GRN-Klinik

Inkontinenz – Dr. Annette Maleika will in Schwetzingen mit dem Tabu brechen

Millionen von Menschen in Deutschland leiden unter Harninkontinenz, doch nur wenige suchen ärztliche Unterstützung. Experten plädieren für eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema.

Von 
Marcus Oehler
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Dr. Annette Maleika informiert über das Thema Blasenschwäche. © GRN

Schwetzingen. Geschätzte zehn Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Harninkontinenz, aber nur die Hälfte der Betroffenen wendet sich an einen Arzt. Das Ignorieren der Symptome – meist aus Scham – ist oft fatal. „Mit der bundesweiten Welt-Kontinenz-Woche möchten Mediziner darauf aufmerksam machen, dass Inkontinenz häufig ist und es legitim ist, sich Hilfe zu holen, ohne es peinlich finden zu müssen“, sagt Dr. Annette Maleika, Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen, jetzt bei ihrem Vortrag, über den eine Pressemitteilung der Klinik berichtet: „In einer Hausarztpraxis ist das Symptom der Harninkontinenz weit häufiger als hoher Bluthochdruck, Diabetes oder Depressionen.“

Unbehandelt verstärkten sich die Beschwerden, so Dr. Maleika. Was laut Expertin hilft: Aufklären, dem Leiden das Tabu nehmen und Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Den Schwerpunkt legt Dr. Maleika in diesem Jahr auf nichtoperative Therapien: „Da sind Sie gefragt und Ihre Motivation. Sie können durchaus auch selbst sehr viel für sich tun.“

Die häufigste Ursache für eine Harninkontinenz ist eine Schwächung des Beckenbodens.
Dr. Annette Maleika Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen

Vortrag in Schwetzingen: Blasenmuskel oder Beckenboden?

Zunächst jedoch müsse man das Problem verstehen und deshalb sei die Diagnostik so wichtig, denn die Ursachen für Harninkontinenz seien sehr vielfältig: Liegt es an der Blase, also am Blasenmuskel oder am Beckenboden? „Mit dem Beckenboden beschäftigen sich die wenigsten Menschen, dabei ist er eigentlich der allerwichtigste Muskel in unserem Körper“, erläutert die Ärztin.

Diese Muskelschicht hält die Organe und der gesamte Oberkörper lastet darauf. „Aber man sieht diesen Beckenbodenmuskel nicht und deshalb wird er auch erst mal vernachlässigt. Das ist die Gefahr“, ermahnt Maleika. „Denn die häufigste Ursache für eine Harninkontinenz ist eine Schwächung des Beckenbodens.“ Verschiedene Risikofaktoren tragen im Laufe unseres Lebens zu dieser Schwächung bei: Schwangerschaft, Geburt, Übergewicht, schweres Heben und Tragen oder am Ende das Alter, in dem der Beckenboden nachgibt, also durchhängt, so dass die Blase dadurch tiefer rutscht, was ständigen Harndrang verursacht.

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Aber nicht nur der Beckenboden könne die Funktion der Blase beeinträchtigen, auch der Blasenmuskel selbst: „Die Blase funktioniert nicht autonom, sondern wird vom Gehirn gesteuert. Dieses ist sehr störanfällig, beispielsweise durch Einnahme von Psychopharmaka, Diuretika, das sind ausschwemmende Medikamente, oder Schlaftabletten, nach einem Schlaganfall oder bei Stress. Das bedeutet, nicht nur der Beckenboden kann die Funktion der Blase beeinträchtigen, sondern auch die Verbindungen zum Gehirn können gestört sein. Auch verschiedene Erkrankungen mit neurogener Schädigung können die Nervenbahnen zwischen Gehirn und Blase stören und die Blase beeinflussen: Diabetes, Borreliose, Multiple Sklerose, Restless Legs oder Depressionen“, erklärt Maleika den Teilnehmern. Selöbst unter häufigen Infektionen oder Genussstoffen wie Alkohol, Nikotin, Röststoffen im Kaffee oder starken Gewürzen leide die Blasenschleimhaut.

Vielfältige Ursachen und Diagnostik der Harninkontinenz

Die häufigste sei die Belastungsinkontinenz, resultierend in unkontrollierbarem Urinverlust bei Erschütterungen wie Husten und Niesen oder bei körperlicher Betätigung. Die Ursache sei hier der gestörte Verschlussmechanismus, weil der Beckenboden zu locker oder ausgeleiert sei. Komme dann extra Druck auf die Blase, gehe Urin ab. Auch sehr oft gebe es eine Dranginkontinenz, bei der häufiger Harndrang und nicht unterdrückbarer Urinverlust das Problem sind. „Der Verschluss ist dabei normal, aber die Kontraktion der Blase ist teilweise so heftig wie bei einem Krampf. Ursachen dafür sind eine überempfindliche Schleimhaut oder eine motorische Störung der Blase“, so die Expertin.

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Etwas seltener seien neurogene Inkontinenzen. Dann gebe es auch noch die Überlaufblase und die extraurethrale Inkontinenz durch Fisteln. Bei einer Senkung könne es zum Vorfall der Beckenorgane kommen und der Beckenboden drücke sich durch die Scheide. Das führe dann auch oft zu einem unangenehmen Harndranggefühl.

Die Chefärztin ermunterte die Zuhörenden: „Inzwischen gibt es eine ganze Reihe konservativer Behandlungsmöglichkeiten bei Harn-inkontinenz, die Sie ganz einfach zuhause anwenden können. Es muss nicht immer gleich eine OP sein.“

Basistherapie bei Inkontinenz: Ein Protokoll führen

Die Basistherapie sei für alle Typen erst einmal relativ gleich. Ganz wichtig sei dabei die Verhaltenstherapie, bei der man den Lebensstil modifizieren und sich fragen solle: „Was kann ich bei meiner Ernährung verändern? Welche Genussstoffe kann ich weglassen?“ Hilfreich sei auch eine Medikamentenanalyse, da manche Arzneimittel den Urinfluss begünstigten. Die Ärztin empfiehlt bei Beschwerden das Führen eines Protokolls: „Ich fände es interessant, wenn Sie mal drei Tage lang aufschreiben, was Sie in welcher Menge trinken, wann Sie auf Toilette müssen und wie viel Urin Sie lassen.“

Wie bei jedem Kraftsport: Sie müssen jeden Tag mindestens zehn Minuten trainieren.
Dr. Annette Maleika Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen

Zusätzlich könne im Alter eine vaginale Östrogentherapie helfen, da viele Patienten unter Hormonmangel leiden. Die innere Schleimhaut der Blase wird dann trockener und ist nicht mehr so gut durchblutet. Das Östrogen Estriol wirke. „Auch wenig hilft“, so Dr. Maleika: „Ebenso eine Vitamin D-Substitution.“

Sehr empfehlenswert sei natürlich Bewegung, weil dabei der Beckenboden angespannt werde – wie beispielsweise bei gezielten Beckenboden-Übungen, beispielsweise mit Hilfsmitteln wie Vaginalkonen (kleine Gewichte). Auch Pessare könnten den Beckenboden stützen und stabilisieren. Weiterhin empfiehlt die Expertin das Training mit Vibrationsplatte: „Wie bei jedem Kraftsport: Sie müssen jeden Tag mindestens zehn Minuten trainieren. Anders geht es einfach nicht“, sagt die Chefärztin.

Interessant sei auch die Behandlung mit Botox per Blasenspiegelung, das den Harndrang unterdrücke. „Es hilft wirklich gut – ohne merkliche Nebenwirkungen“, erläutert die Expertin. Sowohl bei Belastungsinkontinenz als auch bei der Drangblase gebe es zusätzlich die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung.

Zum Schluss gab die Chefärztin noch Ratschläge zur Vorbeugung einer Beckenbodenschwäche: „Wichtig ist es, über solche Probleme zu reden, indem wir schon junge Frauen animieren, Beckenbodentraining zu machen. Am besten schon in der Schwangerschaft und danach bei der Rückbildung und eigentlich dann sein ganzes Leben lang.“

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