Patienten den Umzug mitgemacht haben. „Manche fragen, ob aus dem Wasserspender jetzt Wein kommt, weil es ja früher ein Gasthaus war“, berichtet Späh. Damit kann die Praxis nicht dienen. Doch Helge-Thomas Grathwol möchte aus der Sandsteinscheune von 1875 eine Weinlounge machen – wenn alles andere erledigt ist.
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