Rokokotheater

Benediktinermönch Pater Anselm Grün bei Talk im Schloss in Schwetzingen

Der bekannte Benediktinermönch gibt in Schwetzingen Denkanstöße und erklärt, warum Rituale uns zu mehr Gelassenheit und somit mehr Freiheit verhelfen können.

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Katja Bauroth
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SZ-Chefredakteur Jürgen Gruler (v. l.) , Pater Anselm Grün und Till Meßmer Vorstandssprecher der VR Bank Kur- und Rheinpfalz im Abschlussgespräch auf der Bühne. © R LACKNER

Schwetzingen. Es war ein nachdenklicher Abend im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses. Einer, der Besuchern Impulse, Kraft und vor allem Hoffnung mitgab. Manch Gast konnte möglicherweise auch nicht so recht etwas mit dem Gesehenen und Gehörtem anfangen. Und doch war dieser 16. Talk im Schloss etwas Besonderes.

Die Stadtwerke mit ihrer Geschäftsführerin Martina Braun, die VR Bank Kur- und Rheinpfalz mit Vorstandssprecher Till Meßmer und die Schwetzinger Zeitung mit Chefredakteur Jürgen Gruler hatten mit dem Team der Agentur Nassner & Geiss aus Schwetzingen im Hintergrund den Puls der Zeit getroffen. Nicht laut, nicht schillernder Lifestyle, sondern innehaltend und gedankenvoll. Es gab eine atemberaubende und zum Abend treffend gewählte Performance zum Auftakt, gefolgt von einem Vortrag, der mit einem kurzen Interviewformat schloss. Mit Pater Anselm Grün war, wenn man so möchte, der „Rockstar“ unter den Geistlichen eingeladen, der selbst Papst Franziskus zu seinen Fans zählen darf.

Schwetzingen

Schwetzingen: Talk im Schloss 2023 mit Pater Anselm Grün

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Von den Sympathisanten – ausgenommen der Papst – waren viele ins Rokokotheater gekommen. Bevor der Benediktinermönch und Bestsellerautor vornehmlich spiritueller Literatur (er hat über 300 Bücher geschrieben) die Bühne betrat, zog die Fingerfertigkeit von Hanna Besson die fast 500 Augenpaare im Saal auf sich. Besson ist Sandartistin und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ihrem Schaffen eine Magie innewohnt. Die gebürtige Ukrainerin, die ihre Karriere in einer kleinen russischen Stadt nahe des Baikalsees startete, hatte 2019 sogar eine Einladung in die US-Fernsehshow „America’s Got Talent“ (vergleichbar mit „Das Supertalent“ in Deutschland). Wegen der Pandemie fiel der Auftritt dann flach. Mittlerweile lebt sie auf der Insel Rügen an der Ostsee.

Sandartistin Hanna Besson faszinierte mit einer magischen und ergreifenden Performance. © R LACKNER

Pater Anselm Grün in Schwetzingen: In der Sanduhr des Seins

Im Rokokotheater kreierte Hanna Besson passend zum Thema des Abends „Im Wandel dem Leben vertrauen – Herausforderungen als Weg zu neuer Lebendigkeit“ den Zyklus des Seins auf vielfältige Weise. Dafür streute sie immer wieder Sand auf einen angeleuchteten Spezialtisch und malte mit ihren Fingern gezielte Striche, aus denen Kunstwerke entwuchsen. Eine Kamera übertrug das Ganze auf die große Leinwand, sodass das Publikum gebannt verfolgen konnte, wie sich die Bilder wandelten. Hanna Besson erzählte vom Baum des Lebens ausgehend die Kreisläufe, die uns allen gegenwärtig sind – angefangen von den Jahreszeiten über das Geborenwerden bis hin zum Sterben. Für die Szenen nutzte sie die Kulisse des Schlossgartens, ließ detailverliebt Apollotempel, Moschee, Schlosskulisse und schließlich das Rokokotheater entstehen.

Untermalt mit ergreifender Musik und passender Geräuschatmosphäre zu den Szenen wie Vogelzwitschern und einem weinenden Baby kullerten bei der grandiosen, jedoch etwas zu lang geratenen 25-Minuten-Vorführung Tränen über die ein oder andere Wange.

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Donnernder Applaus begleitete die elfengleiche Sandmalerin von der Bühne und Pater Anselm Grün ans Rednerpult. In seiner braunen Kutte, dem weißen schütteren Haar und dem Rauschebart griff er die Wandlung der Sandkunst auf und nahm die Zuhörer mit auf eine inspirierende Reise zum eigenen Ich.

„Das, was sich ändert, lehne ich ab“, machte er deutlich, warum der Wortlaut „sich verändern wollen“ eigentlich besser lauten sollte „sich wandeln wollen“ – angelehnt an die christliche Tradition. Pater Anselm sagt: „Das Ziel der Veränderung heißt: Ich bin ein anderer. Das Ziel der Wandlung ist, ich selbst zu werden.“ Das verschaffe mehr Freiheit und mehr Gelassenheit.

Pater Anselm Grün in Schwetzingen: Verstehen statt bewerten

Daher sei dem Theologen und studierten Betriebswirt der Begriff „Changemanagement“ aus der Wirtschaft, der in Unternehmen mit einer Chancen- und damit Gewinnoptimierung einhergeht, suspekt. Bei derartigen Projekten gäbe es zwei Feinde: das vorschriftsmäßige Verhalten, welches einen starr und damit nicht wandelbar werden lässt, sowie das bestehende erfolgreiche Leben, welches eine Wandlung infrage stellt. Anders ausgedrückt: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, Veränderungen machen ihm Angst. Als Führungskräftetrainer und Referent habe er schon viele Menschen erlebt, die unter dem Druck stehen – gesellschaftlich erzwungen oder selbst aufoktroyiert – sich darstellen zu müssen: „Ich gebe Menschen dann einen Tag lang den Auftrag, sich zu besinnen und zu sagen: Ich bin ich selbst.“

Das Publikum im Rokokotheater erlebt einen beeindruckenden und inspirierenden Abend. © R LACKNER

Pater Anselm Grün sprach frei, mit Blickkontakt zum Publikum, und baute immer wieder Beispiele von Begegnungen sowie aus seiner Lebenserfahrung ein. Zuhören sei wichtig, „den Menschen zu hören, ihn verstehen statt ihn zu bewerten“, bekräftigte er: „Zu schnell stülpen wir die eigene Vorstellung von etwas oder jemanden dem anderen über. Und wenn dieser sie nicht erfüllt, sind wir enttäuscht, beleidigt oder gar erzürnt.“ Daher sei das Hinhören und Verstehen so wichtig – bei Alltagsthemen genauso wie beim Weltgeschehen, etwa Kriegen oder dem Klimawandel. Das gelte auch für die Bundesregierung. „Hören, interessiert Fragen stellen – ohne zu bewerten – und würdevoll zu antworten, indem man den Menschen auch anschaut“, nannte er drei wichtige Dinge für ein Gespräch.

Pater Anselm Grün ist emotional im Vortrag. © R LACKNER

Und: „Rechthaberei führt immer zu Spaltung.“ Überhaupt werde zu wenig gefragt, es werde geredet („Gerede“), zu wenig gesprochen. Er verdeutlichte seine Gedanken mit der Herleitung des Wortes Frage, welches aus der Wortfamilie Furche komme. Furchen bedeutet aufreißen, wühlen – sprich: etwas für Neues vorbereiten. Mit der gewählten Antwort sei das ein guter Weg zum Wandel.

Pater Anselm Grün bei Talk im Schloss in Schwetzingen: Jeder gräbt eine Lebensspur

Die Gesellschaft wandle sich genauso wie der Einzelne, „nicht immer zum Positiven, doch auch durch die Krisen hoffen wir, dass am Ende etwas Positives steht“, sagt Pater Anselm. Bei der Wandlung helfe, die Gefühle, die einen beschäftigen, auszusprechen. Er erzählte von dem Schulleiter im Ruhestand, der plötzlich mit der Gattin tagein tagaus aufeinander gluckte und diese auch – zum Beispiel beim Kochen – belehren wollte. Das ging natürlich nicht gut, es kam zu Streit. Das Paar musste gemeinsam eine neue Nähe und Distanz herstellen, die es während seines Berufslebens eben anders kannte („Für ihn war dann vormittags die Küche tabu“).

Oder die 82-jährige Frau, die erkannte, nicht gelebt zu haben, weil sie stets nur das gemacht hatte, was andere ihr vorschrieben. „Hier hilft es nicht, dem Versäumten nachzutrauern, man kann es nur betrauern. Wichtig ist, welche Lebensspur man jetzt eingraben möchte. Lebensspuren prägen die Welt und jeder von uns gibt eine Spur ein“, ermutigte Pater Anselm Grün zur Wandlung: „Verwandlung hat viel mit Hoffnung zu tun.“

Pater Anselm Grün bei Talk im Schloss in Schwetzingen: Segen als Hilfestellung

Rituale würden dabei helfen, „sie geben ein neues Bild, mit dem ich in den Tag gehe. Rituale geben Wurzeln. Sie schließen eine Tür und öffnen eine andere.“ Einen Segen auszusprechen sei zum Beispiel ein solches Ritual. Der Geistliche gab Beispiele mit, etwa das der Lehrerin, die morgens mit Blick auf die anstrengenden Kinder schon genervt zur Schule geht. Spricht sie einen Segen aus, gibt dieser ihr mehr Gelassenheit und Kraft für den Tag. Die Schüler seien dann zwar noch immer anstrengend, doch sie gehe mit einer positiven Grundstimmung an die Arbeit, die wiederum Positives im Umfeld auslöst, frei nach der Devise: Lächle und die Welt verändert sich.

Die Gastgebenden: Jürgen Gruler (v. l.) von der Schwetzinger Zeitung, Martina Braun von den Stadtwerken und Till Meßmer von der der VR Bank Kur- und Rheinpfalz. © R LACKNER

Zu einem Ritual gehöre auch, selber zu leben, statt gelebt zu werden, sprich, einen inneren Raum zu finden, in den man sich zurückziehen und Energie tanken könne. Viele hätten Angst vor einer inneren Leere. Doch: „Die darf auch sein“, so Pater Anselm Grün und ergänzt: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“

Wahrheit, offene Worte – die findet Pater Anselm auch auf konkrete Fragen, die Leser dieser Zeitung dem Moderatorentandem Meßmer/Gruler mitgegeben haben. Eine davon – begleitet von einem Raunen im Saal – lautete: Wie kann die katholische Kirche aus ihrer offensichtlichen Sinnkrise herauskommen und welche Rolle spielt die mangelnde Veränderungsbereitschaft der katholischen Kirche hierbei?

Pater Anselm Grün: „Auf der einen Seite leide ich natürlich an der Situation der Kirche, dass sie auch teilweise gespalten und nicht immer verbunden ist. In manchen Gemeinden sprechen die Konservativen und die Progressiven nicht mehr miteinander. Wichtig ist, auch hier auf die Erfahrung zu schauen: Was ist die Angst und die Erfahrung des Konservativen, was die des Liberalen? Und auch nicht sofort bewerten, was ist gut, was ist schlecht. Ich merke eine große Sehnsucht der Menschen nach Spiritualität. Der größte Fehler der Kirche war sicher, dass sie ständig moralisiert hat, den Menschen das Gefühl gegeben hat, sie seien Sünder, sie seien schlecht. Das ist der falsche Ansatz. Die Botschaft ist, dass wir Söhne und Töchter Gottes sind – geliebt und bedingungslos angenommen. Für mich hat die Kirche die ganz wichtige Funktion, Verbundenheit zu schaffen, gerade jetzt in dieser zerrissenen Gesellschaft – Verbundenheit zwischen den Kulturen und den verschiedenen Gruppierungen. Und natürlich ein Ort der spirituellen Erfahrung zu bieten: Statt zu moralisieren, ist es wichtig, Menschen mit einer Spiritualität in eine Erfahrung zu führen – nach Sinnhaftigkeit, Lebendigkeit und Freiheit – und nicht von oben herab was überstülpen.“

Gabriele Peschke aus Schwetzingen lässt sich ein Buch vom Pater signieren. © R LACKNER

Eine andere Frage beschäftigt eine Leserin, die im engen Kontakt mit den drei Waisenkindern steht, deren Eltern bei einem Autounfall Mitte Oktober starben: Wie kann bei so viel Leid das Bild des liebenden Gottes standhalten?

„In solchen Situationen bricht verständlicherweise das Bild des liebenden Vaters, aber nicht der Glaube an Gott. Liebe ist stärker als der Tod“, sagt Pater Anselm, der Verständnis für die Rebellion der Betroffenen gegen Gott in einem solchen Schicksal zeigte. Letztlich ist das richtig, was guttut und hilft, mit der Situation umzugehen.

Es sind tragende Worte, die der Mönch und frühere Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach den Zuhörern beim Talk im Schloss mitgibt. Worte, die er zum Beispiel auch schon vor 1000 Polizeibeamten ausgesprochen hat und vor Mitarbeitenden des Bundesarbeitsministeriums. Es sind Worte der Hoffnung und „Hoffnung gibt Energie“ (Pater Anselm).

Pater Anselm Grün bei Talk im Schloss in Schwetzingen: Das Leben neu ausrichten

der Buchverkauf im Foyer läuft klasse © R LACKNER

Diese Energie überträgt sich an dem Abend auf viele begeisterte Gäste. Regina Zankl, die mit Betreuerinnen des Edith-Stein-Kinderhauses Schwetzingen die Veranstaltung besuchte, fühlte sich inspiriert. Birgit Ziegler aus Oftersheim nahm, wie ihre Schwester Carola Merkle, viele Denkanstöße mit, um das Leben neu auszurichten. Mit Pater Anselms Büchern, die die Buchhandlung Kieser im Foyer anbot und die der Pater gern signierte, wollten viele diese Denkanstöße zu Hause noch vertiefen.

Apropos zu Hause: Man möchte kaum glauben, dass Pater Anselm Grün – stolze 78 Jahre alt – an diesem Veranstaltungstag aus Italien anreiste. Morgens um 4 Uhr war er in Bologna gestartet, wo er vor Menschen mit Behinderung einen Vortrag gehalten hatte. Über Budapest und München ging’s kurz in die Abtei und dann fuhr er selbst (!) mit dem Auto nach Schwetzingen – und nach der Veranstaltung auch gleich wieder zurück. Daher sei ihm verziehen, dass vielleicht hier und da im Vortrag der rote Faden etwas zerzauselt schien. Andere wären vermutlich bei einem solch straffen Tagesprogramm in ihrer Work-Life-Balance komplett zerrüttet gewesen – auf Wochen hin.

Zur Person: Pater Anselm Grün

  • Pater Anselm Grün (bürgerlicher Name Wilhelm „Willi“ Grün) mit ist einer der berühmtesten Benediktinermönche der Welt und in der Benediktinerabtei Münsterschwarzach. Sein Name basiert auf Anselm von Canterbury (1033 – 1109), einem bedeutenden Theologen und Philosophen seines Ordens.
  • Er lebt sehr diszipliniert, steht morgens um 4.30 Uhr auf und geht zur Morgenandacht. Es gibt zwei feste Tage, an denen er zwischen 6 und 8 Uhr morgens schreibt. Mehr als 300 Bücher und Broschüren hat Pater Anselm Grün bislang veröffentlich. Mehr als 20 Millionen Exemplare sollen davon schon verkauft worden sein.
  • Pater Anselm Grün ist ein gefragter Referent und Führungskräftetrainer, bis zu eineinhalb Jahre Vorlaufzeit haben seine Vorträge aktuell (laut www.abtei-muensterschwarzach.de). Am 14. Januar 2024 feiert Pater Anselm Grün seinen 79 Jahre. 

Aber, das haben wir ja an dem Abend gelernt: Wir sollen nicht bewerten, sondern zuhören und verstehen. Und wer das im Rokokotheater tat, hat einen nachdenklichen Abend erlebt. Einen, der Positives ausstrahlte und allen Besuchern etwas Hoffnung mitgab.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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