Ihre größte Schwierigkeit besteht darin, die Bühne zu erklimmen. Sie versucht es von links, wo keine Stufen sind, dann erst „korrekt“ von rechts. Aber natürlich ist sie nur bei dieser Nebensache kurz orientierungslos – beim Geigenspiel wird man Isabelle Faust so etwas nie nachweisen können.
Auch in diesem ziemlich aus der Reihe tanzenden Konzert der SWR Festspiele in Schwetzingen kann man es nicht: eine Spezialitätensammlung selten aufgeführter Soloviolin-Stücke von häufig äußerst virtuosem Zuschnitt ist im Mozartsaal des Schlosses hörend zu besichtigen. Die Reise geht vom 17. ins 21. Jahrhundert, die Werke spiegeln sich zum Teil in älteren berühmten Stücken aus dem Solo-Repertoire.
Ihre zu Recht gerühmte Bogentechnik lässt Faust noch die feinsten Fasern der Musik erhaschen, kalligraphisch schlanke Linien ziehen. Klangliche Extrembereiche gibt es, doch sie finden sich zumeist im Pianissimo. Das Leisetreten ist Fausts Herzensanliegen. Für zeitgenössische Geräuschmusik hat sie empfindliche Antennen, in einem „Gesamtkunstwerk“ des Tschechen Ondrej Adámek, für Faust und eine (nicht in Schwetzingen präsente) Malerin geschrieben, darf die Geigerin indessen dicker auftragen: Die Bogenstriche sollen sich wie Pinselstriche anhören. Während die Aphorismen György Kurtágs wieder eher, einem ihrer Titel folgend, „den, der heimlich lauschet“, reich belohnt.
Der Abend ist ein Exerzitium in der Kunst des Zuhörens und endet mit der Solo-Passacaglia aus den „Rosenkranz-Sonaten“ Heinrich Ignaz Franz von Bibers: Laufwerk über polyphon geführten Doppelgriffen, frei entfaltet. Faust lässt einen Sog entstehen. Sie wirkt so, wie man sie weniger zu kennen glaubt: extrovertiert.
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