Digitalisierung

Handylose Schwetzingerin: Gibt es ein Recht auf analoges Leben?

Gerlinde Grün (Name geändert) aus Schwetzingen hat kein Smartphone. Weswegen sich die Seniorin weigert und wie sie in der Gesellschaft benachteiligt wird.

Von 
Noah Eschwey
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Symbolbild: Auch die Schwetzingerin, die unerkannt bleiben möchte, nutzt ausschließlich das Festnetztelefon – außer es gibt eine Vodafone-Störung. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Schwetzingen. Es ist wohl der analogste Weg, den Gerlinde Grün (Name von der Redaktion geändert) gewählt hat, um Kontakt mit dieser Redaktion aufzunehmen – sie kam zu Fuß. Geplant war ihr Besuch aber nicht. Eigentlich habe sie eine Fehlfunktion ihres Festnetztelefons im Vodafoneladen melden wollen, beginnt die sichtlich verzweifelte Schwetzingerin zu erzählen: „Und dann haben die mir gesagt, ich könne die Störung nur mit einem Handy melden. Aber ich habe doch gar keins – jetzt habe ich überhaupt keine Möglichkeit mehr zu kommunizieren.“ Wir machen einen Deal: Die Mitte-70-Jährige bekommt kurz ein Smartphone ausgeliehen und im Gegenzug erklärt sie sich zu einem Redaktionsgespräch bereit. Auf analogem Wege, versteht sich.

„Bei unserem ersten Aufeinandertreffen haben Sie mich gefragt, warum ich mich denn weigere, mir einfach ein Handy anzuschaffen“, beginnt Grün. Die grauhaarige, schmale Frau ist schick gekleidet und trägt eine kleine Handtasche auf ihrem knochigen Handgelenk. Und sie hat sich vorbereitet. „Ich habe mir hier ein paar Notizen gemacht“, sagt sie und zieht mit einem schnellen Griff zwei Blockblätter aus der Tasche. Alles, was sie für unser Gespräch braucht, liegt sorgfältig aneinandergereiht vor ihr. Die Punkte, die sie von ihrem Blockblatt zitiert hat, streicht sie mit einem hochwertigen Kuli von der Liste.

Deswegen hat die Seniorin kein Handy

Wann sie denn ein Handy brauche, fragt sie, um anschließend ohne größere Gesprächspause selbst zu antworten: „Nie. Morgens mache ich Nordic Walking. Danach gehe ich ins Fitnessstudio. Manchmal bin ich dann bei einem VHS-Kurs oder einkaufen. Bei all diesen Aktivitäten würden mich eingehende Anrufe eher nerven.“ Dass die Schwetzingerin über den Tag hinweg meist nicht erreichbar sei, hält sie für die natürlichere Option: „Alle, die mit mir sprechen möchten, kennen meine Festnetznummer. Und sie wissen, dass ich abends den Anrufbeantworter checke und zurückrufe.“

Nun könne sie ja ihr Handy, wenn die Seniorin denn eines hätte, auch zu Hause lassen. „Aber darum geht es doch nicht. Ich will da einfach nicht mitmachen!“ Eine Prinzipsache, so wie es den Eindruck macht: „Ich glaube einfach nicht, dass das gut ist. Auch die alten Tugenden leiden darunter. Neulich war ich essen, da haben Leute am Nachbartisch lautstark ein Video geschaut. Und ich war bei einem Konzert von Max Raabe, habe wegen der Menschen vor mir aber alles nur durch einen Bildschirm gesehen. Die Menschen haben nur noch dieses Ding im Kopf.“

So wird die handylose Schwetzingerin im Alltag benachteiligt

„Habe ich denn kein Recht auf ein analoges Leben?“ Scheinbar nicht, antwortet sich die Schwetzingerin selbst, immerhin komme sie in ihrem Alltag immer wieder nicht ohne fremde Hilfe weiter. „Wenn ich in die USA einreise, kann ich nur mit Kreditkarte zahlen. Und das geht nur mit einem Sicherheitscode, den man sich aufs Handy schicken lassen muss“, weiß Grün. Sie reise zwar nicht allzu oft in die USA, das gelte aber auch für jede Online-Zahlung. „Wenn ich etwas bestellen möchte, brauche ich immer einen Nachbarn. Warum geht das nicht einfach mit Rechnung und Überweisungsträger wie früher?“

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Ähnliches habe sie schon beim Ticketkauf für die Bahn, bei der Terminanfrage für die Coronaimpfung und beim Abholen eines Pakets in den neumodischen DHL-Paketstationen erlebt. „Wissen Sie, ich möchte ja niemandem das Handy wegnehmen. Wenn das praktischer ist, kann es all diese Angebote geben. Aber es muss doch auch weiterhin analoge Alternativen geben! Eine Schiffsreise, die ich antreten wollte, konnte ich beispielsweise nicht buchen, weil die zwingend ein Handy verlangt haben.“ Die Begründung des Anbieters könne sie grundsätzlich verstehen: „Der Reiseveranstalter meinte, dass es mit Kontaktdaten der Reisenden sicherer sei. Aber ganz ehrlich, das hat viele hundert Jahre ohne Handy geklappt, das muss doch heute auch noch gehen.“

„Schon alleine, weil es immer wieder Datenlücken gibt, bei denen sensible Informationen von Privatpersonen durchsickern, kann es doch keine gesellschaftliche Pflicht zur Handynutzung geben“, findet die Schwetzingerin. Außerdem rede jeder über die Energiebeschaffung und darüber, dass man Ressourcen schonen müsse. „Aber die vielen seltenen Erden und anderen Rohstoffe, die in Handys verbaut werden, die dann nur zwei Jahre halten, über die spricht keiner.“

Das Handy darf nicht die einzige Alternative sein

Jugendliche hätten mittlerweile immer häufiger Bildschirmzeiten von bis zu acht Stunden. „Das ist ein gesamter Arbeitstag. Man spricht vom ,Digital Detox‘, wenn sie dann mal eine Woche ohne das Ding aushalten. Also vom ,Analogen Detox‘ habe ich noch nie etwas gehört“, argumentiert die Seniorin abschließend. Noch einmal betont sie, dass sie nicht gegen die Möglichkeit der Smartphonenutzung ist, es dürfe aber eben nicht die einzige Alternative sein. „Für neun von zehn Menschen ist die Digitalisierung eine Erleichterung. Und die zehnte Person wird einfach übergangen. Aber habe ich denn kein Recht darauf, ein analoges Leben zu führen?“

Volontariat Noah Eschwey ist Volontär in der Lokalredaktion der Schwetzinger Zeitung/Hockenheimer Tageszeitung.

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