Schwetzingen. Nicole Blem rettet Igel, die aus eigener Kraft nicht über den Winter kämen. Im Keller hat sie derzeit elf stachelige Gefährten, die ihr viel Freude machen. Das ist ihr Beitrag zum Artenschutz und sie gibt gerne Tipps für das Verhalten mit den putzigen Tieren.
Der Winter bringt regelmäßig frühe Dunkelheit und ekliges Schmuddelwetter mit sich. Während es sich andere in dieser Zeit nach Feierabend auf dem warmen Sofa gemütlich machen, führt Nicole Blems Weg erstmal hinab in den kühlen Keller. Denn dort liegt das Quartier mehrerer Igel, die die Schwetzingerin regelmäßig beherbergt.
Ihre private Igelstation gibt es nun bereits seit fünf Jahren: Damals entdeckte Nicole Blem, die seit vielen Jahren im Seniorenbüro der Stadt tätig ist, einen kleinen Igel in ihrem Garten, der angesichts des nahenden Wintereinbruchs augenscheinlich Hilfe benötigte. Dass sie das unterernährte Stacheltier aufpäppelte, machte in ihrem Bekanntenkreis schnell die Runde. Und nur wenig später brachte eine Freundin das nächste geschwächte Tier vorbei – und so ging es weiter.
Das Pech der späten Geburt
Blem bildete sich weiter, wie hilfsbedürftige Igel aufzunehmen, zu füttern und zu pflegen sind – und schon war ihre Igelstation geboren. „Seitdem helfe ich jeden Herbst Tieren, die aus eigener Kraft nicht das für den Winterschlaf nötige Gewicht von 500 bis 600 Gramm erreichen würden. Im Frühjahr werden sie nach dem Aufwachen wieder am Fundort ausgesetzt“, erzählt die 52-Jährige. Diese Probleme bekommen in der Regel kranke Igel oder Junge, die erst im Spätsommer auf die Welt kommen und dann eben nicht mehr ausreichend Speck für den Winter ansetzen können. Und deren Zahl nehme besorgniserregende Dimensionen an: „Ich hatte normal fünf oder sechs Igel pro Herbst, doch dieses Jahr sind es schon elf. Die umliegenden Tierschutzvereine und Stationen, von denen ich die Igel bekomme, platzen aus allen Nähten“, berichtet Blem.
Es mangelt an Insekten
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Der Klimawandel sorgt für einen stetigen Rückgang der heimischen Flora und Fauna und damit auch der einzigen Nahrungsquelle der stacheligen Gesellen: Insekten. In den zunehmend extremeren und trockenen Sommern ist Wasser Mangelware. Und steigt das Thermometer schon etwa im März kurzzeitig auf 20 Grad Celsius, wachen die Igel zu früh auf. Mit verheerenden Konsequenzen: „Dann folgt auf den ersten Wurf im Frühjahr ein zweiter im Spätjahr“, erklärt Blem, „wodurch die Jungtiere nicht genügend Zeit haben, Reserven für den Winterschlaf aufzubauen.“
Ein weiteres Kernproblem der gefährdeten Art ist der Wandel des durchschnittlichen Gartens als Lebensraum. „Immer mehr Grundstücke werden mit engmaschigen Zäunen umzogen. Doch die nachtaktiven Igel sind darauf angewiesen, auf der Nahrungssuche von Garten zu Garten zu ziehen“, so Blem. Sie appelliert daher, ein kleines Schlupfloch im Zaun zu lassen. Eine Ecke mit Laub- oder Reisighaufen biete zusätzlich ein behagliches Schlafzimmer für die reinen Fleischfresser, die nebenbei das eigene Grün kostenlos von Schnecken und anderem Ungeziefer befreien.
Möchte man den kleinen Geschöpfen unter die Stacheln greifen, gilt es einige Faustregeln zu beachten. Wichtig ist, dass per Gesetz nur Igel aus der Natur entnommen werden dürfen, die krank, verletzt oder offensichtlich bedürftig sind. Blem erklärt: „Ist ein Igel tagsüber unterwegs, stimmt etwas nicht. Dann ist er entweder kurz vorm Verhungern oder Verdursten und kann vorsichtig mit Handschuhen eingesammelt werden. Die besten Anlaufstellen sind Tierschutzvereine oder Wildtierstationen.“ Findet man ab Ende Oktober einen Igel, der nicht größer als eine Birne oder Orange ist, darf und sollte man ihn auch in der Nacht einsammeln und Hilfe konsultieren.
Katzenfutter geht immer
In der Zwischenzeit kann man dem Vierbeiner eine köstliche Mahlzeit aus Wasser und Katzenfutter (mindestens 70 Prozent Fleischanteil) servieren. Eine umwickelte, lauwarme Wärmflasche imitiert dazu ein prasselndes Kaminfeuer, Zeitungsschnipsel fungieren als Kuscheldecke. Absolut verboten ist hingegen Milch – obwohl das noch immer in den Köpfen der Menschen steckt. „Wie die meisten anderen Lebensmittel kann ein Igel diese nicht verarbeiten. Er wird dann krank“, warnt Blem und weist auf eine weitere, grausame Gefahr hin: „Nachts fahrende Mähroboter fügen Igeln furchtbare Verstümmelungen zu.“
Landen die Stacheligen aber in Blems Untergeschoss, fehlt es ihnen an nichts. Dafür ist die nebenberufliche Traurednerin auf Spenden angewiesen: „Ob Geld, Futter, Medikamente oder Küchenrollen – ich bin für jeden Beitrag dankbar.“
Zu erzählen hat sie auch die ein oder andere Anekdote. „Durch ihren nächtlichen Bewegungsdrang sind immer wieder Igel trotz Brettern auf ihrer Box wie auf magische Weise ausgebüchst. Wir dachten eine Weile, wir hätten es mit den Ehrlich Brothers zu tun“, lacht Blem. „Und vor Kurzem fehlte ein Tier, das auch nach einer halben Stunde des Kellerumräumens wie vom Erdboden verschluckt blieb. Es stellte sich heraus, dass es beim Ausbruch in die Kiste des Nachbars gefallen war. Dort schliefen die beiden friedlich und eng aneinander gekuschelt.“
Besagter Ausbruchskünstler trägt übrigens jetzt den Namen Luke Skywalker. Ein Exot ist er damit in Blems Keller nicht, denn seine Kumpanen hören auf Voldemort, Thor oder Iron Man. „Irgendwann gingen die normalen Namen aus, weshalb wir mittlerweile auf die Filmwelt zurückgreifen“, schmunzelt Blem.
Unterm Strich überwiegt bei der menschlichen Igelmama trotz des erheblichen Aufwands klar das positive Gefühl. Auf die Frage nach ihrer Motivation bezieht Blem einen ein-drücklichen Standpunkt: „Ich finde, man muss auf der Erde auch einen Zweck erfüllen. Man ist nicht nur für ein geiles Leben da, sondern sollte auch etwas zurückgeben. Angesichts der schrumpfenden Flora und Fauna ist das mein Beitrag zum Erhalt einer Tierart.“ Wofür das heimische Sofa im Herbst und im Winter doch gerne noch ein Stündchen länger warten kann.
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