Zurück im Flutgebiet: So geht es Betroffenen in Sinzig

Flutopfer erzählt: "Ich dachte nur: ,Mein Gott, wer hilft mir hier raus?'"

Wie sieht es im Ahrtal dreieinhalb Monate nach der Flut aus? Wir treffen Betroffene in Sinzig, der Stadt, für die diese Zeitung gemeinsam mit den Kommunen ihres Einzugsgebietet eine Spendenaktion gestartet hat.

Von 
Katja Bauroth
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Sinzig/Schwetzingen. Dreieinhalb Monate sind seit der Hochwasserkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen verstrichen, Monate mit Trauer und Verzweiflung, mit Anpacken und Aufräumen im Schockzustand. Letzter weicht nach und nach durch die Realisierung ob der Tragweite der Flutnacht vom 14. Juli. Betroffene bewegen sich zwischen Zuversicht, Hoffnung und Angst, werden nicht selten überrollt von Mutlosigkeit sowie Fragen etwa: Wie soll es nur weitergehen?

Unsere Zeitung und die Kommunen in unserem Einzugsgebiet kämpfen weiter dafür, dass die Flutopfer nicht vergessen werden. Die Spendenaktion gezielt für die Barbarossastadt Sinzig hat mittlerweile über 260 000 Euro eingebracht. Das Geld geht direkt und ohne bürokratische Abzüge an Menschen, denen die Flut Hab und Gut, gar die Existenz genommen hat. Und ja: Es ist nur ein kleiner Tropfen, der in Anbetracht der millionenschweren Schäden versickert. Und trotzdem hilft jeder Cent. Daher: Bitte spenden Sie weiter!

Karl-Heinz Krappitz (63) und seine Tante Renate Pilz (81) gehören zu den Flutopfern, denen Geld aus unserem Spendentopf – gemanagt von der Stadt Schwetzingen und ausgezahlt von der Stadt Sinzig – zugekommen ist. Eine Jury in Sinzig kümmert sich um die gerechte Verteilung (wir berichteten mehrfach). Jeweils 400 Euro konnte bislang an alle Betroffene ausgezahlt werden, Geld, das Kurpfälzer gespendet haben. Vom Land Rheinland-Pfalz kam Soforthilfe in Höhe von 1500 Euro, vom Kreis Ahrweiler erst 1000 und nun noch einmal 1200 Euro, erzählt Karl-Heinz Krappitz. In Anbetracht der Schäden freilich Peanuts. Wohl dem, der die richtigen Versicherungen abgeschlossen hatte. Sowohl bei Krappitz als auch bei seiner Tante ist dies nicht der Fall aus verschiedenen Gründen.

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Als ich Renate Pilz begegne, fotografiere ich gerade den kleinen Platz in ihrer Siedlung, einst Grünfläche mit Bäumen, nun zerfahren und Sammelplatz für Sperrmüll. „Der lag hier meterhoch“, hebt Renate Pilz anschaulich den Arm. Sechsmal wurde die Fläche mit zerstörtem Hausrat, Schwemmgut sowie Bauschutt schon gefüllt und dies alles abtransportiert. Ein blaues Dixi-Häuschen steht mittendrin, daneben ein langer Anhänger. An einem Laternenmast baumelt ein Schild „Home sweet Home“, darunter liegt Grünschnitt, weiter hinten eine blaue Tonne.

Renate Pilz ist eine rüstige Dame, ihr Alter möchte man nicht glauben. Wir stehen vor ihrem Haus, das neben dem ihres Neffen liegt. Sie erzählt von der Flutnacht, sehr bildlich, sehr emotional. Es ist zu spüren, dass sie die Geschehnisse verarbeiten muss, dass sie darüber sprechen möchte. Alles sei so rasend schnell gegangen, sagt sie. Ein Satz, den ich bei meinen Vorort-Recherchen immer wieder gehört habe. Neffe Karl-Heinz Krappitz hat sich mittlerweile dazugesellt. Die Feuerwehr soll an dem Tag herumgefahren sein und gewarnt haben. „Wir haben nichts gehört und nichts gesehen.“ Eine Nachbarin sei an dem Abend noch mit dem Hund an der Ahr Gassi gegangen, „da schwamm viel runter und das Wasser stand hoch, aber ein solches Hochwasser hat sich da niemand ausmalen können“. Freilich sei der Fluss schon mal aus seinem Bett gekommen, jedoch nie in diesem Ausmaß vom 14. Juli. „Der Nachbar hat noch gefragt, ob er Sandsäcke vor die Kellerfenster legen solle“, erinnert sich Karl-Heinz Krappitz an Gespräche am frühen Abend. Er selbst habe „so sechs Sandsäcke“ sicherheitshalber mal vor der Kellertür platziert, die Elektrowerkzeuge aus dem Keller ins Erdgeschoss getragen und die Autos – auch das der Tante – auf einen höher gelegenen Parkplatz gefahren. Später schlüpfte er in den Pyjama, putzte sich die Zähne und ging zu Bett. Da wusste er noch nicht, dass die getroffenen Maßnahmen für die Katz sein sollten.

Um kurz nach 2 Uhr in der Nacht klingelte die Nachbarin bei ihm Sturm und rief draußen: „Karl-Heinz, das Wasser kommt!“ Da stand die Frau schon bis über den Gummistiefelschaft im Nass. „Das Wasser schoss zwischen den Häusern durch“, zeigt Renate Pilz den Weg links an ihrem Haus vorbei. „Es knallte und schepperte im Keller, dann wurde es stockdunkel.“ Aus dem Keller klettert das Wasser ins Erdgeschoss, reißt Mobiliar und Erinnerungen mit sich. Sie rettet sich ins Obergeschoss und hofft, dass das Wasser nicht weiter steigt. Flucht und Krieg, das alles hat sie mit ihren 81 Jahren schon erlebt. Und nun bangt sie in ihrer vertrauten Umgebung, ihrem Zuhause, um ihr Leben.

Nachbarin hat es nicht überlebt

Neffe Karl-Heinz Krappitz – der ebenfalls im Obergeschoss seines Hauses das Szenario verfolgt – sorgt sich um seine Tante, hofft, sie gehe nicht aus dem Haus. Er informiert per Handy noch Cousin Rudi, Renates Sohn, der nicht weit weg wohnt.

Als der Tag anbricht, ist nichts mehr, wie es einmal war. Die Idylle der Wohnsiedlung ist einer Wasserlandschaft und purer Zerstörung gewichen. Und nicht nur das: „Unsere liebe Nachbarin hat das nicht überlebt“, deutet Renate Pilz auf ein Haus, das mittlerweile nur noch einem Rohbau gleicht. Dort habe eine rüstige Dame gewohnt, 91 Jahre alt, die beinahe täglich noch mit dem Fahrrad fuhr. Schwerhörig sei sie gewesen, habe die Warnungen vermutlich nicht mitbekommen. Rettungskräfte suchen sofort nach ihr im Haus. Als sie im Obergeschoss nicht aufzufinden ist, das Wasser jedoch komplett das Erdgeschoss bis fast unter die Decke geflutet hatte, war anzunehmen, dass sie nicht überlebt hat. Diese Ahnung sollte sich zwei Tage später bestätigen: Der Körper der Nachbarin wurde in deren Keller gefunden, sie trug ein Nachthemd und Gummistiefel.

„,Mein Gott, wer hilft mir hier nur raus‘, habe ich gedacht, als ich das Wasser gesehen habe.“ Renate Pilz hält inne, schaut zum Balkon ihres Hauses im Obergeschoss. Der Neffe hielt per Handy Kontakt zur Feuerwehr, beruhigte die Tante mit Zurufen. Auch deren Sohn Rudi war mittlerweile ganz in der Nähe der Straße, kam jedoch aufgrund der Wassermassen nicht bis zum Haus der Mutter. Er hatte sich einen Neoprenanzug übergezogen und half so einer Frau, die nach einer Operation nicht gut zu Fuß war, aus deren Haus, in dem er sie Huckepack trug. Seine Mutter Renate wurde schließlich von der Feuerwehr per Boot gerettet – das konnte ja sozusagen bis zum Balkon vorfahren, der so zu einem Steg wie in einem Hafen wurde. Auch Karl-Heinz Krappitz holte die Wehr per Boot ab. „Am Morgen habe ich noch mit meiner Schwester telefoniert und ihr erzählt, dass ich in den Keller ziehen wollte. Ich hab’ noch gesagt: Ich mach mir da ein schönes Schwimmbad rein.“ Als Renate Pilz das erzählt, muss sie schmunzeln. Zu absurd ist der Blick auf dieses Telefonat im Nachgang.

In ihrem Keller wuseln derzeit Handwerker, jedoch keine aus der Region – „die sind schwer zu bekommen“, erzählt Renates Sohn Rudi, der jede freie Minute damit verbringt, um im elterlichen Haus anzupacken. „Anfangs sind unzählige Helfer gekommen, haben mit weggeräumt – das war einfach unglaublich“, freuen er, seine Mutter und Karl-Heinz Krappitz sich wie viele Betroffene über die Freiwilligen, die mit Schaufeln anrückten, anpackten und Schlamm schippten. Bewohnbar sind ihre Häuser derzeit noch nicht. Es gibt weder Strom noch Heizung, die Trockengeräte laufen auf Hochtouren. Der Putz vom Mauerwerk und die Böden mussten raus, auch Fenster und Türen.

Handwerker helfen freiwillig

Bei Renate Pilz werkeln Installateur Uwe Bauer und Elektriker Fabian Thalacker aus Neuenstein im Hohenlohekreis in der Nähe von Heilbronn. Die beiden haben sich der Initiative „Handwerkerhelfen.de“ angeschlossen, sind auf eigene Kosten ins Ahrtal gefahren, um den Menschen dort mit ihrer Fachkraft zu unterstützen. Denn Handwerker fehlen an allen Ecken und Enden. Und Material. Arbeitgeber unterstützen dieses Engagement, indem sie – etwa im Fall von Uwe Bauer die Firma Hüftle – ihre Mitarbeiter freistellen. Zudem opfern die Handwerker ihre Freizeit und ihren Urlaub für den Einsatz. Das Material kommt aus Spenden oder ist funktionierendes gebrauchtes wie die Heizung und der Warmwasserspeicher aus zweiter Hand, die er gerade im Haus von Renate Pilz einbaut.

Für Uwe Bauer und Fabian Thalacker ist es eine Herzensangelegenheit, im Ahrtal zu helfen. Selbst bei der Feuerwehr und im Technischen Hilfswerk engagiert haben sie die Bilder der Flutkatastrophe dazu bewegt. „Die einen fliegen halt zum Mond. . .“, meint Bauer ergänzend zu der Frage, warum er seine Zeit und seine Kraft dafür opfert. Er tut es gern, genau wie Fabian Thalacker. Sie übernachten wie andere vom Trupp „Handwerkerhelfen.de“ in der Notunterkunft in Leimersdorf. Dort lasse allerdings Infrastruktur und Versorgung zu wünschen übrig, deutet Bauer an und ist froh, dass ihm und seinem Mitstreiter nun eine private Unterkunft angeboten wurde. Auch das nächste Mal, wenn sie wieder ins Flutgebiet fahren, freuen sie sich über eine komfortablere Bleibe – denn wer anpackt, sollte auch gut essen und schlafen können. Und er kommt wieder, verspricht er und geht weiter ans Werk.

„Schauen Sie, hier steht noch das Wasser in der Tür“, zeigt Karl-Heinz Krappitz seinen Terrasseneingang. Im Zwischenraum der Doppelverglasung schwappt tatsächlich eine Handbreit ein Stück Ahr. In den Räumen, in denen sich Wohnzimmer und Küche befanden, laufen die Trockengeräte, die eine wohlige Wärme ausstrahlen. Das braucht noch einige Wochen, bis die Feuchte aus dem Mauerwerk draußen ist. Karl-Heinz Krappitz ist in Vorruhestand, der versucht daher, soviel wie möglich allein wieder herzustellen. Er hatte sich vor Jahren schon um eine Elementarschadensversicherung bemüht, erzählt er. Dafür hätte er eine spezielle Rückstauklappe in seinen Keller einbauen müssen, die habe er lange nicht gefunden. Mittlerweile habe er eine solche, aber eben die Versicherung noch nicht abgeschlossen.

Warten auf offiziellen Gutachter

Bei Renate Pilz ist es ähnlich. Ihr Sohn Rudi hofft, dass bis zu 80 Prozent der Wiederaufbaukosten – wie vom Land Rheinland-Pfalz angegeben – übernommen werden, ansonsten ist die Familie aufgeschmissen. Die Krux: Eigenleistung wird nicht angerechnet, für Handwerkerarbeiten und Material muss die Familie in Vorleistung gehen und hinzu kommt, dass Spenden auf die 20 Prozent, die jeder selbst zu tragen hat, draufgeschlagen werden, damit wiederum verringert sich die Förderung, erklärt er. „Und dann gehen Sie mal mit 81 Jahren auf die Bank und fragen nach einen Kredit“, verdeutlicht Renate Pilz eine weitere Hürde. Außerdem warten sie und Karl-Heinz Krappitz noch immer auf den offiziellen Gutachter, der den Schaden einschätzen muss und danach kann erst das Finanzielle auf den Weg gebracht werden.

Renate Pilz und Karl-Heinz Krappitz leben seit der Flutnacht bei Familienmitgliedern und sehnen sich freilich, in die eigenen vier Wände wieder zurückzukommen. Doch wann das sein wird, steht in den Sternen. „Dieses Jahr, glaube ich, nicht mehr“, schaut Karl-Heinz Krappitz auf die kahlen Rohbauwände seines Wohnzimmers und die offenen Leitungen. Und als ob das alles noch nicht genug wäre, müssen sich die Nachbarn mittlerweile auch als Nachtwachen organisieren. Dreiste Diebe nutzen Gelegenheiten, um in Fluthäusern noch auszuräumen, was das Wasser nicht weggetragen hat.

Dreieinhalb Monate sind nach der Flutkatastrophe vergangen, eine Zeit, in der sich schon einiges getan an. Und es liegt noch ein langer Weg und viel Arbeit vor den Betroffenen der Flutkatastrophe.

  Hier können Sie für Betroffene in Sinzig spenden.

Mehr Fotos gibt es hier.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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