Schwetzingen. Die Metalltore zu, das Grün unberührt und über den Blumen, Brunnen und Brücken liegt eine mystische Stille. Dazwischen rollen die Reifen einiger weniger Gärtnereifahrzeuge über den Kies, ergießen sich die ersten Tropfen aus den Wasserschläuchen auf die Beete. Fußgänger sind bei strahlend blauem Himmel nur vereinzelt im Schlossgarten anzutreffen. Es liegt eine morgendliche Frische über der Gartenanlage. Die Alleen und Wege sind wie leer gefegt. „Wenn man so durch den Park fahren kann – das ist sensationell“, sagt Herbert Brenner strahlend. Die Aufschließrunde ist sein Morgensport. Das schwarze Trekkingbike Herbert Brenners treuer Begleiter.
Zu Dienstbeginn das Badhaus, die Moschee oder das Porzellanhäuschen aufschließen und nach dem Rechten sehen, das ist eine der Aufgaben der Eingangskontrolle im Schwetzinger Schlossgarten. Herbert Brenner ist ein Teil der Rentnergang, wie er sie selbst nennt. Den Garten-, Badhausdienst oder die Eingangskontrolle teilt das fünfköpfige Kernteam sich gemeinsam in wechselnder Besetzung ein.
Er kennt jede verborgene Tür im Schwetzinger Schlossgarten
Herbert Brenner zieht einen seiner Schlüsselbunde aus der Tasche seiner schwarzen Jeans. An allen dreien hängen unzählige Schlüssel. Für jede Tür braucht es einen anderen. Was sich dahinter verbirgt, weiß kaum einer so gut wie der 70-Jährige. Welche Stahltür das Schloss unmittelbar mit dem Finanzamt verbindet und wo sich hinter einem blauen Vorhang im Schlafgemach kein Fenster, sondern eine Geheimtür befindet – der Schwetzinger weiß es.
15 Räume auf der ersten und noch mal genauso viele auf der zweiten Etage des Schlosses passiert Herbert Brenner bei seinem täglichen Kontrollgang. Er prüft: Funktionieren alle Lichter? Stehen alle Vasen, Stühle und Tische an ihrem Platz? Ist vielleicht etwas umgekippt? „Das Frankenthaler Porzellan war schon zu Zeiten von Carl Theodor unbezahlbar“, weiß er und ergänzt, dass einige der Gegenstände seinem Wissen nach bis zu einem Wert von 700 000 Euro versichert seien.
Seinen Job als Betriebswirt hat Herbert Brenner vor zehn Jahren ad acta gelegt. Ein „Rentner wie früher“, der sein Leben einfach so ausklingen lässt, habe er nie werden wollen, sinniert er auf einer Steinbank vor dem Badhaus sitzend. Nach einem trägen Jahr im Ruhestand geht Herbert Brenner ein Projekt an: Er wird Statist bei einer Theateraufführung im Rokokotheater im Schloss. Von der Akustik und Intimität des Saals ist er derart beeindruckt, dass er dem Schloss erhalten bleibt. Den Job bei der Eingangskontrolle macht er nun seit sechs Jahren. Seitdem liest Herbert Brenner sich kontinuierlich in die Historie der mit 74 Hektar größten Gartenanlage Deutschlands ein. „Wenn einen etwas interessiert, dann lernt man es auch“, sagt er.
Vorbei an der Orangerie führt die Aufschließrunde zum Porzellanhaus. Zwischen den gläsernen Flügeltüren, wo zahllose Delfter Kacheln mit handbemalten monochromen Motiven die Wände schmücken, habe Kurfürst Carl Theodor im Sommer gerne gespeist, erläutert Herbert Brenner, während er die hohen Fensterläden aufschließt. Die mit unterschiedlichen Szenen bemalten Fliesen seien typisch für die belgische Heimat des Kurfürsten gewesen, ergänzt er.
Im WC fehlen Handtücher
Kaum zurück auf zwei Rädern, klingelt sein iPhone: Friedrich Wörn habe die Info bekommen, dass der Vorrat an Papierhandtüchern sich dem Ende entgegen neigt. Der Kollege sendet ihm ein Foto vom Bestand per Whatsapp. Es ist einer von drei Anrufen – innerhalb von rund einer Stunde auf seiner Routinerunde. Später beobachten sie über die Überwachungskamera in der Zentrale, wie ein Lkw beim Brückentoreingang Nachschub liefert.
Mit Geschichte hat der in St. Ilgen aufgewachsene Betriebswirt bis zum Renteneintritt wenig am Hut gehabt. Nach seinem BWL-Studium in Mannheim hatte Herbert Brenner bei einem Allfinanzkonzern Privatkunden beraten. Der Umgang mit Menschen zieht sich durch sein berufliches Leben. Neben seiner Tätigkeit im Schloss hilft der Rentner ehemals Straffälligen, nicht erneut auf die schiefe Bahn zu geraten. Aus dem Interesse an und der Nächstenliebe zu Menschen widme er sich seit seinem Renteneintritt der Bewährungshilfe. „Die Gesellschaft hat mich ausgebildet“, begründet er sein Engagement vielsagend: „Da kann man auch mal etwas zurückgeben.“
Zurück kehrt Herbert Brenner nach der Aufschließrunde und dem Kontrollgang in den Eingangsbereich des Schlossgartens. Hinter einer gläsernen Tür rechts des Haupteingangs verbirgt sich das Besucherzentrum, wo er an diesem Tag ab etwa 10 Uhr seinen Dienst verbringt. Unter der Woche starten dort zu jeder vollen Stunde Schlossführungen, meist mit rund 20 Personen. Ehe die Besucher die kurfürstlichen Räume zu Gesicht bekommen, dreht Brenner erneut eine Runde durch die 30 Zimmer, um die Fenster wieder zu schließen – die historischen Möbel, Gemälde und Stoffe wollen nur vorsichtig mit Frischluft und Tageslicht versorgt werden. Bis hinauf in den zweiten Stock sind es 52 Stufen – einfach. „Mein Rekord sind 47 Stockwerke an einem Tag“, berichtet Herbert Brenner und verweist auf den Tracker seines iPhones. Die Bewegung hält den 70-Jährigen fit.
Hinter dem Empfang im Besucherzentrum zückt Herbert Brenner seine Lesebrille. Er hat sie lässig in der Knopfleiste seines hellblauen Businesshemds hängen. Der Blick auf den heutigen Plan verrät: Die erste Führung startet um 11 Uhr. Schlossführer Robert Schrag kommt auf einen Plausch vorbei. „Wenn er nicht da wäre, würde hier gar nichts gehen“, lobt er Herbert Brenner in höchsten Tönen. „Ihre Taschen müssen sie bitte in den Spinden einschließen, Schlossgartenpläne liegen kostenlos auf dem Tisch aus“, so informiert er die wartenden Gäste. Und sie sollen sich während der Führung bitte an die Gruppe halten. Die Suche nach verschollenen Gästen sei doch stets ein großer Aufwand, witzelt er gegenüber den im Halbkreis aufgestellten Besuchern. Seine gute Laune ist ansteckend.
„Das Geniale am System“
Kurz darauf meldet sich das Funkgerät. „Wir bräuchten Hilfe im Schlafzimmer im ersten Stock“, ruft Schlossführer Robert Schrag. Brenner springt aus dem Bürostuhl auf, greift eine Flasche Wasser und nimmt strammen Schrittes die Treppe. Gemeinsam mit zwei Damen im Schlepptau kehrt er zurück. In der Dunkelheit der Räume und bei stickiger Luft spielt ihr Kreislauf nicht mit. Ein typischer Fall im Sommer.
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Sieben bis neun Tage im Monat verbringt der Rentner seine Zeit auf diese Weise im Schlossgarten und dessen Eingang. Den Rest seines Ruhestands halten ihn zwei Enkel im Teenageralter auf Trab oder er weilt im fernen Norwegen, wo Herbert Brenner das Meeresangeln für sich entdeckt hat. Mit seinem kleinen Wohnmobil verbringt er regelmäßig mehrere Wochen in Skandinavien. „Wenn ich etwas mit den Enkeln unternehme oder im Urlaub bin, dann trage ich mich eben nicht für einen Dienst ein“, verrät er über den Schichtplan an der Eingangspforte. „Das ist das Geniale am System.“ Morgensport und Moschee, zwischen Begegnungen und Badhaus, Kartenkontrolle und Carl Theodor: Für Herbert Brenner ist seine Aufgabe im Schwetzinger Schlossgarten „der beste Rentnerjob überhaupt“.
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