Im Interview

Inkontinenz-Tabu brechen: Kostenlose Vorträge zur Aufklärung und Hilfe in Schwetzingen

Bei kostenlosen Vorträgen von Dr. Annette Maleika können Betroffene oder Interessierte mehr über Inkontinenz erfahren. Die Ärztin will das Tabu brechen und Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.

Von 
Katja Bauroth
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Eine Frau hält die Beine zusammen. (Symbolbild) © Freepik

Schwetzingen. Geschätzt rund zehn Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Inkontinenz, die wenigsten sprechen darüber. Nur die Hälfte der Betroffenen wendet sich an einen Arzt. Das Ignorieren der Symptome – meist aus Scham – ist fatal. Denn unbehandelt verstärken sich die Beschwerden. Was hilft: Aufklären, dem Leiden das Tabu nehmen und Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Und genau dafür steht Dr. Annette Maleika, Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen, ein. Sie bietet am Dienstag, 20. Juni, um 18 Uhr einen kostenlosen Vortrag zum Thema „Bewusstsein Beckenboden: Aktiv gegen Senkung, Inkontinenz und Schmerz“ in der GRN-Klinik an. Wir haben mit ihr über dieses Thema gesprochen, auch um es zu enttabuisieren. „Noch immer ist Inkontinenz ein Tabuthema, obwohl Aussicht auf Besserung besteht“, bedauert Dr. Maleika und ermuntert Betroffene: „Es gibt keinen Grund, sich damit abzufinden!“

Inkontinenz, Blasenschwäche – dies betrifft nicht nur Menschen ab einem gewissen Alter oder Frauen nach der Geburt eines Kindes. Warum tun wir uns so schwer, dieses Problem zum Beispiel beim Arzt anzusprechen?

Dr. Annette Maleika: Harninkontinenz betrifft Millionen von Menschen, insbesondere jede dritte Frau in der zweiten Lebenshälfte. Der Verlust der Kontrolle über den eigenen Körper erzeugt Peinlichkeit und Schamgefühl. Betroffene befürchten, von anderen negativ gesehen oder abgelehnt zu werden, wenn sie sich offenbaren. Eine mangelnde Aufklärung über das Thema Inkontinenz führt zu einer begrenzten Kenntnis über die verschiedenen Arten der damit verbundenen Herausforderung, das Problem mit Unterstützung durch Physiotherapeuten oder Ärzte anzugehen.

Terminhinweis

  • Im Rahmen der 15. bundesweiten Welt-Kontinenz-Woche, die vom 19. bis 25. Juni stattfindet, hält Dr. Annette Maleika, Chefärztin der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe in der GRN-Klinik Schwetzingen, einen kostenlosen Vortrag zum Thema „Bewusstsein Beckenboden: Aktiv gegen Senkung, Inkontinenz und Schmerz“. Dieser findet am Dienstag, 20. Juni, 18 Uhr, in der Cafeteria der GRN-Klinik Schwetzingen statt. Anschließend können sich Besucher an Ständen zum Thema informieren.
  • Den Schwerpunkt legt die Expertin dabei auf nichtoperative Therapien. Sie stellt konservative Behandlungsmöglichkeiten vor, die Betroffene ganz einfach zuhause anwenden können.

Sind Frauen und Männer Ihren Erfahrungen zufolge gleichermaßen betroffen und auch gleichermaßen mit einem Schamgefühl behaftet? Welche Geschlechtergruppe öffnet sich eher bei diesem Problem?

Dr. Annette Maleika: Frauen sind häufiger von Harninkontinenz betroffen als Männer. Bei Männern stehen eher die Probleme durch Prostatavergrößerung, wie unvollständige Blasenentleerung und häufiger Harndrang im Vordergrund. Ich habe den Eindruck, dass Frauen eher bereit sind, über medizinische Probleme zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Als Uro-Gynäkologin versuche ich, dieses Thema in der Sprechstunde, aber auch bei solchen Veranstaltungen direkt anzusprechen. Das soll den Betroffenen Mut machen, ihr Problem zu erkennen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Wenn derartige Probleme nicht behandelt werden, was droht einem Betroffenen schlimmstenfalls?

Dr. Annette Maleika: Durch Inkontinenz kann es zu Infektionen im Genitalbereich kommen. Die Haut wird durch die Nässe oder die Vorlagen gereizt, es kann aber auch zu Blasenentzündungen kommen. Mindestens genauso schlimm finde ich den sozialen Rückzug, den Verzicht auf Unternehmungen, Sport und soziale Kontakte.

Prävention ist das A und O in der Gesundheit – auch beim Beckenboden. Was ist Ihrer Meinung nach die beste Methode, um den Beckenboden zu trainieren?

Dr. Annette Maleika: Bevor man trainiert, sollte man sich zunächst bewusst werden, was der Beckenboden ist und welche Funktionen er hat, also eine Halte- und Verschlussfunktion. Aber der Beckenboden muss ebenso auch entspannen können, um einen Auslass zu gewährleisten. Zum einen gilt es, alles zu vermeiden, was den Beckenboden belastet. Das sind zum Beispiel Übergewicht, schweres Heben und Tragen, Verstopfung und chronischer Husten. Dann ist es erforderlich, den Beckenboden zu trainieren, durch Anspannen und Entspannen. Das kann durch physiotherapeutische Übungen geschehen, aber auch durch zusätzlichen Einsatz von Biofeedback- oder Elektrostimulationsgeräten, durch Balanceübungen, Zehenspitzengang oder auch Vibrationsboards. Jeder sollte für sich die individuell geeigneten Übungen und Hilfsmittel herausfinden.

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Gibt es da unterschiedliche Methoden für Frauen und Männer?

Dr. Annette Maleika: Die Trainingsmethoden sind für Männer und Frauen nahezu identisch.

Wir gehen ins Fitnessstudio und trainieren unseren Bizeps – jetzt gibt es zum Beispiel auch Trainingsgeräte mit Gewichten für den Beckenboden. Wie gut ist so etwas tatsächlich aus medizinischer Sicht?

Dr. Annette Maleika: Beckenbodentraining besteht aus Übungen zum Anspannen und Entspannen. Am einfachsten ist es, auf der Toilette zu versuchen, den Harnstrahl anzuhalten und dann wieder zuzulassen. Durch Gewichtstraining mithilfe von Kegeltraining kann zumindest das Anspannen geübt werden. Das Kegelball-System besteht aus einem ovalen Tampon, der in die Vagina eingeführt wird. Unterschiedliche Gewichte üben Zug nach unten aus, dem standgehalten werden soll. Dadurch werden der Beckenboden und seine Muskulatur bewusst gemacht und trainiert. Die Methode kann hilfreich sein bei der Behandlung gegen Senkung oder Belastungsinkontinenz. Am wichtigsten ist aber, dass etwas gemacht wird und zwar am besten täglich.

Wann sollte Mann/Frau anfangen, den Beckenboden zu trainieren?

Dr. Annette Maleika: So früh wie möglich und so lange wie möglich! Frauen sollten sich am besten bereits vor einer Schwangerschaft bewusst machen, was der Beckenboden ist und ihn auch trainieren durch Anspannen und Entspannen. Das ist für eine vaginale Geburt hilfreich. Als Frauenärzte sprechen wir heute aber auch mit Schwangeren über die Risiken, die eine natürliche Geburt für den Beckenboden bedeutet. Durch Dehnung und Verletzung von Faszien und Muskeln kann es später zu Beckenbodenproblemen kommen. Wir sprechen über diese Probleme, um die Schwangeren zu motivieren, bereits in der Schwangerschaft aktiv zu werden und vorbereitet zu sein. Nach der Geburt ist Rückbildungsgymnastik wichtig, um den Beckenboden wieder fit für neue Belastungen zu machen. Am besten werden die Übungen täglich durchgeführt und sind ja nicht nur für die Kontinenz, sondern auch für ein guten Sex förderlich. Da im Alter dann die Muskulatur schwächer wird und die Spannkraft nachlässt, werden die Beckenbodenübungen wiederum essentiell.

Was, wenn Training allein nicht mehr hilft: Welche Methoden empfehlen Sie da?

Dr. Annette Maleika: Wenn Training nicht mehr hilft, sollte man sich an die Frauenärzte, am besten Uro-Gynäkologen wenden. Manchmal kann mit einer Kombination verschiedener Methoden oder auch durch zusätzliche Gabe von Östrogenen als Vaginalcreme oder Zäpfchen unterstützt werden. Wenn die Lebensqualität allzu sehr leidet, kommen auch Operationen in Betracht, die meist vaginal und minimal-invasiv durchgeführt werden können.

Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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