Schwetzingen. Gemessen an den Disparitäten und Polaritäten, die ganze Gesellschaften inzwischen zu zerreißen drohen, bildet das Ensemble Quatuor Voce gewissermaßen ein ästhetisches Gegenmodell. War das Mozartfest in seinem 50. Jahr zuvor als Beispiel für Gemeinschaft und Zusammenhalt gewürdigt worden, so setzte das Konzert zum Auftakt des diesjährigen Festivals das Gesagte künstlerisch ins Werk.
In die erwartungsvolle Stille hinein fräste sich das Unisono-Motiv von Mozarts Streichquartett in Es-Dur, als fordere es von vornherein höchste Aufmerksamkeit. Diese wurde dem französischen Ensemble im Jagdsaal des Schwetzinger Schlosses denn auch zuteil. Bei Quatuor Voce faszinieren die ausgeglichene Spielökonomie und das unangestrengte Interagieren auch in rhythmisch komplexen Passagen.
Hélène Maréchaux, Cécile Roubin (beide Violine), Guillaume Becker (Viola) und Arthur Heuel (Violoncello) finden das rechte Maß, das dieser Tonart angemessen ist: nicht in naiver Heiterkeit, sondern mit kontrollierter Emphase, die auch um das Ernste weiß, das sich mit diesem Es-Dur verknüpft.
Die innig empfundene Musikalität und der luzide Ausdruckswille artikulieren sich auch in der Kantabilität, die Arthur Heuel dem Andante zukommen lässt, als würde das Cello hier eine Klarinette imitieren. Jede und jeder in diesem Ensemble trägt durch die sensible und behutsame, aber keineswegs zögerliche Tongestaltung zu diesem besonderen Klangerlebnis bei. Das Menuett erklingt ohne jeden Anflug von Derbheit, wobei der tänzerische Charakter durchaus nicht ins Galante entweicht.
Wehmütig-volkstümliche Melodie des Cello
Ein kleiner Spielfehler in der ersten Geige wird sympathisch weggelächelt, während das geschliffene Brio bei gleichzeitig höchst differenzierter Artikulation den Finalsatz auszeichnet. Kein krachlederner Abgang; denn in allem überschäumendem Temperament, das die Streicher diesem Mozart entgegenbringen, bewahrt das Stück Format und schlägt trotz seiner Verspieltheit nicht über die Stränge.
In Schuberts G-Dur-Streichquartett sind wir hingegen umgehend mit einer bestürzenden Bedeutungsschwere konfrontiert. Schroffer und ausgreifender, in gewissem Sinn auch radikaler bestürmt uns dieser Schubert als Mozart zuvor. Die punktierten Noten werden variabel artikuliert: einmal vorwärtsdrängend, dann wieder behutsam, als sollte sich – sofern Musik doch mehr ist als „tönend bewegte Form“ – darin das Schwanken einer tapferen und zugleich verzagten Seele abbilden. Erschütternde Kunde von einem Leben, das an einem zitternden Faden hängt.
Die wehmütig-volkstümliche Melodie des Cello entfaltet im Andante eine schmerzliche Wirkung, und auch die Dreier-Taktigkeit im Scherzo entspringt weniger der Laune eines sorglosen Gemüts als in der bangen Erwartung eines Ungemachs. Selbst die Rustikalität des Finales scheint von fragiler Doppelbödigkeit, wenn Schubert sich hierbei aber doch zu einem einigermaßen versöhnlichen Beschluss durchringt. Mit einer Tarantella des Prager Komponisten Ervin Schulhoff bescheren Quatuor Voce ihrem Publikum eine Zugabe, die das Tänzerische mit einer expressionistisch-grotesken Geste versieht und ihren spektakulären Charakter nicht verfehlt.
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