Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder zu Gast

Der Tierschutz vor Ort hat sehr gelitten

Thomas Schröder als Präsident des Deutschen Tierschutzbundes weiß um die Herausforderungen für Ehrenamtliche und Vereine vor Ort -  gerade auch während der Pandemie. An diesem Montag ist in Schwetzingen zu Gast. Wir sprachen vorab mit ihm.

Von 
Stefan Kern
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Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Er besucht den Tierschutzverein Schwetzingen und Umgebung. © Deutscher Tierschutzbund e. V.

Thomas Schröder ist Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Er ist gerade auf einer Tour zu den Tierheimen der Region. An diesem Montag besucht er den Tierschutzverein Schwetzingen und Umgebung. Wir sprachen im Vorfeld mit ihm über die aktuellen Herausforderungen.

Herr Schröder, hat sich der Bestand an Haustieren in der Corona-Zeit entwickelt und wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?

Hintergrund

  • Der Deutsche Tierschutzbund wurde im Jahre 1881 als Dachorganisation der Tierschutzvereine und Tierheime in Deutschland gegründet. Heute vertritt er mit 16 Landesverbänden, rund 740 örtlichen Tierschutzvereinen und 550 vereinseigenen Tierheimen die Interessen von rund 800 000 organisierten Tierschützern. 
  • Er tritt ein für den Schutz jedes einzelnen Tieres – im Umfeld einer lebenswerten Umwelt und Natur. Mit Aufklärungsarbeit und Kampagnen macht er auf Tierschutzprobleme aufmerksam und zeigt Lösungswege auf. Der Deutsche Tierschutzbund hält den Kontakt mit der Politik, um den Tierschutz voranzubringen und die rechtlichen Grundlagen für den Tierschutz zu verbessern.

Thomas Schröder: Allein im ersten Corona-Jahr 2020 ist die Zahl der in Deutschland gehaltenen Haustiere um knapp eine Million angestiegen. Es gab einen regelrechten Haustierboom und nicht jede Anschaffung war gut überlegt. Verstärkt seit dem vergangenen Sommer spüren die uns angeschlossen Tierheime die Folgen ganz akut: Im Zoofachhandel oder beim Züchter vorschnell gekaufte Tiere wurden wieder abgegeben. Auch der illegale Welpen-Handel über das Internet hat durch den Corona-bedingten Haustierboom einen Aufschwung erfahren und belastet die Tierheime zusätzlich. Denn die meist schwerkranken und schwachen Welpen aus dem illegalen Handel müssen versorgt und aufgepäppelt werden, viele schaffen es trotz aller Bemühungen der Tierschützer nicht.

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Vor welch finanziellen und praktischen Herausforderungen stehen Sie?

Schröder: Der praktische Tierschutz vor Ort hat in den zurückliegenden Jahren sehr gelitten. Schon vor Corona standen viele der uns angeschlossenen Tierheime schlecht da. Die Kostenerstattung der Kommunen für Aufgaben, die Tierheime in ihrem Auftrag übernehmen, ist oft defizitär. Da geht es um Kosten für die Betreuung von Fundtieren oder beschlagnahmten Tieren, die Tierheime oft aus eigener Tasche zahlen oder zumindest subventionieren müssen. Da bleibt zumeist kein Geld, um in die Jahre gekommene Tierheimgebäude und -unterkünfte zu sanieren. Das Geld für dringende Bauvorhaben fehlt. Durch die Pandemie, wo Einnahmen aus Veranstaltungen ausblieben, mussten viele Tierschutzvereine ihre Rücklagen teilweise oder ganz aufzehren. Weil die Unterstützung durch Kommunen, Länder und Bund nicht ausreicht, stehen wir als Dachverband an der Seite unserer Mitgliedsvereine. Allein zwischen 2015 und 2021 konnten wir 135 Tierschutzvereine beim Eigenanteil für Bauvorhaben fördern und sie jeweils mit 10 000 bis 50 000 Euro bezuschussen. Als gemeinnütziger Verein ist dies für uns auch nur durch die Spenden tierlieber Menschen möglich.

Gibt es Entwicklungen im Umgang mit Tieren, die Ihnen Sorgen bereiten?

Schröder: Obwohl der Tierschutz als Staatsziel seit 20 Jahren im Grundgesetz verankert ist, werden Tiere – auch in Deutschland – noch immer durch den Menschen ausgebeutet. Gerade die sogenannten „Nutztiere“ werden als reine Produktionsmaschinen oder Güter gesehen, die dem menschlichen Nutzen dienen. Dabei sind es Lebewesen, Individuen mit eigenem Charakter und mit eigenen Bedürfnissen. Zum Glück entscheiden sich daher immer mehr Menschen für eine Lebensweise, die ganz ohne tierische Produkte auskommt. Noch immer leiden Tiere in Tierversuchen. Die Zahl der Versuchstiere stagniert seit Jahren auf einem hohen Niveau. Ethisch aber ist es nicht zu rechtfertigen, einem Lebewesen, das in vergleichbarer Weise wie der Mensch schmerzempfindlich und leidensfähig ist, so etwas anzutun. Wer Tiere schützen will, muss sich daher für die Abschaffung von Tierversuchen einsetzen. In diesen aktuell politisch so dunklen Zeiten macht uns natürlich auch der Ukraine-Krieg große Sorgen, von dem auch Tiere massiv betroffen sind.

Wie sehr beunruhigt Sie der Artenschwund – und was bedeutet das für den Menschen?

Schröder: Auch hier ist Lage besorgniserregend: Wir rasen immer weiter auf den Abgrund zu. Das Artensterben ist heute mehrere Hundert Mal größer als im Schnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre und nimmt sogar noch zu. Etwa eine Million Arten sind aktuell vom Aussterben bedroht – viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten. Der Mensch hat in den letzten Jahrhunderten allein um die 680 Wirbeltierarten ausgerottet. Anstatt kopflos weiterzumachen wie bisher, sollten wir uns zu einem nachhaltigen Management und Verbrauch von Ressourcen, reformierten Märkten, einem weltweit gerechten und begrenzten Konsum von tierischem Eiweiß sowie einer Verringerung von Nahrungsmittelverschwendung und -verlusten entwickeln. Gesellschaftliche Ziele wie sauberes Wasser, Gesundheit, Nahrungs- sowie Energiesicherheit und damit eine hohe Lebensqualität für alle können auch – oder gerade erst dann – erreicht werden, wenn wir aufhören, unseren Planeten auszubeuten.

Sie haben den Ukraine-Krieg erwähnt: Wie spüren Sie in Ihrem Bereich dessen Auswirkungen?

Schröder: Dieser furchtbare Krieg betrifft Menschen wie Tiere. Etwa jeder zwölfte Geflüchtete, der über die Grenze kommt, hat ein Haustier dabei. Das Tierhilfecamp, das wir Anfang März gemeinsam mit dem Bundesverband Gemeinschaft Deutscher Tierrettungsdienste an der polnisch-ukrainischen Grenze errichtet haben, bietet für diese Menschen und ihre durch die Strapazen der Flucht gezeichneten Tiere eine erste Anlaufstelle. Die Tiere aus unserem Tierschutzzentrum in Odessa mussten wir evakuieren. Außerdem gelang es uns, einer Kragenbärin aus einer Auffangstation Nähe Kiew ein neues Zuhause schenken. Derzeit konzentrieren wir uns außerdem auf die Unterstützung der uns angeschlossenen Tierheime bei der Unterbringung von Tieren Geflüchteter sowie auf die massive politische Lobbyarbeit, um die Aufnahme von Flüchtlingen und ihren Tieren bei uns so einfach und unbürokratisch wie möglich zu gestalten.

Hat sich in den vergangenen Jahren am Umgang mit Tieren in Deutschland etwas verändert?

Schröder: Es ist spürbar, dass der Tierschutz an Stellenwert in der Gesellschaft und der Politik gewonnen hat. Das ist sicherlich auch ein Verdienst des Deutschen Tierschutzbundes und aller Mitgliedsvereine. Gemeinsam sind wir eine laute, starke und solidarische Stimme für die Tiere, die gehört wird.

Wo sehen Sie die größten Wissenslücken im Umgang mit Tieren?

Schröder: Die Bedürfnisse der Tiere werden oft unterschätzt. Wir sehen das zum Beispiel in der Heimtierhaltung soziale Tiere wie Meerschweinchen, Kaninchen oder Wellensittiche, die zwingend Artgenossen brauchen, jedoch allein gehalten werden, dazu oft in viel zu engen Käfigen, die man im Handel leider noch immer findet. Auslauf, Freiflug oder Beschäftigung? Fehlanzeige. Hunde werden unüberlegt angeschafft, ohne sich im Vorfeld zu informieren, was konkret ein Hund oder eine bestimmte Rasse braucht und was der Mensch als Halter dem Tier bieten muss. Wir fordern daher einen Sachkundenachweis vor der erstmaligen Anschaffung, damit zumindest ein gewisses Verständnis über die Tierart gegeben ist und damit Abgaben im Tierheim entgegengewirkt wird.

Und wo die dramatischsten Fehlentwicklungen?

Schröder: Eine dramatische Fehlentwicklung ist das Bestreben, Tiere den menschlichen Bedürfnissen und Wünschen anzupassen – selbst wenn dies auf Kosten der Tiere geht. So ist in der landwirtschaftlichen Tierzucht – etwa bei Hühnern, Puten oder Milchkühen – die Gewinnmaximierung oberstes Ziel. Ergebnis sind rekordverdächtige und unphysiologisch hohe Leistungen, die allzu oft erhebliche Leiden für die Tiere mit sich bringen. Anstatt die Haltungsbedingungen zu verbessern und den natürlichen Bedürfnissen der Tiere nach Platz, Bewegung und Beschäftigung nachzukommen, werden die Tiere dann schmerzhaft zurechtgestutzt oder verstümmelt, damit sie in den beengten Haltungssystemen zu „managen“ sind. Ich nenne das schmerzhafte Ausbrennen der Hornanlagen bei Kälbern oder das Schwanz-Kupieren bei Schweinen. Auch im Heimtierbereich werden Tiere auf bestimmte Merkmale gezüchtet, die Menschen „süß“ oder „putzig“ finden, die für die Tiere aber mit Leiden verbunden sind: kurzköpfige Hunde wie der Mops oder Nacktkatzen zählen dazu. Tiere dürfen nicht manipuliert werden, um Defizite in der Haltung auszugleichen, bestimmte Produktionsziele zu erreichen oder ein fragwürdiges Schönheitsideal zu erfüllen.

Wie sähe eine ideale Welt aus Sicht des Tierschutzbundes aus?

Schröder: Unsere Vision wäre eine Welt, die der wir als Gesellschaft alle Tiere als Mitgeschöpfe achten, ihnen Mitgefühl und Respekt entgegenbringen und sie vor Leiden, Schmerzen und Angst bewahren; in der wir auch frei lebende Tiere als Individuen anerkennen und ihre natürlichen Lebensgrundlagen schützten.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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