Neu am Theater am Puls in Schwetzingen

Coming out eines Winzers oder von der Toleranz fürs Anderssein

Das neue Stück „Brigitte Bordeaux“ am Theater am Puls in Schwetzingen greift das Thema Coming out auf und hält durch brillante Darsteller der Gesellschaft einmal mehr einen Spiegel vor.

Von 
Sabine Zeuner
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Herbert (Uwe von Grumbkow, l.) möchte eine Frau sein und am liebsten eine Weinkönigin. © Böhm/TaP

„Ich wähle gerne Themen, die polarisieren“, erklärt Sergej Gößner am Premierenabend nach gelungener Aufführung von „Brigitte Bordeaux“ im Theater am Puls in Schwetzingen. Mit dem Verwirrspiel um einen gestandenen Mann (Uwe von Grumbkow), der plötzlich Frau sein will, seine völlig entspannte Gattin (Susanne von Grumbkow), den entsetzlich überraschten Sohn (Denis Bode) mit hektisch schriller Freundin (Sina Große-Beck) bleibt er dem Tenor „polarisieren“ äußerst treu.

Denn im beschaulichen Winzerörtchen herrscht schon im normalen Alltag mehr Schein als Sein: Zwei Klatschweiber (Michelle Brubach, Sina Große-Beck) outen sich als tolerant gegenüber Skurrilem, das nicht in ihrem Heimatort passiert – aber vor der eigenen Haustür, in der direkten Nachbarschaft – geht das überhaupt nicht. Wie soll man denn das den Kindern erklären? „Das“, das ist die erstaunliche Wandlung des versierten und erfolgreichen Winzers Herbert Tewes, der von jetzt auf nachher eine Frau sein möchte. Mit Perücke und feinem Kleid macht er eine nette Figur. Als Brigitte greift er gar nach der Krone der Weinprinzessin. Damit mischt er die ganze Scheinmoral aller Beteiligten ordentlich auf.

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Schwetzingen: Brigitte Bordeaux am Theater am Puls

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Gattin Monika reagiert erstaunlich entspannt, hat sogar Verständnis für Herbert: „Wenn er als Brigitte glücklich ist?“, sagt sie und nimmt Brigitte in den Arm. Verliebt habe sie sich in den Mann Herbert, aber die Frau Brigitte könne ja gute Freundin sein. Ihre Mimik allerdings spricht, dass sie noch nicht ganz im Reinen ist mit dem Geschlechtertausch. Kurz blitzt verbal der zweite Sohn auf – er soll am Ende noch die zentrale Rolle spielen. War er doch im Alter von 18 Jahren aus dem Ort weggezogen, die Verbindung zur Familie liegt eher brach, aus gutem Grund, wie das Ende des Stücks offenbart.

Herbert (Uwe von Grumbkow, 3. v. l.) möchte eine Frau sein und am liebsten eine Weinkönigin. Seine Frau (Susanne von Grumbkow , v. l.) nimmt’s gelassen, das Klatschweib (Michelle Brubach) ist entrüstet, Sohn (Denis Bode) und dessen Freundin (Sina Große-Beck) ebenso. © Böhm/TaP

Doch zuerst die turbulente Geschichte: Herbert taucht in der Küche des Weingutes auf – in Frauenkleidern – und gesteht seiner Frau, dass auch er jetzt Frau sein will. Die Angesprochene schält Kartoffeln und reagiert unerwartet. Ein Blick auf ihren Gatten verrät ihr, dass der es ernst meint; sie ist seltsam berührt und still.

Empörung und Hetze keimen auf

Der gemeinsame Sohn tritt auf, spottet des Vaters „Verkleidung“ als Faschingsoutfit ab, gefolgt von seiner schrillen Freundin, die recht schnell Alltägliches Geplauder anstrebt, um der peinlichen Situation zu entfliehen, deren Kern sie wohl intuitiv erfasst. Keiner weiß so recht zu benennen, wie das heißt, was Papa da gerade tut. Und wieder greift das allumfassende Dorfidyll Raum, als zwei Gutbürgerinnen miteinander plaudern, denn die Nachricht über das Coming-out von Herbert Tewes verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Entrüstung, Empörung und echte Hetze wird verbreitet – wie schnell sind doch Gerüchte gesät.

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Gelassen nimmt Brigitte das Tohuwabohu um sich herum wahr, liest die Briefe seiner ehemaligen Kumpane aus dem Winzerverband und dem Chor, die sie irgendwie nicht für voll nehmen, mit Ausschluss drohen und den auch durchziehen wollen. Den Mitwinzern kauft Brigitte den Schneid ab, denn als einzige Bewerberin mit tatsächlichem Sachverstand für die Wahl der Weinprinzessin schafft sie es gar auf den Thron, erhält im dekolletierten roten Kleid die Krone und bricht sichtlich ergriffen ihr Schweigen.

Sehnsucht nach Sohn

Ganz langsam entwirrt sich der gordische Inhaltsknoten, der durchaus seine Lacher, aber auch den Blick hinter die Kulisse verdient hat – dort brodelt es nämlich ordentlich. Herbert, Vater zweier Söhne, vermisst seinen Erstgeborenen, der sich aus den Zwängen des Provinznests befreit hatte und in der Stadt, in der Anonymität und mehr Toleranz für das Anderssein, sein Glück suchte. Dieses Anderssein hatte Herbert damals bei der Trennung wohl angeprangert und nicht verstanden, den Sohn dadurch verloren. Nachdem er selbst die Erfahrungen der Häme, des Unverstandenseins und der Verstoßung ausgesetzt, die Gefühle seines Sprösslings nachvollziehen kann, bricht es unter Tränen aus ihm heraus: „Ich liebe dich, mein Sohn.“ Eine Stimme mit tiefem Timbre singt „Sie“, den Song, der sich wie ein roter Faden durchs Stück zieht, von der Frau handelt, deren Ur-Sinn die Verwandlung ist – gesungen von Brigitte Bordeaux, alias Dragqueen Audrey Naline, die zur Premiere im Publikum sitzt und im Stück auf den Glitzervohang projiziert wird.

Der Applaus will an diesem Abend schier nicht enden, die Schauspieler und das Team des Theaters am Puls kommen mehrfach zurück auf die Bühne – Daumen hoch für beste Unterhaltung mit Mehrwert.

Weitere Termine

  • Brigitte Bordeaux“ am Theater am Puls wird gezeigt am Sonntag, 24. April, 19 Uhr, Freitag, 13. Mai, 20 Uhr, Freitag, 27. Mai, 20 Uhr.
  • Karten (24 Euro, ermäßigt 18 Euro, Schüler bis zwölf Jahre 12 Euro) gibt es im SZ-Kundenforum, Carl-Theodor-Straße 12 in Schwetzingen und unter www.theater-am-puls.de

Freie Autorin freie Mitarbeiterin

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