Region. Von der Politik nicht anerkannt und unterstützt: So fühlen sich einige Ballettschulen in unserer Region. Seit einem halben Jahr hangeln sie sich von einer neuen Verordnung zur nächsten – ohne Licht am Ende des Tunnels.
Barbara Benkeser-Hammerton ist aufgewühlt. Seit Monaten trainiert sie die Kinder und Jugendlichen von ihrer Schwetzinger Ballettschule nur noch online. „Vom Kultusministerium bekommen wir keine Unterstützung. Wir werden totgeschwiegen und überhaupt nicht wertgeschätzt“, sagt sie wütend. Sie habe den Abgeordneten schon Briefe geschrieben, passiert ist bislang nichts. „Wir fühlen uns im Stich gelassen“, bringt sie es auf den Punkt. Besonders schlimm sei die Perspektivlosigkeit. „Wir hatten im vergangenen Jahr ein Hygienekonzept und das hat sehr gut funktioniert. Zumindest würden wir die Vorgaben mindestens genauso gut umsetzen wie die Kindergärten und Schulen – zumal die Kinder zu uns nur einmal in der Woche für eine Stunde kommen“, erklärt sie.
Ablenkung programmiert
Das sogenannte Homeschooling – also das Training per Videochat vor dem eigenen Rechner – sei wenigstens eine Möglichkeit, um mit den Kindern und Eltern in Kontakt zu treten. „Bei den Teilnehmern ab zehn Jahren ist das auch gut, aber im Grundschul- und Kindergartenalter hakt es. Es ist schwierig, sie zu motivieren, außerdem lassen sie sich leichter ablenken.“ Da sei auch die Unterstützung der Eltern oder Großeltern wichtig – „trotzdem erreichen wir nicht alle, weil viele Eltern einfach am Limit sind“. Von einer Mutter habe sie sehr ehrliche Worte gehört: „,Frau Benkeser, sie will nicht vor dem Laptop tanzen und ich kann nicht mehr. Wir sitzen Tag und Nacht aufeinander, ich werde noch irre‘ – solche Einblicke bekomme ich mitgeteilt“, sagt Benkeser betrübt. Sie habe sehr viel Verständnis für die aktuelle Situation der Familien. Trotzdem appelliert sie an die Eltern: „Wir wissen, wie es euch geht, aber bitte versucht es. Wenn die Kinder dabei sind, dann platzen sie vor stolz, was sie alles können.“ Natürlich sei es viel schöner, diese Fortschritte im Ballettsaal zu sehen. „Ich vermisse diesen Kontakt sehr, deshalb versuche ich, uns die Freude am Tanzen, der Bewegung und der Musik so am Leben zu erhalten. Und ich bekomme von den Kindern so viel zurück. Die sind so lustig und neugierig – wenn es geht, mache ich das auch noch mit 80 Jahren“, sagt die 60-Jährige.
Von der Politik wünsche sie sich, dass die Probleme erst genommen und die pädagogische Arbeit angenommen werden. „Ich denke, ein harter Lockdown zusätzlich zur Impfstrategie würde uns helfen – und uns dann eine klare Perspektive zeigen. Wir müssen sehen: Aha, es geht weiter. Vielleicht dann auch nur mit sechs Schülern in einem Raum mit den Hygieneregeln. Bisher haben wir alles hinbekommen“, erklärt Benkeser-Hammerton.
Ich bin ein unverbesserlicher Optimist, „aber uns läuft jetzt einfach die Zeit davon“. Diese Sorge teilen auch andere Ballettlehrerinnen mit ihr. „Bei allen Telefonaten habe ich mich in den Arm genommen gefühlt“, beschreibt sie den Zusammenhalt, bei deren Erinnerung ihr auch etwas die Stimme bricht. Sie sehe die anderen nicht als Konkurrenz – „es gibt auch 400 Bäcker, wir können auf jeden Fall nebeneinander existieren und das Gespräch war sehr trostreich“.
Gerda Eder hat manche Kinder aus ihrer Ballettschule in Brühl seit November nicht mehr gesehen. „Es ist sehr schwierig, weil man kein Gefühl mehr für sie hat, besonders, wenn sich die Eltern nicht melden“, erklärt sie die momentane Situation. Für einige Familien sei es auch nicht so einfach möglich, beim Online-Unterricht mitzumachen. Der Platz fehlt, die technischen Voraussetzung sind nicht da oder die Internetverbindung ist nicht stabil genug. „Wir geben unser Bestes und denken an alle Familien, die wir mit den Onlinestunden nicht unterstützen können“, sagt sie. Eder bekomme viele freundliche und aufmunternde E-Mails zugeschickt, „aber sechs Monate sind einfach eine verdammt lange Zeit. Meine Befürchtung ist, dass es im Mai noch genauso aussehen wird. Die Kündigungen nehmen zu und es kommen auch keine neuen Kinder dazu“. Sie hoffe jeden Monat, dass es eine Perspektive gibt – ein klares Enddatum. „Ich verstehe alle Regelungen und das hat vergangenen Sommer auch bei uns super funktioniert. Niemand hat sich beschwert, auch die Kinder nicht. Sogar die Dreijährigen haben verstanden, dass die Eltern nicht mit in den Saal kommen dürfen“, erklärt Eder. Ein Kind brauche Bewegung, ist sie sich sicher – auch für ihre Gesundheit, „deshalb werden ich mit dem Online-Unterricht auch weitermachen und hoffen, dass ich die Kinder ganz bald wieder im Ballettstudio willkommen heißen darf. Abstandsmarkierungen sind auf dem Boden schon vorhanden“.
Nicht nur Unterhaltung
Auf Nachfrage beim Kultusministerium schreibt Pressesprecher Benedikt Reinhard: „Im Zuge der aktuellen Notbremse des Bundes können Ballettschulen ihre Bildungsangebote leider nicht wie gewohnt anbieten. Das Kultusministerium hat die Interessen der Ballettschulen natürlich im Blick. Deswegen hatte sich Kultusministerin Dr. Susanne Eisenmann dafür eingesetzt, dass die Ballettschulen von der Landesregierung anders bewertet werden als reine Unterhaltungsangebote.“
Das sei im vergangenen Jahr gelungen und die Einstufung der Ballettschulen als künstlerische Schulen mit einem Bildungsangebot sei von den Ballettschulen sehr positiv aufgenommen worden. „Das Kultusministerium hat sich in der Vergangenheit mit Nachdruck innerhalb der Landesregierung dafür eingesetzt, die Ballettschulen bei Öffnungsschritten zu berücksichtigen und wird auch zukünftig alle Möglichkeiten ausloten, um zu den mit der Infektionslage vereinbarten Öffnungsschritten zu gelangen“, schreibt Reinhard. Das Kultusministerium werde eine Öffnungsperspektive für die Ballettschulen weiterverfolgen und sich bei zukünftigen Öffnungen dafür einsetzen, dass die Ballettschulen entsprechend berücksichtigt werden, erklärt das Ministerium abschließend.
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