Schwetzingen. Sicher wird sich mancher schon gefragt haben, warum Schwetzingens ältestes Hotel nicht nur Adler, sondern Adler-Post heißt. Bis in die 1950er Jahres war es auch ohne Zusatz, aber der hat seine historische Bewandtnis, denn dort in der Schlossstraße war früher lange die Posthalterei der Stadt. Einige Zeugnisse aus dieser Zeit sind heute noch im Besitz der Hoteliersfamilie Höfer. Wir blicken in die Geschichte – die sich im Zeitungsarchiv fand.
In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, als das Postwesen der deutschen Länder im Wesentlichen auf der vortrefflichen Thurn- und Tax’schen Organisation beruhte und auch durch den gerade aufgekommenen Eisenbahnverkehr nicht allzu sehr in seinen vielseitigen Aufgaben geschmälert war, zog sich noch ein ganzes Netz von Postmeistereien und Posthaltereien über das Land. Die Postkutsche beherrschte den Reiseverkehr, denn nur wenige Bahnlinien waren es, die hauptsächlich die großen Städte verbunden haben. Im Überlandverkehr behaupteten einstweilen die Postillone das Feld.
Verpflichtende tägliche Omnibusfahrten zur Postbeförderung in Schwetzingen
Auch in Schwetzingen gab es eine Posthalterei, mit der die Verpflichtung verbunden war, täglich Omnibusfahrten zur Personen- und Postbeförderung zu jeweils zwei von und nach Mannheim in Friedrichsfeld passierenden Zügen auszuführen. Außerdem oblag dem Poststallmeister die Weiterbeförderung der in Schwetzingen ankommenden Extrapost-Reisenden zu benachbarten Poststationen.
Im Oktober 1849, also vor genau 175 Jahren, wurde der Adler-Wirt Johann Ihm – der Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater der heutigen Hotelchefin Tessa Höfer – in Schwetzingen von der Direktion der Großherzoglich Badischen Posten und Eisenbahnen als Poststallmeister eingesetzt. Gemäß den noch im Archiv des Hauses vorhandenen Dienstverträgen übernahm er die dort genannten Verpflichtungen.
Zur Postbeförderung gehörten sowohl die geschlossenen Fahrtbeutel und Briefpakete wie auch größere Fahrpoststücke, für die der Posthalter übrigens persönlich haftete und die er unter Verschluss und in gedecktem Laderaum unterbringen musste. Er hatte auch die Postillione anzustellen, die mit der „großherzoglichen Postmontur“ bekleidet und mit Posthorn versehen“ waren, so heißt es in einer Schrift aus den 1950er Jahren, auf der dieser Bericht beruht. Den Postillionen war besonders vorgeschrieben, „allzeit reinlich und sauber“ zu erscheinen. Für die Dienstleistungen dieses Personals war Posthalter Ihm der Postverwaltung verantwortlich und haftbar. „Es mussten wohlbekannte oder mit guten Zeugnissen versehene mannbare und des Fahrens kundige Leute sein“, hieß es in den Vorschriften.
Schwetzinger Poststallmeister muss sich nach der jeweiligen Taxordnung richten
Die Extrapost-Distanzen für die Personenbeförderung waren im Vertrag ebenfalls bestimmt. Diese Distanzen dienten als Grundlage für die Berechnung der Taxe und betrugen nach Heidelberg, Mannheim nach Speyer 13/8, nach Waghäusel 11/4 und nach Wiesloch 11/8 Post. Bei der Erhebung des Extrapostgeldes musste sich der Poststallmeister nach diesen Postdistanzen und der jeweiligen Taxordnung richten.
Auch die Estaffetten mussten zu den genannten Stationen befördert werden, wofür eine besondere Rittgebühr erhoben wurde, die für VI Post 20 Kreuzer über die jeweilige Extrapost-Taxe betrug. Der Postillon hatte dabei ein Trinkgeld zu beanspruchen, und zwar 21/2 Kreuzer für jede 98 Post. Für den gewöhnlichen und Extrapostdienst hatte der Posthalter die erforderliche Anzahl diensttauglicher Pferde und viersitziger, ganz gedeckter Chaisen, sowie eine Estaffette-Tasche in gutem Zustand zu unterhalten und so oft wie nötig für schnellste Herbeischaffung von Ausfüllpferden zu sorgen. Eine Kündigung des Postvertrages war beiderseits mit halbjähriger Frist zu Beginn eines Postquartals möglich.
Die Eisenbahn verkehrte zu jener Zeit zwischen Mannheim und Heidelberg; es war die erste Bahnstrecke Badens. Die Passagiere wurden durch die Fahrpost vom Postlokal in Schwetzingen zum Stationsgebäude in Friedrichsfeld auf die Anschlusszüge befördert. Für die übrigen im Vertrag genannten Distanzen war Schwetzingen Poststation, von der die Extrapost-Reisenden mit frischen Pferden zur nächsten Poststation gebracht wurden. Der Posthalter hatte mit voller Verantwortung und auf eigene Rechnung diesen Fahrpostdienst zu organisieren und zu versehen; er unterstand der jeweiligen Landespostdirektion. Die Hornsignale der Postillone bezeichnete schon von ferne die Zahl der benötigten Pferde oder Expresspferde für Estaffetten (Eilboten und Eilpost).
Erinnerungen an das Gasthaus "Zum Adler" in Schwetzingen
Johann Ihm war Seilermeister und hatte im Jahre 1842 das Gasthaus „Zum Adler“ in Schwetzingen erworben. Er war ein Sohn des in Brühl verstorbenen Elias Ihm, dessen Vorfahren vermutlich aus Tirol eingewandert waren. Johann Ihm war selbst Schwetzinger und sein Bruder Andreas bewirtschaftete hier den Gasthof „Zum goldenen Bock“, den heutigen „Zähringer“ an der Ecke Carl-Theodor- und Herzogstraße. Seitdem ist sich der „Adler“ in Familienbesitz und wurde immer vom Eigentümer bewirtschaftet.
Ein künstlerisch wertvolles Wachsrelief des Posthalters aus dem Jahre 1855 befindet sich ebenso noch im Hause wie die Postverträge und die Militärpapiere des Genannten. Der vergilbte Kapitulationsschein aus dem Jahr 1813 ist vom „Obrist-Commandeur“ des Großh. Bad. Linien-Regiments v. Stockhorn Nr. 1 unterschrieben, und in der Entlassungsurkunde vom 7. Februar 1819 wird dem Joh. Andreas Ihm aus Schwetzingen im Neckarkreis, 28 Jahre alt, bestätigt, dass er bei der 2. Grenadier-Kompanie des Regiments „fünf Jahre und elf Monate treu und redlich gedient“ hat.
Im Hause waren lange noch Fensterscheiben mit eingeritzten Erinnerungen und Namenszügen aus den Jahren 1832, die wahrscheinlich von Heidelberger Studentenbesuchen herrühren. Im Jahr 1883 hat auch ein Bruder des damaligen Besitzers seinen Abschied vor der Auswanderung nach Amerika darauf dokumentiert – ein anschauliches Stück Familiengeschichte.
Als das Schwetzinger Gasthaus "Zum Adler" mit einem Anbau verlängert wurde
In der Folgezeit wurde das Gasthaus „Zum Adler“ durch den Nachfolger Ernst Ihm 1890 mit einem Anbau bis an die frühere Pferdeschwemme verlängert. Vor der Posthalterei war damals der Leimbach offen, ein beliebter Tummelplatz der Jugend. Längst ist dieser Teil als Platz überbrückt (Pigage-Platz). Die Poststallungen befanden sich im sogenannten Prinzenstall und waren neben der Schwemme zugänglich.
In den 1880er und 1890er Jahren erlebte Schwetzingen die Blütezeit des Hopfenbaues und war Mittelpunkt des Hopfenhandels, der damals im „Adler“ abgewickelt wurde. Dann setzte der verstärkte Anbau des Spargels ein und mit dem Aufblühen der Industrie um Mannheim wurde Schwetzingen zum bevorzugten Ausflugsziel der Großstädter; die Spargelgäste kamen von weither und trafen sich auch gern im „Adler“.
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