Musik

Bizarre Hörerfahrung: Minguet Quartett spielt bei Mozartfest in Schwetzingen

Das Minguet Quartett zeigt beim Mozartfest in Schwetzingen eine eigene Interpretation von „Dissonanzen-Quartett“ in C-Dur.

Von 
Uwe Rauschelbach
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Das Minguet Quartett spielt im Jagdsaal des Schwetzinger Schlosses. Zu hören ist die Uraufführung "im flackernden Kerzenschein" von Komponistin Alexandra Filonenko. © Dorothea Lenhardt

Schwetzingen. Welche divergierenden Ansätze es gibt, Musik von Mozart zu interpretieren, lässt sich beim Mozartfest in Schwetzingen dank der unterschiedlichen Kammerensembles studieren, die einen jeweils eigenen, profilierten Spielstil vertreten. Wie zum Beispiel das Minguet Quartett, das mit Mozarts „Dissonanzen-Quartett“ in C-Dur natürlich auch ein Werk vor sich hat, das aus sich heraus zu unkonventionellen Herangehensweisen berechtigt. Bricht es dank seiner harmonischen Häresien doch selbst mit konsensualen Verbindlichkeiten. Der Komponist – ein Provokateur.

Schon die auf- und absteigenden chromatischen Skalen zu Beginn zeigen an: Hier äußert sich kein galanter, gefälliger Mozart, sondern es artikuliert sich ein kritisches Bewusstsein von der historischen Bedingtheit des kompositorischen Materials und damit der Vergänglichkeit dessen, was Kunst für einen gewissen Zeitpunkt zu verewigen trachtet. Entsprechend verhangen ist, der Grundtonart zum Trotz, die Stimmung.

Doch Mozart wäre nicht Mozart, wenn sein sanguinisches Temperament nicht doch zum Aufbruch drängte, und das Minguet Quartett widmet sich diesen lichten Momenten mit gelöster Bereitschaft. Das Ensemble erfreut mit einem vollen, runden, körperhaften Ensembleklang, der sehr entschlossen und geradlinig auch durch die dichter geflochtenen Passagen des Kopfsatzes führt.

Verschiedene Stimmungen werden in Schwetzingen heraufbeschwört

Im Andante lässt sich ein für Mozart üppiges, vibratoreiches Spiel attestieren, wie auch eine klar gestaffelte, sich in eine hierarchisch festgelegte Ordnung fügende Stimmenverteilung. Freilich legt sich die ursprüngliche wehe Stimmung wie früher Herbstnebel über eine melodiös ausstaffierte Landschaft, während das Minguet Quartett diesen Mozart schon deutlich in Richtung romantische Gefilde marschieren lässt. Dafür bürgt das griffige, geradezu süffig-klangtrunkene Spiel, das sich diesbezüglich keinerlei Askese auferlegt, wie sie in der Regel bevorzugt wird, um die frühklassische Verortung Mozarts zu manifestieren.

Das Finale schnurrt jedoch reichlich unbesorgt dahin, wenngleich die Streicher jene dramatischen Kontraste scharf herausmeißeln, wohl um den Abstand zu Brahms im weiteren Programm zu verringern. Die Minguets spielen die Finalwirkungen weidlich aus, als würde das Stück an einem Faden vorwärtsgezogen. Das hat etwas Unwiderrufliches, während Mozarts Menuett aus der „Gran Partita“ in der Zugabe, für ein Streichquintett mit Klarinette bearbeitet von Benjamin Helmer, dann doch noch einmal den heiteren, unbesorgten Mozart ins Rampenlicht stellt.

Komponistin Alexandra Filonenko spricht vor der Uraufführung von "im flackernden Kerzenschein". © Dorothea Lenhardt

Zuvor jedoch: das Stück „im flackernden Kerzenschein“ der litauischen Komponistin Alexandra Filonenko, das bei dieser Gelegenheit seine Uraufführung erlebt. Der Künstlerische Leiter des Mozartfestes, Nikolaus Friedrich, wirkt als Klarinettist aktiv mit. Auf der Bühne ist eine Art Klanginstallation zu erleben. Neben der Ton- und Geräuschproduktion werden auch mimetische Schreibvorgänge inszeniert, die musikalische mit literarischen künstlerischen Prozessen und diese, dank der zahlreichen Zitate, wiederum mit dem Geist Mozarts verknüpft.

Es ist ein aufgeregtes, von heftigen Bewegungsimpulsen durchzucktes Stück, das von den Streichern auch ungewöhnliche Spieltechniken zur Tonerzeugung verlangt: Pizzicati, Col legno, Flageolett und das Zupfen der Saiten unterhalb des Stegs sorgen für teilweise bizarre Hörerfahrungen. Dazwischen Mozart-Splitter, die sich ein wenig wie tonale Oasen ausnehmen. Cellist Matthias Diener dreht an einer kleinen Spieluhr, die Assoziationen an Mozarts Kompositionen für eine Flötenuhr wecken. Herzlicher Applaus für die Komponistin, die sich von dieser Uraufführung ebenfalls sehr angetan zeigt.

Minguet Quartett spielt auch Johannes Brahms in Schwetzingen

Johannes Brahms scheint die Spielästhetik des Minguet Quartetts wie angegossen zu passen. Das archaische Beben in dieser Musik in Verbindung mit den herben Lyrismen spannt den ersten Satz bis zum Zerreißen an, während die kantige Bogenführung in Bratsche (Aida-Carmen Soanea) und Cello dem tiefen Grummeln Ausdruck verleiht. Freilich hätten beide Instrumente plastischer hervortreten können, während vor allem erster Geiger Ulrich Isfort und Annette Reisinger (Violine) das Spiel doch sehr dominieren.

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Ein wenig schade, denn Brahms‘ Leidenschaft für das Dunkle, Tiefe, Untergründige wollte man in seinem Streichquartett c-Moll etwas plastischer und drängender vernommen haben. Dafür spricht die robuste Volkstümlichkeit, die der Komponist zwischendurch einstreut, dank der zu allem entschlossenen Streicher unmittelbar an, bietet sie doch zu dem um sich selbst zu kreisen scheinenden Thema mit seinen wehen Seufzerfiguren eine willkommene Abwechslung.

Der unerbittlichen Strenge des vierten Satzes nimmt das Minguet Quartett nicht das Mindeste an Schärfe. Auch das Lyrische erscheint ohne jede Spur einer nostalgischen Verklärung und stattdessen in einer wie unter grelles Neonlicht gezerrten Kompromisslosigkeit. Der poetische Gedanke droht vor allem im lodernd-ekstatischen Spiel der ersten Geige zu verglühen. Hier geht es scheinbar ums Ganze; und Mozart ist in diesem Moment dann doch ziemlich weit weg.

Freier Autor

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