„Geduldfäden zum Mitnehmen“

Der „Banksy von Schwetzingen“ möchte Menschen Mut machen

Inzwischen sollen sie in über 10.000 Haushalten in der Region hängen: Die „Geduldsfäden zum Mitnehmen“ vom „Bansky von Schwetzingen“.

Von 
Marco Montalbano
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Der „Banksy von Schwetzingen“ schenkt den Menschen seit Juni letzten Jahres Hoffnung und Mut mit seinen „Geduldsfäden zum Mitnehmen“. © Marco Montalbano

Schwetzingen. Geduld scheint heute Mangelware zu sein. Menschen, die an der Ampel ungeduldig hupen, wenn der Vordermann nicht sofort losfährt, oder wütend schnauben, sobald es an der Supermarktkasse etwas länger dauert, weil eine ältere Mitbürgerin mit schlechtem Sehvermögen oder zittrigen Händen Mühe hat, ihr Kleingeld zu finden – nur zwei Beispiele von vielen. Schicksalsschläge, Depressionen, finanzielle Sorgen oder andere Belastungen machen vielen das Leben schwer. Gerade sie könnten mehr Geduld und ermutigende Worte gebrauchen. Zum Glück gibt es Menschen, die genau das schenken. Unsere Zeitung traf einen von ihnen. Nennen wir ihn Alex (Name von der Redaktion geändert).

Wer von der Innenstadt kommend die Zähringerstraße entlang in Richtung Schlossgarten läuft, stößt unweit des St.-Thomas-Heims auf ein bunt bemaltes Holzbrett. Seit Juni 2024 hängt dort, an einem Drahtzaun, eine Tafel mit zwei Herzen und der Aufschrift „Geduldsfäden zum Mitnehmen“. Darunter befinden sich Löcher, aus denen bunte, gehäkelte Schnüre hängen – an ihnen kleine Schilder mit Sprüchen wie: „Am Anfang braucht man oft Mut, um am Ende glücklich zu sein.“

„Banksy von Schwetzingen“ zufällig getroffen

Der Verfasser dieses Artikels sah zufällig, wie ein älterer Herr das Brett neu bestückte. Auf die Frage, wer hinter der Aktion steckt, antwortete er mit einem Lächeln: „Nennen Sie mich einfach den ‚Banksy von Schwetzingen‘ – den kennt auch keiner.“ Er sei Therapeut und wolle den Menschen etwas Gutes tun. „Nicht, weil ich etwas wiedergutmachen müsste, sondern weil ich glaube, dass es mehr Hoffnung braucht. Seit der Corona-Zeit haben viele keine Geduld mehr“, erzählt er und bittet, nur Alex genannt zu werden.

Über 60 unterschiedliche Mutmach-Sprüche gibt es inzwischen, alle wetterfest laminiert. © Marco Montalbano

Die Idee zu den Geduldsfäden habe er aus einer Fortbildung mitgenommen. „Eine Kollegin hielt damals einen Faden in die Höhe und sagte: Das ist mein Geduldsfaden. Da dachte ich: Warum nicht etwas daraus machen?“ Zuerst habe er nur zehn Fäden aufgehängt, alle selbst gehäkelt. Doch schon bald seien daraus 30 geworden. „Gut 10.000 Sprüche wurden bislang mitgenommen. Die hängen jetzt in Wohnungen in der ganzen Region.“

„Geduldsfäden zum Mitnehmen“ werden akzeptiert

Alex beobachtet oft, wie Menschen stehen bleiben, lesen und lächeln. „Ein Mann hat sogar eine Vollbremsung hingelegt, um mir zu danken. Er brachte seiner Frau einen Spruch mit – der hängt jetzt am Kühlschrank.“ Auch bewegende Begegnungen habe es gegeben: Eine Frau mit zwei kleinen Töchtern habe weinend einen Spruch mitgenommen. Später stellte sich heraus, dass sie die Ehefrau des Lkw-Fahrers war, der im März in Ubstadt-Weiher tödlich verunglückte. „Sie sagte nur: Geduld können wir jetzt gut gebrauchen.“

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Besonders freut Alex, dass es keinen Vandalismus gibt. „Das Brett wird überall respektiert. Die Stadt lässt es hängen, obwohl es keine Genehmigung gibt. Das zeigt, dass die Menschen verstanden haben, worum es geht.“ Seinen echten Namen möchte er nicht nennen. Denn im Mittelpunkt, sagt er, stehen nicht er – sondern die Geduld.

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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